Rezension über:

Raphaela Veit: Das Buch der Fieber des Isaac Israeli und seine Bedeutung im lateinischen Westen. Ein Beitrag zur Rezeption arabischer Wissenschaft im Abendland (= Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte; Beiheft 51), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, 335 S., ISBN 978-3-515-08324-9, EUR 58,00
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Rezension von:
Gilbert Zinsler
Institut für Geschichte der Medizin, Medizinische Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Florian Steger
Empfohlene Zitierweise:
Gilbert Zinsler: Rezension von: Raphaela Veit: Das Buch der Fieber des Isaac Israeli und seine Bedeutung im lateinischen Westen. Ein Beitrag zur Rezeption arabischer Wissenschaft im Abendland, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 1 [15.01.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/01/7108.html


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Raphaela Veit: Das Buch der Fieber des Isaac Israeli und seine Bedeutung im lateinischen Westen

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Die moderne Medizin definiert Fieber als Erhöhung der Körpertemperatur infolge einer gestörten Wärmeregulation im Zwischenhirn aufgrund mannigfaltiger Ursachen, wie Infektionskrankheiten oder Tumore. Fieber ist eines der augenscheinlichsten Krankheitssymptome, das bereits früh Erklärungsversuche provozierte. Die ältesten Darstellungen zum Thema Fieber gehen auf Hippokrates und vor allem Galen zurück. Während Hippokrates allerdings keine Fiebertheorien, sondern die Einflüsse äußerer Umstände zur Entstehung von Fieber festhielt, war es Galen, der theoretische Grundlagen über das Fieber formulierte. Im Werk von Galen lassen sich nicht nur verschiedene Ursachen, sondern auch verschiedene Arten von Fieber finden, deren grundlegende Unterscheidung in der Länge der Fieberschübe begründet ist. Bei allen Fiebererkrankungen ist die Lehre von den "kritischen Tagen" besonders wichtig. Diese sind durch einen charakteristischen Phasenverlauf der Erkrankung erklärbar: Anfang, Anstieg, Höhepunkt und Abfall. An besonderen Tagen kann der geübte Arzt eine Prognose über den weiteren Verlauf oder des Eintritts einer Krise erstellen.

Das medizinische Denken der Antike basierte auf der Vorstellung der Humoralpathologie. Analog zu den vier Elementen der griechischen Naturphilosophie Feuer, Erde, Luft und Wasser wird die Gesundheit des Menschen vom Gleichgewicht der vier Säfte bestimmt: Gelbe Galle, schwarze Galle, Blut und Schleim. Während der gesunde Mensch sich im Zustand der Eukrasie befindet, herrscht beim Kranken Dyskrasie. So kann bereits Galen das Fieber nach unterschiedlichen Kriterien einteilen, abhängig davon, welcher Elementarstoff beteiligt ist, in dem sich das Fieber entzündet. So handelt es sich beim "Ephemeros" genannten Eintagesfieber, um eine Erkrankung des Pneumas, beim "Hektikos" um eine Erkrankung der festen Stoffe, wie des Fleisches, der Blutgefäße, oder beim Faulfieber um eine Fäulnis der Säfte.

Diese Unterscheidung findet sich auch bei Isaac Israeli. Ishaq ibn Sulayman al-Israili, lateinisch Isaac Israeli, war im in der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts auf dem Gebiet des heutigen Tunesiens als Hofarzt am Herrscherhof der Aglabiden und später der Fatimiden in Kairuan tätig und verfasste mehrere medizinische Traktate. Er zählt somit zu jenen wichtigen arabischen Gelehrten, die das antike Wissen rezipierten, weiter bearbeiteten und vervollständigten und so für die westliche Medizin in Europa von entscheidendem Einfluss wurden. Denn nachdem in Europa in den Wirren der Spätantike und der Völkerwanderung ein Großteil des antiken Bildungsgutes verloren gegangen war, konnte ein wichtiger Teil dieses griechisch-lateinischen Wissens nur über den Umweg durch die Aufnahme in arabische Texte überliefert werden. Die arabische Medizin hatte ihren Höhepunkt im 10. und 11. Jahrhundert mit den drei großen Enzyklopädisten ar-Razi (latinisiert Rhazes), al-Magusi (latinisiert Haly Abbas) und Ibn Sina (latinisiert Avicenna).

Zentraler Ort der Medizin im westlichen Abendland war vom sechsten bis ins zwölfte Jahrhundert in erster Linie das Kloster mit der praktischen und angewandten Medizin im Vordergrund. Verbunden mit der medizinischen Schule von Salerno vollzog sich im 11. Jahrhundert ein revolutionärer Schritt nicht nur für die Medizin, sondern für die Wissenschaften in Europa allgemein. Dies war vor allem das Verdienst eines Mannes: Constantinus Africanus. Er war - als in Tunesien geborener Mönch - im Kloster Montecassino der erste große Übersetzer von Werken der griechischen-arabischen Wissenschaft, besonders aber der Medizin, aus dem Arabischen in das Lateinische. Sein Werk ist auch heute bei Weitem nicht in dem Maße aufgearbeitet, wie es seiner Bedeutung zukäme. Vorliegendes Buch möchte hier einen weiteren Beitrag leisten, indem es den Weg einer seiner Übertragungen, nämlich das Buch der Fieber von Isaac Israeli, vom arabischen Originaltext zur lateinischen Übersetzung bis hin zu ihrem konkreten Gebrauch im universitären Umfeld Europas nachzeichnet.

Erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts begann in der Naturwissenschaft und Medizin die Überwindung der graeco-arabischen Wissenschaft. In einem langsamen Prozess wurde das zunehmend erstarrende Kenntnisniveau, das auf dem Beharren auf Autoritäten wie Galen und Avicenna beruhte, durch eigene Naturbeobachtung, eigene Experimente und selbstständiges Denken aufgebrochen. Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt herrschte nicht nur in der Medizin unangefochten die Wissenschaft mittelalterlicher Tradition mit ihrem Ursprung in der griechischen Antike und den sich daraus ableitenden Entwicklungen der islamischen Welt.

Das Buch der Fieber (Kitab al hummayat) wurde in der ersten Hälfte des 10 Jahrhunderts in der Region geschrieben in der 100 Jahre später Constaninus Africanus geboren werden und mit seiner wissenschaftlichen Arbeit beginnen sollte. Es gilt als das bedeutendste Werk der arabischen Medizin zu diesem Thema. Es gliedert sich in fünf Teile, die theoretischen Grundlagen, das so genannte Eintagsfieber, das hektische Fieber, das akute Fieber und das Faulfieber behandeln. Das Werk liegt uns heute neben verschiedenen arabischen Abschriften, die allerdings jüngeren Datums als die Übersetzungen sind, in einer lateinischen Fassung - als Übersetzung des Constantinus Africanus - und in einer spanischen Übersetzung des 14. Jahrhunderts vor.

Die Autorin vergleicht in ihrer Arbeit nicht nur die inhaltlichen Unterschiede zwischen den arabischen Fassungen und den Übersetzungen, sondern auch - und dies sehr ausführlich - die sprachlichen Unterschiede. Kürzungen, Ergänzungen und Auslassungen werden penibel herausgearbeitet. Dies macht diese Publikation wissenschaftlich höchst präzise und korrekt, wenngleich der rein historisch interessierte Leser, hier mit reichlich trockenen Studienergebnissen konfrontiert wird. Die präsentierten Ergebnisse sind allerdings schlüssig und vermitteln einen guten Überblick über die Entstehung, Bedeutung und Gebrauch der Publikation im mittelalterlichen Gelehrtenumfeld und der frühneuzeitlichen medizinischen Tradition. Wertvoll sind auch die erstmals erstellte Handschriftenliste zum Liber febrium mit den aus der Untersuchung sich ergebenden Abhängigkeiten und der Versuch einer chronologischen Einordnung. Aufschlussreich ist jedenfalls die Rezeptionsgeschichte in den verschiedenen Universitäten Europas: Die Statuten der wichtigsten medizinischen Fakultäten des Mittelalters, Kommentarliteratur, Abhandlungen bedeutender Gelehrter der großen Bildungszentren für Medizin von Salerno, über Paris bis Padua dienen als Beleg für die Bedeutung dieses medizinischen Textes. Schließlich scheut die Autorin nicht die aufwändige Aufgabe die Pantegni, eines der bedeutendsten medizinischen Kompendien des Mittelalters, auf die Texte des Fieberbuchs von Isaac Israeli zu prüfen und herzuleiten.

Vier Kapitel des Kitab al-hummayat werden der Fachwelt durch eine Edition näher gebracht. Wünschenswert wäre freilich, eine gesamte Edition des Buches der Studie anzuschließen, um auch Textstellen, die zum Beispiel Rezepte inkludieren, in Zusammenhang des Textes lesen und verstehen zu können.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass diese als Dissertation konzipierte Studie nicht nur einen faszinierenden Einblick in die graeco-arabische Medizin, sondern auch wichtige Aufschlüsse über die lateinische Übersetzungstätigkeit eines Constantinus Africanus und seiner vielen Nachfolger zulässt, denn der Traktat des Liber Febrium Isaac wurde bis in die Frühe Neuzeit hinein gelesen und verlor erst mit dem Humanismus und dem mit ihm verbundenen Wissenschaftsbild an Einfluss. Bis man allerdings im hektischen Fieber, auch "Phthysis", die chronische Tuberkulose und in vielen anderen Fieberzuständen Infektionskrankheiten, wie Malaria, Typhus oder Gelbfieber als Infektionskrankheit erkennen konnte, sollten noch einige Jahrhunderte vergehen und viele tausende Menschen unter den Fieberschüben leiden.

Gilbert Zinsler