Souad Mekhennet / Claudia Sautter / Michael Hanfeld: Die Kinder des Dschihad. Die neue Generation des islamistischen Terrors in Europa, München / Zürich: Piper Verlag 2006, 232 S., ISBN 978-3-492-04933-7, EUR 14,00
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Laut Einband verspricht das vorliegende Buch zu erklären, "wie junge Männer, die zunächst integriert in Europa lebten, zu Terroristen wurden." Im Vorwort erfahren wir, dass die Autoren zu diesem Zweck diverse Orte in Europa, Afghanistan, dem Libanon, Jordanien, Marokko und Pakistan bereisten, um selbst mit den "Kindern des Dschihad" zu sprechen. Ich erwartete mir von den bekannten Journalisten Einblick in die Wirkungsweisen des politischen Islams auf Jugendliche in Europa. Da sich viele islam- und politikwissenschaftliche Darstellungen mit theoretischen Fragestellungen diesem Thema nähern, wünschte ich mir eine seriöse journalistische Momentaufnahme und damit eine Primärquelle, die uns in diesem Zusammenhang allzu oft fehlt. Doch kann das Buch weder die eigenen Versprechungen noch meine Hoffnungen erfüllen. Es arbeitet nicht immer journalistisch sauber und liefert auf 232 Seiten Vieles von Vielem, ohne dabei eine klare Linie zu verfolgen, geschweige denn, dem eigenen Titel gerecht zu werden.
Das Buch gliedert sich in fünf Kapitel und ist insgesamt eine Darstellung innereuropäischer und globaler Faktoren, welche auf einen kleinen, aber sehr bedeutsamen Teil von jungen Muslimen weltweit einwirken, die ihre Ideale mithilfe terroristischer Aktionen durchsetzen wollen.
Das erste Kapitel erzählt die Geschichte des Karikaturenstreits in Dänemark. Es werden die Motive des Imams Abu Laban nachgezeichnet, der mit den satirischen Darstellungen in die islamische Welt zog. Die Autoren legen dar, wie Konfliktlösungsstrategien in Dänemark so versagten, dass auch moderate Muslime in Europa radikalisiert wurden. Dies hätte ein guter Einstieg in das Thema sein können. Hier wäre der Ort gewesen, die Möglichkeiten darzustellen, durch Interviews persönliche Sichtweisen von Beteiligten kennen zu lernen und globale Ereignisse in einem lokalen Kontext verständlich machen. Diese Chance wird sträflich vergeben, es bleibt bei einer bloßen Nacherzählung der ohnehin bekannten Tatsachen.
Das folgende Kapitel enttäuscht ebenfalls: Auf acht Seiten wird ein Einblick in den "Weg in den Dschihad gegeben". Interessant ist der Gebrauch des Singulars, denn was nun folgt, ist eine Auflistung von Wegen in den Dschihad, insbesondere von Ereignissen und Konflikten wie dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, der Gründung Israels, den Kreuzzügen, der Landung Napoleons in Ägypten, dem ersten Weltkrieg, der Revolution in Iran, der Situation in den Konfliktherden Kaschmir, Sudan, Tschetschenien, Tadschikistan, Bosnien usw. Sachlich richtig wird der "Tourismus" der ehemaligen Afghanistankämpfer von einem Konflikt zum nächsten skizziert. Doch der analytische Teil ist voller Allgemeinplätze und mit wenigen Fakten werden sehr weite Bögen gespannt: "So verbindet sich die große historische Perspektive - scheinbar - mit kleinen lokalen Bewegungen. Und Osama Bin Ladin und seiner Al Qaida ist es gelungen, sich dank der speziellen Lesart der vergangenen 50 Jahre als Fortsetzung und Zuspitzung eines seit fast 1000 Jahren währenden Kampfes der Kulturen zu einer legitim erscheinenden Kommandozentrale des Dschihad aufzuschwingen" (45).
Den "Kindern des Dschihad" ist der nächste Abschnitt gewidmet. Er zeigt in Beispielen, wie die Hinwendung zum radikalen Islam innerhalb des sozialen Umfelds funktioniert. Doch an dieser viel versprechenden Stelle des Buches wird es journalistisch unsauber. Interviews vermischen sich mit eigenen Beobachtungen und mit Informationen aus dritter Hand, ohne dass hier die Trennlinie scharf gezogen wird. Dies gilt für alle Reportagen: ob diejenigen über eine islamistische Gruppe in Ulm, über die Täter, die die Anschläge von London verübten, den Mörder von Theo van Gogh oder über Said Bahaji, einem mutmaßlichen Mitwisser der Anschläge vom 11. September. Die Geschichte des letzten Akteurs kennen wir aus zahlreichen anderen Berichten, und es wird nicht deutlich, an welcher Stelle das Autorenteam selbst neue Fakten recherchiert oder von wem es bereits Bekanntes übernommen hat.
Das Verweben der Quellen zu einer Erzählung nimmt den Reportagen den Quellenwert. Das Kapitel zeigt dennoch auf, wie sehr für viele Muslime die Abwendung von Amerika und Europa mit der Enttäuschung einhergeht, dass der Westen seine eigenen, von ihm postulierten und zum Maßstab erhobenen Werte nicht einhält. Es sind also nicht nur die Integrationsunwilligen, die sich radikalisieren, sondern auch diejenigen, die sich integrieren wollen, dann aber als Muslime (ob praktizierend oder nicht) Diskriminierungserfahrungen machen. Leider trifft man hier auch öfters auf Überzeichnungen, die den an sich differenzierten Reportagen nicht gerecht werden. So heißt es über die Muslime in England nach den Attentaten von London etwa: "Die Älteren schämen sich für die Selbstmordattentate und suchen die Schuld bei sich. Ihre in Großbritannien geborenen Kinder weisen anklagend auf Downing Street No. 10. Dort, im Amtssitz des Premierministers, seien die eigentlichen Schuldigen zu finden" (64).
Ab Seite 90, aber immer noch im selben Kapitel, verlassen wir Europa. Es folgen Informationen, die etwas mit dem Thema zu tun haben könnten (z.B. Bildungseinrichtungen der Taliban) und wieder andere, deren Erkenntniswert für die Fragestellung des Buches sich dem Leser nicht erschließt (wie etwa eine Reportage über einen Fernsehsender in Afghanistan). Insgesamt wird der Zusammenhang zu den Kindern des Dschihad in Europa nicht deutlich.
Es folgen Reportagen aus Marokko und andere Beispielen aus der arabischen Welt für mögliche Wege in den religiös legitimierten Terrorismus. Der Leser erfährt die Geschichte verschiedener Personen und Ereignisse, die zu ihrer Radikalisierung führten. Hierbei wird deutlich, dass es keinen geraden, zu verallgemeinernden Weg in den Terrorismus gibt. Gemeinsamkeiten und Unterschiede analysieren die Verfasser jedoch nicht. Ein Schwachpunkt des Buches insgesamt.
Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Bedeutung des Internets für den Islamismus. Diese ist zweifelsohne gegeben, doch wurde der Aspekt im Kapitel zu den "Kindern des Dschihad" nicht schlüssig als möglicher Grund für den Weg in den Terrorismus aufgezeigt. So ist das Internet sicherlich Schauplatz für radikale Ideen jeder Art - auch für in Europa operierende Radikale. Doch unter welchen Umständen erlangt es Bedeutung für die Entscheidung zum Weg in den Terrorismus? Welche Rolle spielt es bei der Radikalisierung oder bei der persönlichen Rekrutierung? Fragen, die offen bleiben. Auch das Interview mit dem Betreiber einer radikalen Internetseite in London erklärt uns nicht, wie die "Kinder des Dschihads" zu solchen werden.
Auch das nächste Kapitel trägt hierzu nichts Wesentliches bei. Als geistige Väter des Dschihad werden Sayyid Qutb, Usama Bin Laden und Abu Musab al-Zarqawi herausgestellt und ihre Lebenswege, ihr Wirken und ihre Gedanken erläutert. Sicherlich ist dies interessant, doch eine Rückbindung an Europa und ihr Einfluss auf konkrete Akteure bleibt aus.
Im Gegensatz zu dem Rest des Bandes besticht das Schlusswort durch seine Differenziertheit und seine klaren Aussagen. Es weist auf neue Organisationsformen des militanten Islamismus und die Bedeutung von "Werbern" jenseits der Moscheen für die Rekrutierung hin. Die Autoren zeigen Parallelen zu unserem eigenen Erbe des Links- und Rechtsradikalismus ebenso auf wie die Notwendigkeit einer psychologischen Betrachtungsweise von Schritten in Richtung Islamismus und Radikalismus. Für Europa wird unter anderem auch die Konzeptionslosigkeit der Integrationspolitik in den verschiedenen Ländern als ein Grund dafür angegeben, dass sich Radikale etablieren konnten und auch die Integrationswilligen sich als Muslime nicht akzeptiert fühlen. Die Auseinandersetzungen in der islamischen Welt, an denen Europa mit beteiligt ist, tragen ihren Teil dazu bei, dass sich Muslime im Westen vom Westen verraten fühlen. Die Verfasser betonen, dass Dialog erst einmal eine gemeinsame Sprache und das Hineindenken in die Köpfe des Anderen auf beiden Seiten braucht. Hier kann man nur zustimmen.
Insgesamt ist das Buch empfehlenswert für diejenigen, die etwas über den Karikaturenstreit, den Krieg in Afghanistan, Radio- und Fernsehsender in Afghanistan, Zeitungen oder Koranschulen in Pakistan, Islamismus im Internet, die geistigen Väter des Islamismus und vieles mehr im Umfeld des islamisch legitimierten Terrorismus wissen wollen. Auch wer die bekannten Darstellungen zu der Hamburger Terrorzelle noch einmal lesen will, wird fündig.
Die "Kinder des Dschihad in Europa" werden auch vorgestellt und zwar auf den Seiten 46 bis 90, also leider nur in knapp 20% des Buches. Man wird den Eindruck nicht los, als dass hier viel recherchiertes Material von einzelnen und teilweise recht guten Reportagen zu einem Buch zusammengetragen wurde. Insbesondere das Fazit zeugt von Sachverstand. Umso stärker fallen einzelne Platitüden und der mangelnde rote Faden auf. Angesichts dieser Tatsache und den oben aufgeführten Mängeln wird das Buch dem eigenen Anspruch nicht gerecht und kann für die Forschung auch nicht als Quelle "authentischer Stimmen" benutzt werden.
Bekim Agai