Rezension über:

Elisabeth Großegger: Mythos Prinz Eugen. Inszenierung und Gedächtnis, Wien: Böhlau 2014, 406 S., 12 Farb-, 57 s/w-Abb., ISBN 978-3-205-79501-8, EUR 39,00
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Rezension von:
Werner Telesko
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Werner Telesko: Rezension von: Elisabeth Großegger: Mythos Prinz Eugen. Inszenierung und Gedächtnis, Wien: Böhlau 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 5 [15.05.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/05/24565.html


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Elisabeth Großegger: Mythos Prinz Eugen

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Die vorliegende Publikation geht auf ein langjähriges kulturwissenschaftliches Forschungsprojekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zurück und nimmt in der Wahl des Buchtitels die aktuelle Mythenforschung auf, der zufolge bestimmte historische Persönlichkeiten aus dem Blickpunkt der jeweiligen Gegenwart immer neue Bedeutungen generieren können. Methodisch ist das Buch der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung Jan und Aleida Assmanns sowie den Arbeiten von Moritz Csáky verpflichtet, der diese Fragestellung besonders für mitteleuropäische Beispiele fruchtbar gemacht hat.

Das Werk ist in zehn Kapitel gegliedert, die in chronologischer Folge der jeweiligen Aktualisierung des Prinzen Eugen (1663-1736) nachspüren, wobei der fachlichen Herkunft der Autorin entsprechend Theaterstücke und Romane im Zentrum der Betrachtung stehen, die bildende Kunst sowie die wissenschaftliche Historiografie mit wenigen Ausnahmen aber leider fast völlig wegfallen. Großegger legt ihren Ausführungen die Prämisse zugrunde, die Erinnerung an Prinz Eugen könne als "Bestandteil einer kulturellen Identität Österreichs" (9) angesehen werden. Anhand vieler Beispiele - besonders aus dem 19. und 20. Jahrhundert - kann die Autorin zeigen, dass zu keinem Zeitpunkt fixe Deutungen vorliegen, sondern vielmehr von einem permanenten Prozess in der Zuordnung von Identitätsfunktionen des Prinzen auszugehen ist, denen inhaltlich das durchgehend zu beobachtende "Siegesnarrativ" (11) zugrunde liegt. In der Tat ist Prinz Eugen eine Persönlichkeit, die fast ausschließlich über militärische Triumphe und (in geringerem Ausmaß) über Friedensbemühungen rezipiert wird. Diesem dominierenden Aspekt können kaum (vgl. 101-106) nennenswerte biografische Elemente an die Seite gestellt werden, die dem Prinzen einen effektvollen heroischen Lebenslauf - verglichen mit Wallenstein, Friedrich II. oder Napoleon - verleihen würden: Er ist in diesem Sinn über weite Strecken ein "Held ohne persönliches Schicksal" (89). Dieser Aspekt wird bereits in der bei Großegger nicht thematisierten Medaillenentwurfsserie "Eugenius nummis illustratus" (1738) deutlich, welche die militärischen Leistungen des Prinzen in eine beeindruckende "histoire métallique" fasst. Diese bereits im 18. Jahrhundert sich verstetigende Mythenbildung war der Ansatzpunkt, um an einer weiteren historischen Bruchstelle der Geschichte Österreichs, dem späten 18. Jahrhundert und dem Kampf Erzherzog Carls gegen Frankreich, sukzessive in das "Funktionsgedächtnis" (Aleida Assmann, 63) übergeführt zu werden, wie der Einakter Karl Friedrich Henslers, "Eugen der Zweyte" (1796), nachdrücklich beweist (63-78). Ab diesem Zeitpunkt - dies wird bei Großegger deutlich - wird die Militärgeschichte des Prinzen zu einer mehr oder weniger flexiblen Dispositionsmasse der (Wiener) Theaterproduktion der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wobei sich die bekannte Mehrfachidentität des kosmopolitischen Prinzen vor dem Hintergrund des politisch rasant an Bedeutung gewinnenden deutsch-österreichischen Dualismus ideal auswerten ließ. Gerade in Bezug auf diese Frage wäre eine Behandlung der borussianischen und habsburgischen Geschichtsschreibung (Alfred von Arneth, 1858), die im Übrigen von den Künstlern konsultiert wurde, hilfreich gewesen. Großegger zufolge fungiert der Prinz als "multivalentes Identitätsangebot für Europa, Österreich und Deutschland" (87), wobei hinzuzufügen wäre, dass dieses Angebot erstaunlicherweise in der habsburgischen Schlachten- und Historienmalerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts kaum (mit Ausnahme von Eduard Engerths Riesengemälde, 161f.) genützt wurde.

Umso interessanter ist die Tatsache, dass mit der Enthüllung des Prinz Eugen-Denkmals von Anton Dominik Fernkorn auf dem Wiener Heldenplatz (1865), welches das erste Monument der Haupt- und Residenzstadt darstellt, das einer Persönlichkeit gewidmet wurde, die nicht der regierenden Dynastie angehörte, eine neue Ära in der symbolischen Besetzung des öffentlichen Raumes eingeleitet wird. Ab diesem Zeitpunkt wurde das Gedächtnis an den Prinzen gleichsam "hoftheaterfähig" (147) bzw. von den Wiener Vorstadtbühnen in das Hofburgtheater transferiert, unterstrichen durch das immer präsente Lied vom Prinzen Eugen, "dem edlen Ritter". Großegger verleiht der im Folgenden von ihr referierten Kette von Theaterinszenierungen insofern einen besonderen inhaltlichen und gegen andere Gattungen abgesetzten Schwerpunkt, als sie Aufführungen von Geschichtsdramen die Eigenschaft von "immateriellen Denkmälern" (162f.) zuordnet, wiewohl Intermedialität etwa in Anton Langers "Prinz Eugen" (1865) zweimal explizit zum Thema gemacht wird (172, 185).

Die dichte Folge von Theaterstücken, die Prinz Eugen zum Inhalt hat und bei der Autorin kenntnisreich Darstellung findet, mündet am Beginn des 20. Jahrhunderts in neue Aufgabenstellungen, welche die "Glanzzeiten" österreichischer Geschichte insgesamt vor Augen führen sollen. Dazu gehört neben dem "Kaiserhuldigungsfestzug" (1908) das von Hugo von Hofmannsthal verfasste und von Franz Wacik illustrierte Kinderbuch "Prinz Eugen der edle Ritter" (1915). Wie auch in Felix Saltens "Prinz Eugen" (1915) wird dabei ein sich im Prinzen angeblich äußernder Tugendkanon in den Vordergrund gestellt, während die Bestrebungen von Ständestaat und NS-Regime primär darauf ausgerichtet waren, die Ära Prinz Eugens als "Heldenzeitalter" für die Gegenwart zu instrumentalisieren. In der bekannten Anschlussproklamation Hitlers vom März 1938 ließen sich politischer Anspruch und Ort der Inszenierung (mit Fernkorns Denkmal) zu einer verführerischen Synthese inszenieren (338f.). Mit der griffigen Formulierung "Der Held hat seine Schuldigkeit getan, der Held kann gehen" (343) unterstreicht die Autorin das unausweichliche Ende der politischen Instrumentalisierung des Prinzen, dessen Gedächtnis ab 1945 vor allem in der Präsentation seines Kunstpatronats weiterlebt.

Großegger zeichnet auf der Basis eines beachtlichen Materialfundus, in dessen Spektrum leider Zeugnisse der bildenden Kunst und Geschichtswissenschaft fehlen, neue Facetten und Schattierungen des "Mythos Prinz Eugen" heraus. Gedächtnisforschung wird von ihr insofern am konkreten Objekt eingelöst, das als lebendiger Teil der Erinnerungskultur nicht zur methodischen Leerformel gefriert, sondern vor dem Hintergrund der vielschichtigen Produktion fruchtbar gemacht wird.

Werner Telesko