Martin Kaufhold (Hg.): Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters. Political Thought in the Age of Scholasticism. Essays in Honour of Jürgen Miethke (= Studies in Medieval and Reformation Traditions. History, Culture, Religion, Ideas; Vol. CIII), Leiden / Boston: Brill 2004, x + 387 S., ISBN 978-90-04-13990-9, EUR 126,00
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Der deutschen Universität steht mit der Gattung der Festschrift ein probates Mittel zur Verfügung, um verdiente Hochschullehrer würdig in den Ruhestand zu verabschieden. Glücklicherweise ist in den vergangenen Jahren eine Tendenz erkennbar, die Festschriften nicht mehr nur als liebevoll zusammengestelltes Sammelsurium inhaltlich disparater Aufsätze einer möglichst umfangreichen Schüler- und Kollegenschar begreift. Es geht nun sehr viel stärker darum, die Beiträge inhaltlich aufeinander abzustimmen und sie mit den thematischen Interessen des Geehrten selbst in Verbindung zu bringen.
Vorliegende Festschrift für Jürgen Miethke, von 1984-2003 Ordinarius für Mittlere und Neuere Geschichte an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, wird diesen Anforderungen in vollem Umfang gerecht. Aus einer Heidelberger Tagung im Juli 2003 hervorgegangen, auf der Schüler, Freunde und Kollegen des Jubilars sich zu einem interdisziplinär angelegten Austausch über politische Theorien im Zeitalter der Scholastik zusammenfanden, bestechen die 18 Beiträge der Festschrift - von denen hier nur ein kleiner, wenn auch repräsentativer Teil besprochen werden soll - durch ein hohes Maß an Kohärenz. Zwei zentrale Themenkomplexe sind dabei erkennbar: zum einen wird die Problematik der "Politikberatung" im Mittelalter behandelt, zum anderen auf zentrale politische Theorien und deren Protagonisten eingegangen.
So präsentiert beispielsweise der Beitrag von Verena Postel "Communiter inito consilio. Herrschaft als Beratung" (1-25) ein neues Forschungsprojekt, das sich mit Trägern, Prozessen und Funktionen von Politikberatung im frühen Mittelalter auseinandersetzen will. Nach einem Überblick über die Forschungslage und die Vorgeschichte des Problems in der Antike stellt Postel ausgehend von einer Fallstudie, in der das Wirken Adalhards von Corbie, einer der wichtigsten Berater Karls des Großen, analysiert wird, ein Raster von Einzelfragen vor, anhand derer das Wirken politischer Berater generell zu analysieren wäre. Dabei wird der Tatsache Rechnung getragen, dass das Funktionieren von Herrschaft zum einen in konkreten politischen Entscheidungssituationen beschrieben, zum anderen als Kommunikationsprozess von Herrschern und Beratern analysiert werden muss.
Georg Wielands Aufsatz "Praktische Philosophie und Politikberatung bei Thomas von Aquin" (65-83) geht von der Grundannahme aus, dass praktische und moralische Fragen im Werk des Thomas von Aquin eine bedeutende Rolle spielen, dass Ethik und Politik für Thomas Größen sind, die unabhängig von der Metaphysik existieren. Thomas' Agieren als "praktischer Philosoph" wird - nach einer luziden Erläuterung des Terminus "Politikberatung" - anhand von fünf Gelegenheitsschriften bzw. Gutachten beleuchtet. Im Zentrum des Interesses stehen die Schriften De secreto (1269), De emptione et venditione ad tempus (1262), De regno ad regem Cypri (1267), De sortibus (1270/71) und die Epistola ad Ducissam Brabantiae (1271). Deutlich wird, dass Thomas trotz des spürbaren Widerwillens, mit dem er auf so manche Anfrage antwortet, sich um eine genaue Erfassung der konkreten politischen, sozialen und ökonomischen Situation bemüht und seine Antworten dergestalt formuliert, dass sie als wirkliche Handlungsanleitungen, als Beispiele für konkrete Politikberatung dienen können.
Als Weiterführung dieses Ansatzes können Francisco Bertollonis Überlegungen zur "Anwendung von Kausalitätstheorien im politischen Denken von Thomas von Aquin und Aegidius Romanus" (85-108) begriffen werden. In den Blick geraten nun die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen politischen Traktate, deren unterschiedliche Beurteilung des Verhältnisses von geistlicher und weltlicher Gewalt auf die Anwendung verschiedener Kausalitätsmodelle zurückgeführt wird. Anhand der Traktate De regno des Thomas von Aquin und De ecclesiastica potestate des Aegidius Romanus wird die Thematik des doppelten Endziels des Menschen behandelt, für dessen Verwirklichung zwei Gewalten, die weltliche und die geistliche, zuständig sind. Doch während Aegidius das Verhältnis dieser Gewalten als das einer bloßen Reduktion des Niederen auf das Höhere beschreibt, sich die weltliche der geistlichen Gewalt also so unterordnen muss, wie sich das Niedere dem Höheren unterordnet, zeigt sich Thomas von Aquin methodisch weniger von Pseudo-Dionysius als von Aristoteles geleitet, was dazu führt, dass beide Autoren die zwei Gewalten an zwei ontologisch unterschiedliche causae mit unterschiedlicher kausaler Kraft rückbinden, anders ausgedrückt: Die weltliche Macht ist für Thomas mehr als eine defizitäre Schwundstufe der geistlichen Macht, vermag also in dem ihr zugewiesenen Bereich ihre Funktionen eigenständig und legitim auszufüllen.
Damit ist das Gebiet der politischen Theorie bereits erreicht. Karl Ubl beweist in seinem Beitrag "Die Genese der Bulle Unam sanctam: Anlass, Vorlagen, Intentionen" (129-149), dass eben doch noch nicht sämtliche Aspekte dieser ausgesprochen radikalen Formulierung päpstlicher Weltherrschaft behandelt worden sind. Insbesondere im Bereich der Einschätzung von Originalität und Traditionalität gelangt Ubl zu neuen Erkenntnissen: Für ihn reagierte Bonifaz VIII. mit der Bulle auf eine Lücke zwischen geltendem Kirchenrecht und der wissenschaftlichen Diskussion dieses Rechts. Der Papst schloss mittels Unam sanctam diese Lücke und glich seine Stellung innerhalb der Kirche derjenigen eines Monarchen an - mit klar antifranzösischer Stoßrichtung, wurde damit doch der von Innocenz III. 1202 in seiner Dekretale Per venerabilem eingefügte Satz über die Unabhängigkeit Frankreichs neutralisiert und in eine Unterordnung unter den Papst auch in weltlichen Dingen verkehrt.
Das Problem päpstlicher Suprematie wird auch im Aufsatz von Christoph Flüeler mit dem Titel "Acht Fragen über die Herrschaft des Papstes. Lupold von Bebenburg und Wilhelm von Ockham im Kontext" (225-246) behandelt. Neben einer verbesserten Datierung des von Ockham stammenden Textes der Octo quaestiones de potestate pape, für dessen Entstehung im Zeitraum Juli 1341 bis April 1342 überzeugend plädiert wird, werden Indizien angeführt, die bei der Identifizierung des bisher unbekannten Auftraggebers helfen sollen. Deutlich wird, dass Ockhams Traktat von der Auseinandersetzung mit den politischen Schriften des Lupold von Bebenburg geprägt ist und der anonyme Auftraggeber wohl im Umfeld Balduins von Trier zu suchen ist. Als Appendix ist die Edition der "Bremer Quaestionen" angefügt, in der zwar die acht Fragen Ockhams überliefert werden, deren Beantwortung sich jedoch deutlich von Ockhams Schrift unterscheidet.
Im abschließenden Beitrag "Wissenschaftliche Politikberatung im Spätmittelalter" (337-357) kommt Jürgen Miethke in Form seiner Abschiedsvorlesung selbst noch einmal zu Wort. Hier geht es zwar auch um politische Theorien und ihre argumentativen Begründungen, doch stehen andere Aspekte klar im Vordergrund: die Wirkung der Theorien bzw. Ideen in einer Zeit, "als für die öffentliche Wirkung von Ideen, Meinungen und Argumenten gegenüber unserer heutigen Lage grundsätzlich andere Bedingungen gegeben waren" (337). Politikberatung wird dabei als Hilfestellung zur Klärung des normativen Handlungshorizonts von Entscheidungsträgern begriffen und erläutert.
Ein von Gerald Schwedler bearbeitetes Verzeichnis der Schriften von Jürgen Miethke (359-380) - darunter fünf Monografien und 110 Aufsätze - und ein Register der Orte, Personen und behandelter Texte beschließen einen anregenden Band, der dem Genus "Festschrift" alle Ehre macht.
Noch einmal: Fast alle Beiträge begnügen sich nicht mit dem Blick allein auf politische Theorien selbst, sondern versuchen - methodisch mehr oder minder überzeugend - auch die Interessen miteinzubeziehen, die hinter den Theorien stehen. Damit wird der Bereich der reinen Geistesgeschichte verlassen und, wenn auch nicht unbedingt Neuland betreten, so doch der Anschluss an die aktuelle Forschungs- und Methodendiskussion gesucht und gefunden.
Ralf Lützelschwab