Rezension über:

Alessandra Guiglia Guidobaldi / Claudia Barsanti: Santa Sofia di Costantinopoli. L'arredo marmoreo della Grande Chiesa giustinianea (= Studi di Antichità Cristiana; LX), Città del Vaticano: Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana 2004, XVI + 893 S., ISBN 978-88-85991-36-1, EUR 120,00
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Rezension von:
Martin Dennert
Christliche Archäologie und Kunstgeschichte, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Ute Verstegen
Empfohlene Zitierweise:
Martin Dennert: Rezension von: Alessandra Guiglia Guidobaldi / Claudia Barsanti: Santa Sofia di Costantinopoli. L'arredo marmoreo della Grande Chiesa giustinianea, Città del Vaticano: Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana 2004, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 7/8 [15.07.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/07/11358.html


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Alessandra Guiglia Guidobaldi / Claudia Barsanti: Santa Sofia di Costantinopoli

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Die Bauplastik der Hagia Sophia in Konstantinopel bildet zweifellos den größten Komplex von Architekturskulptur, der in spätantik-frühbyzantinischer Zeit für ein einzelnes Bauwerk gefertigt wurde und der vor allem bis heute in situ erhalten ist. Wie bei vielen wichtigen Bauten war es jedoch wohl vor allem die Fülle des Materials, die bis heute von einer umfassenden Publikation abgeschreckt hat. Lediglich in dem großen dreibändigen Werk von E. M. Antoniades ist bislang ein Teil vorgestellt worden. [1] Danach sind zwar immer wieder einzelne Bauglieder abgebildet und besprochen worden, nie jedoch die Gesamtheit. Die überwiegende Menge ist unpubliziert. Umso verdienstvoller ist daher ein seit 1990 verfolgtes Projekt von Alessandra Guiglia Guidobaldi und Claudia Barsanti zur Dokumentation und Bearbeitung des Gesamtbestandes der Bauplastik des justinianischen Großbaues. In mehreren Kampagnen von 1999 bis 2003 konnte es durchgeführt werden und liegt nun in diesem umfangreichen Werk vor, welches neben den beiden Hauptautorinnen von Mauro della Valla, Roberta Flaminio, Andrea Paribeni und Asnu Bilban Yalçιn bearbeitet wurde. [2]

Die beiden Autorinnen hatten bereits 1992 die Bauplastik von S. Clemente in Rom publiziert [3], ein geschlossener Komplex von aus Konstantinopel importierter Bauskulptur, damals schon eine umfassende und musterhafte Untersuchung eines umfänglichen Bestandes. Hier folgt nun die Fortsetzung dieses Weges in der Bearbeitung eines hauptstädtischen Großbaues.

Die drei ersten Hauptkapitel widmen sich dem Material nach seinem Anbringungsort: Kapitel I (55-311) den Fenstern, ihren Rahmen und Gittern, den Verschlussplatten sowie den reich dekorierten Soffitten der Fensterarchitrave. Gerade auf die genaue Vorlage der undekorierten Teile muss lobend hingewiesen werden, ein sonst kaum beachtetes Material. Die Verschlussplatten, die zunächst in einem detaillierten Katalog vorgestellt werden (89-199), werden sodann mit zahlreichen Vergleichsbeispielen in die Produktion justinianischer Zeit eingeordnet (201-229). Ähnlich werden die Fenstersoffitten behandelt (289-289), hier findet sich neben dem Katalog etwa eine kurze Geschichte der Soffittendekoration und gar noch die vollständige Dokumentation aller Soffitten der Sergios und Bakchos-Kirche in Istanbul.

Kapitel II ist den Schrankenplatten der Galerie gewidmet, der zweifellos umfangreichsten Gruppe solcher Schrankenplatten, die wir kennen. Auf den Katalog, der alle Stücke in Vorder- und Rückseitenbildern und detaillierter Beschreibung präsentiert (317-421), folgt wieder die Einordnung (423-474). Herausgearbeitet wird trotz der zunächst generellen Einheitlichkeit die große Vielfalt in den Einzelformen der Platten (320 Tav. VIII), wie auch in ihrer unterschiedlichen Ausarbeitung und Plastizität. So sind etwa die Profile auf den zum Innenraum zeigenden Plattenseiten viel plastischer als die auf den zur Galerie hin weisenden Seiten. Deutlich werden auch die Unterschiede zu den einfacher gearbeiteten Platten der Fensterverschlüsse (94 Tav. V). Mit zahlreichen Vergleichsbeispielen aus anderen Bauten, illustriert durch reiches Abbildungsmaterial, werden die Platten dann wieder in das Repertoire des 6. Jahrhunderts eingebunden. Die gleiche Sorgfalt wie die Schrankenplatten erfährt auch hier wieder die Behandlung der oben aufgelegten, einzeln gearbeiteten, nur profilierten Gesimsblöcke (475-487), Material, das sonst kaum beachtet wird. Es schließt sich die Untersuchung von fünf durchbrochen gearbeiteten Transennen an, die in der Sultansloge des 19. Jahrhunderts wieder verwendet wurden (489-529), auch hier unter Aufbietung des gesamten bekannten Vergleichsmaterials.

Kapitel III (533-648) behandelt in mühsamer Kleinarbeit die nicht mehr in situ im justinianischen Bau erhaltene Skulptur, meist Fragmente von Schrankenplatten, die zu Reparaturzwecken an verschiedensten Stellen, vor allem im Fußboden, wieder verwendet wurden. Hier finden sich aber auch wichtige Beobachtungen zu ehemals abgeschrankten Bereichen im Bau, besonders auf der Empore. Ein ausführlicher Exkurs (611-616) beschäftigt sich mit der Grabplatte des venezianischen Dogen Enrico Dandolo auf der Empore, jedoch wird hier eher die verstreute Literatur referiert, als dass neue Ergebnisse vorgelegt werden können.

Kapitel IV (651-734) widmet sich den Steinmetzmarken des Baues. Der Bestand ist erstaunlich: Mehrere hundert Exemplare konnten 111 verschiedenen Gruppen in 172 Varianten zugeordnet werden. Es lässt sich eine gut organisierte Zusammenarbeit unterschiedlicher Steinmetze (oder Steinmetzgruppen) nachweisen, die teilweise auf einzelne Typen von Werkstücken spezialisiert waren, häufig aber auch mehrere Typen produzierten. Auch lässt sich aufzeigen, dass verschiedene Zeichen nur in unterschiedlichen Teilen des Baues vorkommen, was auf eine hoch differenzierte Baustellenlogistik hinweist.

Kapitel V (738-792) beschäftigt sich mit der Restaurierung der Hagia Sophia durch die Gebrüder Fossati 1847-49 und ihre Auswirkung auf die Bauplastik. Hier wird erstmals die von den Fossatis errichtete Sultansloge gewürdigt, die teilweise aus wieder verwendeten, aber überwiegend aus neu gefertigten Steinmetzarbeiten in Imitation justinianischer Werkstücke besteht. Nur einen knappen Ausblick bekommt man zum Schluss auf die weitere Rezeption der byzantinischen Plastik im 19. und frühen 20. Jahrhundert in Istanbul, wo sich noch weitere Bauten mit neobyzantinischer Bauplastik anführen ließen. Hier ergibt sich ein lohnendes weiteres Untersuchungsgebiet: Die neobyzantinische Bauplastik ist bisher kaum ins Blickfeld getreten, genannt sei hier etwa ein Bau wie die Alexander-Newski-Kathedrale in Sofia, bei der das Vorbild für die Bauplastik jedoch nicht die Ausstattung der Hagia Sophia, sondern diejenige von San Marco in Venedig gewesen zu sein scheint. [4]

Der nicht auf das Gebiet der byzantinischen Architekturskulptur spezialisierte Leser wird sich vielleicht fragen: Ist die Vorlage jedes einzelnen dekorierten Baugliedes mit Beschreibung und Abbildungen beider Seiten eigentlich notwendig? Aber dieses Buch zeigt eben, wie nötig dies ist: Denn nur so wird die überraschende Vielfalt dieses doch zunächst so einförmig wirkenden Materials deutlich. Gerade das macht es für den Betrachter und den Wissenschaftler nie langweilig. Weitere Großbauten der frühbyzantinischen Zeit sollten in gleicher Ausführlichkeit vorgelegt werden, erwähnt seien nur die Johanneskirche in Ephesos, die Lechaion-Basilika in Korinth oder die Basiliken von Nea Anchialos, deren Bauskulptur in ihrer Masse als unpubliziert zu gelten hat. Wenn mehr solcher Studien vorliegen, wie wir sie jetzt dank Alessandra Guiglia Guidobaldi und Claudia Barsanti für S. Clemente und die Hagia Sophia besitzen, dann sind auch weitergehende Fragestellungen etwa zu Produktion und Ästhetik, zu Abhängigkeiten und Unterschieden möglich.

Zu bedauern ist, dass nicht auch die restliche Bauplastik in dieser vorbildlichen Form bearbeitet wurde: insbesondere die Säulen mit ihren Kapitellen und Basen sowie die Gebälke [5], aber auch die Türprofile; zudem würde man hier gerne mehr über die Varietas der Formen erfahren. Abhilfe schafft wohl die bereits in Gang befindliche Fortsetzung des Projekts, die jedoch hauptsächlich die Bestände des Aya Sofya Müzesi sowie seiner 'Zweigstellen' bearbeiten wird, worunter sich Bauten wie die Studios-Kirche und das Parekklesion der Pammakaristos-Kirche befinden.

Neben den reichen Ergebnissen für die byzantinische Bauplastik lenkt dieser Band jedoch auch die Aufmerksamkeit auf das noch Fehlende: Der Hagia Sophia sind in den vergangenen Jahren mehrere Studien gewidmet worden [6]; ein Desideratum bleibt jedoch auch weiterhin eine wirkliche Baugeschichte. [7]


Anmerkungen:

[1] Eugenios M. Antoniades: Ekphrasis tes Hagias Sophias, Athen 1907-09.

[2] Vgl. auch die informative Homepage des Projekts: www.misart.it/hpmisart/scheda.cfm?idmissione=10

[3] Federico Guidobaldi / Claudia Barsanti / Alessandra Guiglia Guidobaldi: San Clemente. La scultura del VI secolo, Rom 1992.

[4] Die Vorlagen wurden vermutlich vermittelt durch das seltene, vielbändige Prachtwerk La Ducale Basilica di San Marco, Venedig 1885-93, von dem sich heute ein Exemplar in einer eigens gefertigten zeitgenössischen Buchvitrine im Archäologischen Museum in Sofia befindet.

[5] Vgl. Lawrence E. Butler: The nave cornices of Hagia Sophia in Istanbul, Diss. University of Pennsylvania, Philadelphia 1989.

[6] Robert S. Nelson: Hagia Sophia, 1850-1950. Holy wisdom modern monument, Chicago 2004; W. Eugene Kleinbauer / Anthony White / Henry Matthews: Hagia Sophia, London 2004; Volker Hoffmann: Der geometrische Entwurf der Hagia Sophia in Istanbul, Bern u. a. 2005 (vgl. hierzu die Rezension von Martin Dennert in sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8, www.sehepunkte.de/2006/07/11357.html); Maria Luigia Fobelli: Un tempio per Giustiniano. Santa Sofia di Costantinopoli e la descrizione di Paolo Silenziario, Rom 2005 (vgl. die Sammelrezension von Robert Ousterhout in: Journal of the Society of Architectural Historians 65 (2006), 435-437).

[7] Ansätze in Rowland M. Mainstone: Hagia Sophia. Architecture, structure and liturgy of Justinian's great church, London 1988.

Martin Dennert