Christian Horn: Der aufgeführte Staat. Zur Theatralik höfischer Repräsentation unter Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen (= Theatralität; Bd. 8), Tübingen / Basel: Francke Verlag 2004, 226 S., 13 Abb., ISBN 978-3-7720-8053-1, EUR 39,90
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Das Kurfürstentum Sachsen war in der Frühen Neuzeit ein fortschrittliches Staatswesen. Die sächsischen Kurfürsten, von denen zwei sogar Könige von Polen wurden, pflegten eine geradezu exemplarische höfische Repräsentation, die einerseits stark in der lokalen Tradition verwurzelt war, die sich aber andererseits auch mit derjenigen der führenden europäischen Höfe messen wollte. Lange Zeit stand vor allem Kurfürst Friedrich August I. (1694-1733) - "August der Starke" - im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Schon vor längerer Zeit ist jedoch erkannt worden, welche Bedeutung bereits die Kurfürsten des 17. Jahrhunderts dem Zeremoniell, dem Fest, der Musik und auch der Bildenden Kunst beigemessen haben. Während Kurfürst Johann Georg I. (1611-1656) wegen des Dreißigjährigen Krieges keine größeren repräsentativen Aufwendungen unternehmen konnte, hat sich vor allem sein Nachfolger Johann Georg II. (1656-1680) auf diesem Gebiet betätigt. Nicht zuletzt hat er mit den, vor allem in seinen späteren Jahren errichteten Bauten grundlegende Züge des barocken Dresden bestimmt. Dennoch bzw. gerade deswegen hat er wie die meisten sächsischen Herrscher des 17. Jahrhunderts eine sehr schlechte Presse. Die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts bezeichnete ihn regelmäßig als "viel zu genuß- und vergnügungssüchtig" (Theodor Flathe). Der Kurfürst hätte im Interesse seiner Prunkliebe die Staatsfinanzen zerrüttet und außerdem durch eine immer engere Annäherung an den katholischen Kaiser die politischen und konfessionellen Interessen Sachsens vernachlässigt. Letztlich machte man ihm den Vorwurf, er habe eine Politik betrieben, die sich von der als effizienter erachteten des Kurfürstentums Brandenburg unterschieden hätte. Das bis weit in die Gegenwart als vorbildlich eingeschätzte Brandenburg-Preußen verstellt z. T. bis heute den Blick auf das barocke Kurfürstentum Sachsen. Tatsächlich wird man den Kurfürsten Johann Georg II. nicht zu den prägenden politischen Gestalten seiner Epoche zählen, seine eigentliche Bedeutung liegt vielmehr in einem anderen Bereich. Er war der erste sächsische Herrscher, der die Schwerpunkte seines Handelns aus dem Bereich der "großen" Politik mehr und mehr auf das Gebiet von Kunst und Kultur sowie auf die Förderung der Wirtschaft legte - es blieb ihm auch kaum eine andere Wahl. Nicht zuletzt aber begann mit seiner Herrschaft eine neue Epoche für die fürstliche Repräsentation Kursachsens.
Die vorliegende Studie will keinen vollständigen Überblick über die Festkultur unter Johann Georg II. bieten, es wird stattdessen versucht, generell die "Theatralität" höfischer Repräsentation am Beispiel dieses Fürsten zu verdeutlichen. Das ist kein leichtes Unterfangen, doch es ist im großen und ganzen geglückt. Am Beginn steht eine lesenswerte Einleitung, in der moderne Theorien zum höfischen Fest sehr übersichtlich zusammengestellt werden: "Höfische Feste als Allegorien" (12-17), "Höfische Feste als Momente der Verschwendung" (17-24) sowie "Theatralität als Kennzeichen der Aufführung" (24-45). Es folgen kurze, aber grundlegende Ausführungen zum Thema "Theaterbegriffe der Frühen Neuzeit" (47-57). Bereits hier arbeitet sich der Verfasser an die beiden Kernfragen seiner Untersuchung heran: Worin bestand die Theatralität höfischer Feste? Inwiefern waren sie politisch wirksam? Wenn man diese Fragen überhaupt beantworten kann, dann nur mit Hilfe von Einzelfalluntersuchungen, die dann auch den Hauptteil der Arbeit einnehmen.
Die Einzelfälle, denen sich Horn zuwendet, sind sehr klug gewählt. Am Beginn stehen Verkleidungsbankette (59-88). Bei dieser Festform erschienen die höfischen Teilnehmer programmgemäß in unstandesgemäßer Kleidung. Derartige Feste entsprechen damit keineswegs der Vorstellung, derzufolge das höfische Zeremoniell die tatsächlichen Machtverhältnisse versinnbildlichen solle. Horn charakterisiert diese Festform daher als ein "Zeremoniell für Eliten". Offensichtlich konnte sich die große Tradition, die derartige Feste besaßen, noch lange gegen modernere theoretische Überlegungen halten. Gleichzeitig belegen gerade die Verkleidungsbankette, wie schwierig sich die anfangs gestellten Kernfragen beantworten lassen. Der Verfasser ist sich über diese Tatsache immer im klaren. Nach diesem schwierigen Einstieg widmet er sich dem Feuerwerk (89-122). Die Beschreibungen in diesem Kapitel sind Horn besonders gelungen. Vielleicht nimmt er jedoch die zeitgenössischen deutenden Texte zu ernst (z. B. 101), denn das "vitalistische Verständnis des Feuers und der Glaube an die in ihm wohnenden göttlichen Kräfte" (104) entsprachen doch im späten 17. Jahrhundert sicher nicht mehr dem allgemeinen Verständnis, dafür hatten sich die Erkenntnisse der damaligen Naturwissenschaft wohl doch schon zu sehr verbreitet. In einem vierten Kapitel widmet sich der Verfasser dann der Investitur Johann Georgs mit dem englischen Hosenbandorden. In diesem Zusammenhang entfaltete sich ein reiches Zeremoniell, das Horn sehr ausführlich darstellt. Auch diese Passagen wird man mit großem Gewinn lesen. Vielleicht wäre es abschließend noch möglich gewesen, konfessionelle Aspekte stärker zu berücksichtigen, denn die Dresdner Albertiner hatten immerhin die Nachfolge der Ernestiner als ranghöchste deutsche Protestanten angetreten. Nicht wenige auch der politisch-zeremoniellen Aktivitäten Kursachsens lassen sich nur vor diesem Hintergrund verstehen.
Generell ist der Verfasser von der Wirksamkeit der Aufführungen für das frühneuzeitliche - "absolutistische" - Staatswesen überzeugt. Diese Frage dürfte allerdings gerade für Sachsen nicht so leicht zu beantworten sein. Bedenkt man nämlich, wie stark noch im 17. Jahrhundert die Stände und wie stark bereits das international agierende Bürgertum waren, denn erscheint doch die Pracht des Dresdner Hofes in einem weit weniger glänzendem Licht. Nicht zu vergessen ist auch die beständig zurückgehende politische Bedeutung Kursachsens. Vielleicht kam den höfischen Festen auch eine kompensatorische Bedeutung zu? Gerade die Verleihung des englischen Hosenbandordens könnte sich entsprechend interpretieren lassen. Nicht zufällig spielte nach der Konversion Augusts des Starken der kaiserliche Orden vom Goldenen Vlies eine ganz ähnliche Rolle wie zuvor der englische Hosenbandorden.
Sehr hervorzuheben ist die intensive Benutzung von Primärquellen. Horn beschränkt sich nicht darauf, längst bekannte Tatsachen neu zu interpretieren, er hat vielmehr selbst in Dresden, Berlin und London wichtige Archivalien für seine Arbeit benutzt. Selbstverständlich kennt und rezipiert er auch die einschlägigen zeitgenössischen Werke zur "Ceremoniel-Wissenschafft". Angesichts des von ihm behandelten Themas wäre es aber sicher richtig gewesen, wenn er die kunsthistorische Forschung stärker berücksichtigt hätte. Man sucht etwa vergebens nach den Arbeiten von Kathrin Reeckmann und Günter Passavant. [1] Besonders bedauerlich ist das Fehlen von Karl Möseneders grundlegendem Artikel zum Feuerwerk im "Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte". Auch wäre es sicher hilfreich gewesen, einige wichtige volkskundliche Arbeiten - vor allem etwa von Wolfgang Brückner - heranzuziehen. Erwähnt sei beispielsweise Brückners umfangreiche Studie "Bildnis und Brauch".
Derartige kleinere Bedenken können jedoch den großen Wert der vorliegenden Arbeit in keiner Weise mindern. Allerdings: Man hat immer wieder den Eindruck, Horn interessiere sich mehr für allgemeine theoretische Aussagen als für die konkreten Verhältnisse am sächsischen Hof. Seine Studie dürfte darum auch für Theaterwissenschaftlicher und Germanisten wichtiger sein als z. B. für Landeshistoriker oder Kunsthistoriker.
Anmerkung:
[1] Kathrin Reeckmann: Anfänge der Barockarchitektur in Sachsen. Johann Georg Starcke (ca. 1630-1695) und seine Zeit, Phil. Diss. Bonn 2000; Günter Passavant: Wolf Caspar von Klengel (Dresden 1630-1691). Reisen - Skizzen - Baukünstlerische Tätigkeit (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 87), München / Berlin 2001.
Christian Hecht