Catherine Granger: L'Empereur et les arts. La liste civile de Napoléon III (= Mémoires et documents de l'école des chartes; 79), Paris: École des Chartres 2005, v + 866 S., ISBN 978-2-900791-71-4, EUR 60,00
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Catherine Granger geht in Ihrem monumentalen Werk, einer gedruckten Dissertation an der "École pratique des hautes études" in Paris, einem vielfach vernachlässigten Instrument dynastischer Kunstförderung der Neuzeit nach. Es handelt sich dabei um die so genannte "Zivilliste", die eine jährliche Dotation bezeichnet, die einem Monarchen und seinen Angehörigen aus der Staatskasse zur Verfügung stand. Diese finanzielle Grundlage des Mäzenatentums bildete seit ihrer Einrichtung im Jahr 1790 unter König Ludwig XVI. - nach englischem Vorbild - einen wesentlichen Eckpfeiler der Ausgaben für Belange der bildenden Kunst. Kaiser Napoleon III. standen - bis zur Auflösung dieser "Zivilliste" am 6. September 1870 - pro Jahr mehr als 34 Millionen Francs für Bautätigkeit, Kunstankäufe und vieles mehr zur Verfügung. Mithilfe eines genauen Archivstudiums, das den wesentlichen Grundstock der vorliegenden Arbeit bildet und ein Höchstmaß methodischer Präzision in der ruhmreichen Tradition der "École des chartes" dokumentiert, können sowohl der spezifische Charakter der Kunstförderung dieses Herrschers als auch die vielschichtige Persönlichkeit Napoleons III. besser charakterisiert werden. Erstmals lassen sich auf einer umfangreichen Quellenbasis die Strategien hinsichtlich der Ankäufe von Gemälden und Skulpturen sowie der finanziellen Dotationen für Palais und Museen fester umreißen. Damit wird ohne Zweifel eine wesentlich bessere Kenntnis der "Kunstpolitik" Napoleons III. und der Bestände der Sammlungen kaiserlichen Familie erreicht. Die Autorin kommt zur generellen Schlussfolgerung, dass auf Grund des analysierten Archivmaterials (Inventare des Privateigentums, museale Archive, Ministeriumsakten, Erinnerungen, Korrespondenzen etc.) die bisher in der Forschung vorherrschende Charakterisierung Napoleons III. als eines an Kunst eher desinteressierten Monarchen, der vorwiegend an Sujets der "Salonmalerei" in der Art von Alexandre Cabanels berühmter "Geburt der Venus" Gefallen gefunden habe, nachdrücklich zu relativieren ist. Vielmehr registriert man mit Erstaunen, dass dieser Herrscher neben vielen anderen Werken auch drei Gemälde Jean-Baptiste Camille Corots erwarb (499f.).
Die "Zivilliste" Napoleons III. wurde auf Grund eines Senatskonsults am 12. Dezember 1852 beschlossen. Die entsprechende Dotation beinhaltete die in Paris und in der Provinz gelegenen Palais, drei Museen sowie die staatlichen Manufakturen. Die finanzielle Ausstattung dieser "Zivilliste", die ursprünglich 25 Millionen Francs umfasste, steigerte sich im Laufe der Zeit auf 34 Millionen Francs, was einem Anteil von 2% des Staatsbudgets gleichkommt. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen gewährten einen beträchtlichen Spielraum für die Zweckbindung dieser Ausgaben. Dazu zählt unter anderem auch der Bereich direkter monarchischer Kunstförderung, wie er etwa im "grand prix de l'empereur" zum Ausdruck kommt. Dieser Preis in der Höhe von 100.000°Francs wurde im Jahr 1869 dem Architekten Louis-Joseph Duc zuerkannt. Verwaltet wurde der kaiserliche Kunstbesitz von Comte Émilien de Nieuwerkerke, der zuerst Direktor der kaiserlichen Museen war und in der Folge 1863 die Funktion eines "Surintendant des beaux-arts" bekleidete. Seine Berufung ist ohne Zweifel auf eine Liaison mit Prinzessin Mathilde, Cousine des Kaisers, zurückzuführen. Émilien de Nieuwerkerke war für vier Museen (Louvre, Luxembourg, Versailles und Saint-Germain-en-Laye) zuständig, für die in den kaiserlichen Palästen befindlichen Kunstwerke, die Abwicklung der Aufträge für die Anfertigung von Gemälden, Skulpturen und Stichen sowie für die Organisation des "Salon". Er übte somit eine mächtige Funktion aus, die ungefähr jener Vivant Denons am Beginn des Jahrhunderts entspricht.
Die methodische Besonderheit der umfangreichen Studie Catherine Grangers besteht besonders darin, dass sich die Autorin nicht auf die Dokumentation der archivalischen Situation allein beschränkt. Granger führt den Leser anhand vieler Fallbeispiele in die komplexen Mechanismen der Auftragsvergabe und der monarchischen Entscheidungsfindung ein. Das umfangreiche Werk gliedert sich in vier große Teile - in eine Analyse des Gebrauchs der "Zivilliste", in einen Abschnitt, der die Kunstankäufe behandelt, einen Teil mit der Charakterisierung der kaiserlichen Museen sowie in den abschließenden Teil, der die Liquidation der "Zivilliste" behandelt. Ein genaues Verzeichnis der auf Grund der "Zivilliste" erworbenen Werke (457-643) ermöglicht eine detaillierte qualitative und quantitative Charakteristik der Bestände. Die entsprechenden Werke sind minuziös quellenmäßig, hinsichtlich ihrer Provenienz wie in Bezug auf den jeweiligen Fonds der Ankaufsdotation genau dokumentiert. Nicht ohne Interesse registriert man, dass - etwa analog zur Kunstpolitik der Habsburger in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - Werke mit Sujets der Landschafts-, Militär- und Genremalerei (und fallweise auch der sentimentalen religiösen Malerei) in der Prioritätenliste ganz oben rangieren. Die Objekte demonstrieren in dieser Hinsicht einen repräsentativen Querschnitt der Salonproduktion. Nur in Einzelfällen kann auf Aspekte der Herrschaftslegitimation und Identitätsstiftung des Monarchen rückgeschlossen werden, etwa in Fall des Ankaufs eines Gemäldes von Auguste Bouchet mit dem Titel "Le champ de César, près d'Aps" (1869, 482), das bereits im Salonkatalog auf Napoleons III. "Jules César" bezogen wurde. Die wiederholte Bezugnahme auf Julius Cäsar ist ein durchgehendes Charakteristikum - besonders manifest in einem Porträt Cäsars von Ingres (549f.), das einerseits auf einen direkten Auftrag des Kaisers zurückgeht und andererseits als Grundlage für die Frontispizillustration des ersten Bandes der von Napoleon III. verfassten "Histoire de Jules César" diente. Themen aus der französischen Historie treten kaum auf, zum Teil aber zeitgenössische, quasi-dokumentarische Gemälde mit der Darstellung von Ereignissen aus den Feldzügen Napoleons III. aus den Fünfzigerjahren. Der Bezug auf Napoleon Bonaparte äußerst sich zuweilen im Ankauf von Bildern, deren Themen deutlich auf die "große Zeit" napoleonischer Kunstpolitik Bezug nehmen (z.B. Clément Pruche, "Distribution des aigles par l'empereur au Champ-de-Mars, le 10 mai 1852", 613).
Catherine Grangers Studie besitzt Vorbildwirkung für die Aufarbeitung der monarchischen Repräsentation im europäischen 19. Jahrhundert. Zusammen mit Anne Dion-Tenenbaums kleiner Studie "Les appartements Napoléon III" (Paris 2006) ist nunmehr ein guter Einblick in die "Kunstpolitik" dieser Zeit gegeben. Leider sind wir weder für die Residenzen in Berlin, Wien, München oder Madrid über die Situation der monarchischen Auftragsvergabe ähnlich detailliert informiert. Wer sich jemals der Mühe unterzogen hat, Güterverzeichnisse, Inventarbände und Musealakten hinsichtlich ihres Aussagewertes für monarchische Kunstpolitik zu untersuchen, der wird die vorliegende Studie sehr gerne als Leitfaden zur Anfertigung entsprechender Studien zur Hand nehmen.
Werner Telesko