Saleh Said Agha: The Revolution which toppled the Umayyads. Neither Arab nor Abbasid (= Islamic History and Civilization. Studies and Texts; Vol. 50), Leiden / Boston: Brill 2005, XXXVIII + 480 S., ISBN 978-90-04-12994-8, EUR 145,00
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Das hier zu besprechende Buch stellt die überarbeitete Fassung einer Dissertation dar, mit der Saleh Said Agha 1993 an der renommierten University of Toronto im Bereich der Middle East and Islamic Studies promoviert worden ist. Es geht in dem Werk um eine Neubewertung der innerislamischen Umwälzungen des 2. (islamischen)/8. (christlichen) Jahrhunderts, an deren Ende der Sturz der Umayyaden- und die Proklamation der 'Abbāsiden-Dynastie standen. Die revolutionäre Bewegung war, so die plausible Version von Saleh Said Agha, von mawālī der südarabischen Yamanī-Stämme in Kūfa in einem proto-schiitischen Umfeld ins Leben gerufen worden. In erster Linie setzte sie sich aus Anhängern einer Splittergruppe der Kaysānīya zusammen, die ein Imāmat von Abū Hāšim 'Abd Allāh b. Muḥammad b. al-Ḥanafīya favorisierten. Als der kinderlose Abū Hāšim ca. 100/718-9 starb, beschlossen einige Männer (und Frauen), sich von der Großgruppe zu trennen und eine eigene Organisation zu gründen.
Das Besondere ihrer Richtung bestand darin, dass sie die Ansicht vertraten, sich nicht unbedingt und sofort auf einen bestimmten Imām festlegen zu müssen. Jedes Mitglied konnte für sich einen der Protagonisten so lange als Leitfigur ansehen, bis die Zeit reif war, gemeinsam eine geeignete Person zu wählen. Ihr Slogan lautete: ad-da'wa ilā r-riḍā min āl Muḥammad! Dies hieß, dass der neue Führer, für den man sich politisch stark machte, nur zwei Voraussetzungen erfüllen musste: Er hatte aus der näheren Familie des Propheten, also aus dem Stamm Hāšim, zu kommen, und (zumindest) die (wählenden) Muslime sollten mit ihm zufrieden sein und ihn akzeptieren können. Inhaltlich forderte man soziale Gerechtigkeit im Sinne einer an den Gebräuchen und Regeln der Ursprungsgesellschaft orientierten Gemeinschaft (ad-da'wa ilā l-Kitāb wa-s-Sunna). Innerhalb kurzer Zeit verlagerte sich das Zentrum der Bewegung von Kūfa nach Ḫurāsān. Dort gab es offenbar sehr viele Leute, die bereit waren, sich der Organisation anzuschließen. Vor allem Abū Muslim schaffte es, der Bewegung von dort aus eine straffe Führungsstruktur und innere Stringenz zu geben. Ein Netzwerk von revolutionären Zellen konnte an vielen wichtigen Orten etabliert werden. Der Tag X kam, und die Bewegung erlang binnen weniger Monate einen vollständigen Sieg über die Umayyaden.
Abū Muslim jedoch, der einer der an dem Umsturz maßgeblich beteiligten Familien, nämlich den Abkömmlingen des Prophetenonkels al-'Abbās b. 'Abd al-Muṭṭalib b. Hāšim, sehr viel verdankte, trieb ein doppeltes Spiel: Offenbar, so Saleh Said Agha, gab es eine geheime Absprache mit den 'Abbāsiden, dass nach dem Regimewechsel Ibrāhīm b. Muḥammad b. 'Alī b. 'Abd Allāh b. al-'Abbās zum neuen Führer der Muslime ernannt werden sollte. Als die siegreichen Armeen der Revolution in Kūfa einmarschierten, begann der dortige Chef der Hāšimīya, Abū Salama al-Ḫallāl, wie geplant mit den internen Beratungen über den künftigen Imām. Drei Monate verstrichen, bis sich Abū Muslim durchsetzen konnte und schließlich seinen Generälen befahl, Abū l-'Abbās as-Saffāḥ, den Halbbruder des im Muḥarram 132/August 749 von den Umayyaden hingerichteten Ibrāhim, zum Imām und Kalifen auszurufen. Acht Wochen darauf, im Rağab 132/März 750, wurde Abū Salama ermordet. Sofort nachdem der neue Kalif aus der 'Abbāsidischen Linie des prophetischen Clans etabliert war, begann die Neuinterpretation der historischen Ereignisse. Es wurde behauptet, die Organisation hätte die ganze Zeit über im Namen eines Imāms aus der al-'Abbās-Sippe agiert (ad-da'wa al-'Abbāsīya) und ar-Riḍā sei nur sein Codename gewesen. Ein Testament tauchte plötzlich auf, in dem Abū Hāšim 'Abd Allāh b. Muḥammad b. al-Ḥanafīya die Führung der Bewegung ganz offiziell und bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt an Muḥammad b. 'Alī b. 'Abd Allāh b. al-'Abbās vererbte.
Soweit also Saleh Said Aghas Rekonstruktion der Ereignisse. Ein Hauptproblem, über das die Forschungsmeinungen schon lange auseinandergehen, ist allerdings nicht die Chronologie, sondern die Frage, welche Identität die Träger der revolutionären Bewegung eigentlich hatten. Bereits 1902 kam Julius Wellhausen in seinem Werk Das arabische Reich und sein Sturz zu dem Ergebnis, dass die 'Abbāsidische Revolution das Ende eines arabischen Reiches und den Beginn einer offeneren muslimischen Gesellschaft bedeutete, in der insbesondere die bis dahin an den Rand gedrängten iranischen mawālī einbezogen wurden. Vor allem diesen neuen Elementen, die bei der Niederwerfung der Umayyaden-Dynastie die Hauptrolle gespielt hätten, sei es zu verdanken gewesen, dass dann von einem neuen Zentrum aus durch die Auseinandersetzung mit der griechischen und altpersischen Literatur in arabischer Sprache eine einheitliche islamische Kultur formuliert werden konnte. Auf der anderen Seite der Debatte stehen die Ansichten, die M. A. Shaban in seinem aus einer an der Harvard University eingereichten Dissertation hervorgegangenen Buch The 'Abbāsid Revolution (Cambridge 1970) geäußert hat. Im Gegensatz zu Wellhausen betont er die entscheidende Rolle der zur Zeit des Umsturzes im Ḫurāsān siedelnden arabischen Stämme bei der Auseinandersetzung mit den umayyadischen Heeren. Ursache für die Rebellion sei vor allem der Zwist zwischen der umayyadischen Zentrale und den arabischen Eroberern vor Ort gewesen. Der Staat forderte von der Provinz die regelmäßige Zahlung von Steuern, wohingegen die arabischen Patriarchen dem Fiskus in Damaskus nur eine einmalige Summe als Beuteanteil zukommen lassen wollten.
An diesem Punkt setzt Saleh Said Agha mit seiner Dissertation ein. Er will den Streit zwischen den Forschern entscheiden, indem er einen 1971 in Beirut unter dem Titel Aḫbār ad-dawla al-'Abbāsīya von 'A. 'A. ad-Dūrī und 'A Ǧ. Al-Muṭṭalib herausgegebenen Schlüsseltext, der weder Wellhausen noch Shaban zur Verfügung stand, gründlich auswertet und kontextualisiert. Verfasst wurde dieses Werk, in dem bezeichnenderweise stets von einer hāšimitischen und nie von einer 'abbāsidischen Bewegung die Rede ist, in der Mitte des 3./9. Jahrhunderts. Der unbekannte Autor war ein Zeitgenosse von al-Balāḏurī, dessen Ansāb al-ašrāf (Bd. 3 hg. von 'A. 'A. ad-Dūrī, Wiesbaden 1978) und Futūḥ al-buldān (hg. von Ṣ D. al-Munağğid, Kairo 1957) er kannte und für seine Darstellung benutzte. Aber: er allein erzählt von den revolutionären Vorgängen aufgrund von Aussagen, die eindeutig aus dem inneren Führungskreis der Bewegung in Kūfa und in Ḫurāsān kamen. Darüber hinaus ist seine vollständige Liste der wichtigsten Mitglieder der Organisation einzigartig. Letzten Endes liefert uns der anonyme Verfasser die erste umfassende und kohärente Darstellung der Revolution. Die von ihm in seiner Chronik präsentierte Fassung stellt damit ein ganz wichtiges Gegenstück zu aṭ-Ṭabarīs (starb 310/923) Version dar, die doch eher die 'abbāsidische Perspektive wiedergibt.
Der Verfasser untersucht diese Quelle sehr genau. Im ersten Teil seiner Studie gibt er dem Leser nicht nur die Biographien der wichtigsten Akteure der Organisation wie Bukayr b. Māhān (gest. 127/745), Abū Salama al-Ḫallāl (gest. 132/750) und Abū Muslim (gest. 136/754), sondern dekonstruiert auch die 'abbāsidische Geschichtsklitterung, indem er sehr behutsam das Entstehen und den allmählichen Aufbau der hāšimitischen Bewegung in den ersten drei Jahrzehnten des 2. Jahrhunderts der Hiğra beschreibt (s.o.). In den beiden anderen Teilen seines Werkes kann er dann anhand der Angaben zu 401 Propagandisten verschiedener Ränge aufzeigen, dass der Führungskreis der Hāšimīya nur zu einem kleinen Teil (74 von 401) aus Arabern bestand. Hingegen zählten 150 nicht-arabische, in der Regel iranische mawālī zu den Anhängern der Bewegung. Sie bildeten den Kern der Organisation. Der Rest - 177 Männer - waren neu zum Islam konvertierte iranische Landeskinder, die fast alle von Abū Muslim erst nach der offenen Konfrontation mit den Umayyaden angeworben wurden. Es war in erster Linie diese Personengruppe, auf deren Schultern die eigentliche Durchführung des Umsturzes ruhte.
Das Ergebnis der Arbeit ist eindeutig: Alle Indizien sprechen für die vor über 100 Jahren vorgebrachten Wellhausen-These. Letzten Endes kann man die anti-umayyadische Bewegung weder als arabisch noch als 'abbāsidisch bezeichnen. Saleh Said Aghas akribische Abhandlung unterstreicht noch einmal sehr schön die äußerst unsichere Position der 'Abbāsiden während der gesamten Umwälzungsperiode. Als (ungenannter und erst nach der Machtübernahme gemeinschaftlich zu bestimmender) Führer kam eben jeder min āl Muḥammad in Frage. In den drei Monaten zwischen dem Erfolg der Revolution und der Proklamation eines 'abbāsidischen Kalifen war offensichtlich noch alles offen. Es scheint so, als ob Abū Muslim seinen Kandidaten erst im Laufe der Zeit einigermaßen hoffähig hat machen können.
Formal ist die Arbeit aber alles andere als leicht zugänglich. Der Stil ist bisweilen recht eigenwillig und die Darstellungsweise oftmals abschweifend. Teil II und III haben aufgrund der dort präsentierten statistischen Auswertungen der Quelle den Charakter von Anhängen. Darüber hinaus blendet der Verfasser die gesamte deutsch- und französischsprachige Literatur zum Thema aus. Inhaltlich fehlt neben einer Erläuterung und genauen Untersuchung der Überlieferungen vor allem eine Darstellung der Ereignisse in Syrien, dem Zentrum der Umayyadenherrschaft. Der Preis des Buches ist natürlich ungeheuerlich. Gleichwohl hat Saleh Said Agha mit seiner genauen Untersuchung der Aḫbār ad-Dawla al-'Abbāsīya eine wichtige Studie über den Übergang von der Umayyaden- zur 'Abbāsiden-Dynastie vorgelegt, gegen deren Ergebnisse sicher so leicht kein Einwand erhoben werden kann.
Anmerkung der Redaktion:
Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php
Stephan Conermann