Sebastian Scholz: Politik - Selbstverständnis - Selbstdarstellung. Die Päpste in karolingischer und ottonischer Zeit (= Historische Forschungen; Bd. 26), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, 512 S., 10 Tafeln, ISBN 978-3-515-08933-3, EUR 58,00
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Die anzuzeigende Mainzer Habilitationsschrift setzt sich mit einem klassischen Thema der mittelalterlichen Geschichtswissenschaft auseinander. Der Schwerpunkt liegt auf der Frage nach Selbstverständnis und Selbstdarstellung, wobei der Verfasser darauf hinweist, dass Selbst- und Amtsverständnis nie als "Ganzes zum Ausdruck gebracht" würden. Es handelte sich vielmehr immer um eine "situationsgebundene Selbstdarstellung" (16). Insofern berücksichtigt der Verfasser die kritischen Äußerungen Michael Borgoltes zur Verwendung des Begriffes "Selbstverständnis", die sich freilich eher auf genealogisch-personengeschichtliche Zusammenhänge bezogen hatten. Um dieses Selbstverständnis der Päpste, das auch ein Amtsverständnis sein konnte, zu erschließen, bedient sich Scholz verschiedenster Zeugnisse, insbesondere der Briefe, Urkunden, Synodalprotokolle sowie Bilder und Inschriften. Den jeweiligen Quellenwert dieses Schriftgutes legt der Verfasser im einleitenden Kapitel dar; in der folgenden Untersuchung wird deutlich, wie sehr die mögliche Artikulation von Selbstverständnis und Selbstdarstellung davon abhängig war, ob sich Möglichkeiten hierzu boten. Zu berücksichtigen war aber grundsätzlich, ob zum jeweiligen Pontifikat die einschlägigen Zeugnisse (beispielsweise Briefe oder Epitaphien) überliefert wurden.
Die Abhandlung selbst ist nach einem ersten einleitenden Kapitel in zwei bzw. drei große chronologisch ausgerichtete Sachkapitel gegliedert: Papsttum und Karolinger (2), Papsttum und Ottonen (3), Ausblick, Rezeption und Neuansatz unter Clemens II. und Leo IX. (4), bevor eine Schlussbetrachtung sodann ein Abkürzungs- und Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister und Abbildungen den umfangreichen Band beschließen. Das besonders ausführliche zweite Kapitel umfasst den größten Zeitraum, weil es bereits mit dem Jahr 732 und den Auseinandersetzungen Gregors II. mit Byzanz beginnt. Diese Phase kann Scholz überzeugend neu deuten, indem er Synodalbeschlüsse, liturgische Neuerungen und Inschriften als Ausdrucksweise eines neuen Selbstverständnisses gegenüber Byzanz nutzt. Ähnlich umsichtig geht Scholz mit den weiteren Phasen der karolingischen Geschichte um, hebt im Zusammenhang des Bündnisses der Päpste mit den Karolingern vor allen Dingen die Bedeutung der Salbung 754 als Grundlage für die Schutzpflicht der Karolinger gegenüber der römischen Kirche heraus. Den Päpsten war in der Folge in jedem Fall daran gelegen, das Schutzversprechen Pippins nicht nur auf die Langobarden zu beziehen, sondern in einen größeren Zusammenhang zu stellen, wie der Verfasser durch die Auswertung verschiedener Quellenzeugnisse, auch des Codex Carolinus', deutlich machen kann. Die Ankunft Karls des Großen in Rom 774 interpretiert Scholz meisterlich aus der Perspektive eines Gedichtes, das Hadrian zusammen mit kirchenrechtlichen Texten 774 an Karl schickte (83ff.). Hier wird deutlich, dass Hadrian selbst der Ansicht war, dass die Siege Karls und auch seines Vaters Pippin deshalb erfolgt seien, weil die Herrscher der Lehre der Kirche gehorcht hätten. Ähnlich souverän deutet Scholz eine Inschrift aus dem Jahre 781, die eine Interpretation der Zweigewaltenlehre aus päpstlicher Sicht deutlich macht. Insofern vertritt der Verfasser mit mehreren Argumenten die These, dass seit Hadrian I. der Akt der Salbung von 754 in den Hintergrund trat, dafür die Bedeutung des päpstlichen Gebetes für die Blüte des fränkischen Reiches konstitutiv wurde.
Ein eigenes Selbstverständnis formulierte auch Hadrians Nachfolger Leo III. besonders in Bildern und Inschriften. Diese Akte erklären sich daraus, dass die politischen Beziehungen zwischen den Päpsten und den Herrschern des Frankenreiches konfliktiv blieben, und beide Seiten sich voneinander abgrenzten. Insofern wird das vielfach besprochene Trikliniumsmosaik als eine Antwort auf die karolingischen Ansprüche interpretiert. Im 9. Jahrhundert wird die Überlieferungsbasis schmaler. Entscheidende Bedeutung misst Scholz der Constitutio Romana von 824 zu, die eine Verrechtlichung der Beziehungen zwischen Karolingern und Päpsten einleitete sowie die Aktionen Papst Gregors IV. 833 im Frankenreich. Das Papsttum wurde in dieser Phase zu einer Entscheidungsinstanz, wie dies vorher nicht denkbar gewesen sei. In diesen Zusammenhang ordnet Scholz die Entstehung der pseudoisidorischen Dekretalen in der Zeit zwischen 835 und 838 in Kloster Corbie ein, wie sie in jüngerer Zeit Klaus Zechiel-Eckes nachgewiesen hat. Die Diskussion päpstlichen Selbstverständnisses in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts setzt bei Leo IV. an und rückt dann den Pontifikat Papst Nikolaus I. in den Vordergrund. Insbesondere dieser Papst hat gerade in seinen Briefen die Primatsidee deutlich formuliert und damit das Selbstverständnis der Päpste nachhaltig geprägt, obwohl auch er diesen Anspruch nur bedingt durchsetzen konnte. Wenn ein Papst Johannes VIII. ein solches Programm nicht in vollem Umfange weiter durchführen konnte, so lag dies auch an den äußeren Bedrohungen. Aber selbst die zunächst so unbedeutend scheinenden Päpste an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert hielten einen gewissen Anspruch aufrecht, wie Scholz durch die Untersuchung der erhaltenen Epitaphien der "formosianischen Päpste" deutlich machen kann. Dies gipfelte darin, dass im Epitaph Johannes' IX. sogar die Bezeichnung Dominus mundi aufscheint.
Kapitel 3 geht von der Grundthese aus, dass die Kaiserkrönung Ottos I. die Bedingungen für päpstliche Politik und Selbstdarstellung wieder grundsätzlich veränderte und setzt entsprechend erst mit dem Jahre 962 ein. Das Argument für diese Beschränkung liegt darin, dass es erst jetzt wieder Foren zur Selbstdarstellung gab. Aber auch hier lassen sich Einschnitte und Veränderungen durch die Nutzung bisher vernachlässigter Quellengruppen deutlich aufzeigen. Das Epitaph Johannes XIV. wird als "Zeugnis einer neuen Amtsauffassung" (307) interpretiert. Mit Johannes XIV. bestieg ein enger Vertrauter des Kaisers den Papstthron. Entscheidend war jedoch, dass die Vertrautheit mit dem Kaiser nun erstmals in eine Inschrift aufgenommen wurde. Den Höhepunkt der Zusammenarbeit zwischen Kaiser und Papst sieht Scholz vor allen Dingen in den Pontifikaten von Gregor V. und Silvester II. Bei Gregor V. ist abermals das Papstepitaph aufschlussreich, wird hier doch die Herkunft des Papstes in der Inschrift besonders hervorgehoben. Die Abkunft aus königlichem Geschlecht scheint damit fast zu einem qualifizierenden Merkmal für die Papstwürde zu werden (361). Die Zusammenarbeit gipfelte in der Bezeichnung Principes orbis für Silvester II. und Otto III. Neben einer Fülle zahlreicher neuer Einsichten kann durch das Epitaph Silvesters II. deutlich gemacht werden, dass der Papstname nicht unbedingt auf den Silvester des Constitutum Constantini anspielt, sondern eher eine neue Aufgabe bezeichnete. Insofern war die Darstellung Silvesters eher auf den Wiederhersteller der römischen Kirche in der Silvesterlegende als auf das Constitutum Constantini bezogen (395). Wenn auch unter Heinrich II. wieder eine größere Distanz zwischen König, Kaiser und Papst eintrat, so entwickelte sich doch eine neue Vorstellung. Hatten bisherige Forschungen schon auf die Bedeutung der Papstnamenänderung hingewiesen, so führen wiederum die neuen Untersuchungen der Epitaphien weiter. Demnach sollte der neue Name vor allen Dingen die neue Aufgabe in Rom andeuten und damit die besondere Eignung der jeweiligen Personen eindringlich sichtbar machen.
Das nur kurze vierte Kapitel ist als Ausblick auf die Pontifikate Clemens II. und Leos IX. konzipiert und zeigt, auf welcher Basis diese beiden Päpste ihre primatialen Vorstellungen entwickeln konnten. Die Grundlagen, die im 5. Jahrhundert gelegt und von Leo IV. und Nikolaus I. verstärkt wurden, dienten hier als feste Basis. Aber auch die Amtsauffassung, dass dem Papst durch seinen Namen eine ganz besondere Aufgabe zufalle, wurde von beiden Vertretern aufgegriffen. Insofern kann Scholz in seiner Schlussbetrachtung abrundend auf drei Aspekte seiner Arbeit hinweisen: päpstlicher Primatsanspruch, Rolle des Papstes als Beschützer weltlicher Herrschaften, Beziehung von Kaiser und Papst.
Insgesamt entsteht ein auch aus neuem Quellenmaterial gearbeitetes differenziertes Bild päpstlicher Selbstdarstellung und Amtsauffassung über drei Jahrhunderte hinweg, wobei manche Passagen auch eher referierend bleiben müssen. Es wäre nicht angemessen, bei einem solchen weit gespannten thematischen Zugriff weitere Wünsche anzubringen. Zu erwarten ist allerdings, dass die fast gleichzeitig vorgelegte Arbeit von Florian Hartmann zu Papst Hadrian I. (2006) noch Diskussionen über die Rolle dieses Papstes hervorrufen wird. Ein kleines Fragezeichen möchte der Rezensent auch bei der Einschätzung der päpstlichen Urkundentätigkeit im 9. Jahrhundert anfügen. Wenn darauf hingewiesen wird, dass die Schutzprivilegien, die in Rom erbeten wurden, gegen Ende des 9. Jahrhunderts und dem beginnenden 10. Jahrhundert deutlich abnahmen (265), so müsste zunächst eine sichere Statistik für die urkundlichen Quantitäten des 9. Jahrhunderts erarbeitet werden.
Insgesamt ist der Arbeit von Sebastian Scholz höchste Anerkennung zu zollen, weil sie methodisch sauber, innovativ und unter Nutzung neuen Quellenmaterials und neuer Interpretationsmethoden eine neue Sicht der Papstgeschichte bietet. Damit ordnet sich die Arbeit in einen Kontext von Studien ein, die in den letzten zehn Jahren vor allen Dingen durch Nutzung bisher eher wenig geachteter Quellengruppen und durch verfeinerte Interpretationsmethoden zu neuen Ergebnissen vorgestoßen sind. Die Mainzer Habilitationsschrift sollte künftig von jedem konsultiert werden, der sich mit der frühmittelalterlichen Papstgeschichte auseinandersetzt.
Klaus Herbers