Bernd Stöver: Der Kalte Krieg 1947-1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters, München: C.H.Beck 2007, 528 S., 40 Abb., 6 Karten, ISBN 978-3-406-55633-3, EUR 24,90
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Eine Gesamtgeschichte des Kalten Krieges zu schreiben, ist ein schwieriges Unterfangen. Denn es gilt dabei, nicht nur beiden Supermächten gerecht zu werden, ihre Interaktionen in den unterschiedlichsten Zusammenhängen zu erfassen, zwischen "Haupt-" und "Nebenkriegsschauplätzen" zu unterscheiden und nach der Rolle der jeweiligen Verbündeten zu fragen, sondern neben den politischen und militärischen auch den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Dimensionen dieses Konflikts nachzugehen. Bernd Stöver hat sich dieser Aufgabe gestellt. Er stützt sich dabei auf eigene Forschungen zur amerikanischen "Liberation-Policy" sowie auf die reichhaltige anglo-amerikanische und deutsche Literatur; ein so wichtiges Werk wie das von Georges-Henri Soutou, das einem ähnlich umfassenden Ansatz verpflichtet ist [1], wurde leider nicht rezipiert.
Einleitend verdeutlicht Stöver, dass er trotz unterschiedlicher Phasen den Kalten Krieg als einheitliche Epoche und "eine weitgehend entgrenzte politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung" (21) begreift. Dessen "zentrales Paradoxon" habe darin bestanden, dass man ihn aufgrund der Gegensätzlichkeit der westlichen und östlichen Ideologien zwar als "totalen Krieg" empfunden habe, ihn aufgrund der Zerstörungskraft der Atomwaffen aber nicht mit allen Mitteln führen wollte. Gleichwohl habe man sich genötigt gesehen, "sich auf den Eventualfall des großen militärischen Konflikts umfassend vorzubereiten" (21).
Die Darstellung zerfällt in drei Teile. In den ersten Kapiteln geht es um die Vorgeschichte und Entstehung des Kalten Krieges zwischen 1917 und 1945/46, um die jeweiligen Strategien der "totalen Auseinandersetzung", die Teilung der Welt und die Formierung der Bündnissysteme bis 1955 und um die Eskalation des Konflikts in Europa bis 1961. Mit dem Mauerbau wurde, wie Stöver überzeugend darlegt, der Kalte Krieg in Europa auf Eis gelegt und die Auseinandersetzung in die Dritte Welt verlagert, wo man sie, wie etwa in Südostasien, unterhalb der atomaren Schwelle auch militärisch führen konnte.
Im zweiten Teil geht Stöver systematisch den unterschiedlichen Dimensionen des Kalten Krieges nach. Hier stehen zunächst der Rüstungswettlauf, die Nuklearstrategien und der Krieg der Geheimdienste im Mittelpunkt: Obwohl die USA in dem "Hightech-Konflikt" (178), insbesondere bei der Computerentwicklung, die Nase vorn hatten, galt dies nicht immer für die nuklearen Waffensysteme. Die Gesellschaften in beiden Teilen der Welt schwankten angesichts des nuklearen Potentials zwischen "Normalitätsgefühl und Krisenbewußtsein" (195). Deutlich wird in diesem Zusammenhang auch, dass der Kalte Krieg nicht nur zwischen West und Ost geführt wurde, sondern auch innergesellschaftliche Auseinandersetzungen mit angeblichen oder tatsächlichen Parteigängern des jeweils anderen Lagers zur Folge hatte. Dass der säkulare Konflikt auch teilweise als "Kampf der Kulturen" auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie der Entwicklungshilfe ausgetragen wurde, wird ebenfalls ausführlich thematisiert. Diese Kapitel gehören zweifellos zu den stärksten des Buches.
Der dritte Teil folgt wieder im groben dem chronologischen Verlauf der Ost-West-Auseinandersetzung und nimmt die Kriege in der Dritten Welt, die Entspannungs- und Abrüstungsbemühungen, insbesondere seit den sechziger Jahren, die Rückkehr zur weltpolitischen Konfrontation seit 1978 und den Weg zur Beendigung des Konflikts in den Blick. Letzteres wird zutreffend im wesentlichen auf den "Gorbatschow-Faktor" seit 1985 zurückgeführt, wobei Stöver verdeutlicht, dass es dem sowjetischen Staats- und Parteichef nicht darum ging, den Kalten Krieg zu beenden, sondern die Sowjetunion für eine neue Runde in dem Konflikt zu stärken.
Stöver versucht, den Kalten Krieg systemtheoretisch zu erklären: Dieser sei als System mit zwei Hauptzentren zu betrachten, zwischen denen aufgrund der diametral einander entgegengesetzten Gesellschaftsentwürfe ein tendenziell totaler Konflikt ausgetragen worden sei. Da man es nicht zu einem großen Krieg kommen lassen wollte, wurde die Auseinandersetzung auf Ersatzfelder ausgedehnt. Veränderungen an einer Stelle des Systems hätten daher unweigerlich zu Auswirkungen an einer anderen Stelle geführt. Auf diese Weise könne auch erklärt werden, warum Eskalation und Entspannungsphasen einander ablösten und teilweise sogar parallel verliefen. Solange keine Möglichkeit bestand, aus dem Kampf als Sieger hervorzugehen, galt es, das System im Gleichgewicht zu halten, da nur dies als friedenssichernd angesehen wurde.
Dies ist ein durchaus mögliches Modell zur Erklärung, das aber nicht konsequent durchgehalten wird. So macht Stöver Ausführungen zum Ende des Kalten Krieges, für das er an einer Stelle den Ausfall eines "der beiden 'Motoren' des Konflikts" (463) verantwortlich macht. Kurz danach schreibt er jedoch, dass das System in dem Moment zerstört wurde, "als sich der Westen nach einer Phase der klassischen Reaktionen des Kalten Krieges auf die Angebote Gorbatschows einließ" (466). Zwar plädiert Stöver dafür, das Ende der Auseinandersetzung auf eine Kombination der fehlenden intellektuellen und materiellen sowjetischen Ressourcen, einer erfolgreichen (Rüstungs-)Offensive des Westens und die langfristigen Auswirkungen der Entspannungspolitik zurückzuführen, doch ausschlaggebend war seiner Meinung nach der dritte Faktor. Letzterer trug zwar zum friedlichen Ende des Konflikts bei; entscheidend war indes - durchaus im Einklang mit Stövers Modell - der unaufhaltsame Machtzerfall der Sowjetunion.
Überdies birgt das Modell das Problem, dass es über Verantwortlichkeiten hinweggeht. So spielt für Stöver die "von Traditionalisten, Revisionisten und Postrevisionisten diskutierte Schuldfrage [...] kein Rolle mehr" (463). Auf dem heutigen Stand der Forschung kann es zwar sicher nicht mehr darum gehen, entweder der einen oder der anderen Supermacht die Hauptschuld für den Ausbruch zuzuschreiben. Jedoch enthebt uns das nicht der Notwendigkeit, nach den Intentionen der beiden Seiten und den Triebkräften der sowjetischen und amerikanischen Politik und nach den Wahrnehmungen des jeweils anderen zu fragen, um vor diesem Hintergrund zu differenzierten Bewertungen der Kalküle und der Politik der beiden Supermächte zu gelangen. Dies geschieht in den ersten drei Kapiteln des Buches nur in unzureichendem Maße. So wird etwa die US-amerikanische Strategie des "Containment" und der "Liberation-Policy" der sowjetischen Zwei-Lager-Theorie gegenübergestellt, womit der Kalte Krieg aus Moskauer Sicht als "globaler Klassenkampf" (72) galt. Das trifft zwar zu, aber nicht in dieser Ausschließlichkeit. Mit Blick auf die Sowjetunion hätte etwa auch nach den Überlegungen und der machtpolitischen Komponente der Politik Stalins gefragt werden müssen: So wird die These von Vojtech Mastny, dass dieser ein elementares Gefühl der Unsicherheit zugrunde lag und Stalin daher nach 1945 in seinem Streben nach Sicherheit geradezu unersättlich wurde, überhaupt nicht erwähnt, geschweige denn diskutiert.
Bisweilen erliegt Stöver der durch die systemtheoretische Sicht bedingten Gefahr, ähnliche Phänomene in Ost und West zu parallelisieren, ohne zu differenzieren. So formuliert er: "Wie die NATO blieb auch der Warschauer Pakt von der Hegemonialmacht dominiert." (101) Dem kann zwar jeder zustimmen, aber einige Ausführungen darüber, wie beide Supermächte ihre Hegemonie ausübten und welche Spielräume ihren Bündnispartnern zukamen, wären dringend nötig gewesen, um die Unterschiede zwischen beiden klar hervortreten zu lassen. An anderer Stelle wird Kennedys "Strategie des Friedens" von 1963 in die Nähe von Chruschtschows These der "Friedlichen Koexistenz" von 1956 gerückt: Auch dies ist zulässig, nicht aber ohne die Erläuterung, dass letztere von sowjetischer Seite nicht dauerhaft geplant war, damit die Auseinandersetzung auf die Wirtschaft verlagert wurde und auf ideologischem Gebiet sowie in der Dritten Welt ungebremst weiterging.
Während Stöver über weite Strecken hinweg zuverlässig über die unterschiedlichsten Facetten des Kalten Krieges informiert, wird an einigen Stellen die Darstellung etwas unscharf. So rollte die Anerkennungswelle für die DDR ungeachtet erster Erfolge im Jahre 1969 nicht bereits seit diesem Jahr, sondern erst seit dem Grundlagenvertrag von 1972 (325); die zugegeben etwas komplizierten "Junktims" zwischen dem Moskauer Vertrag von 1970, der Berlin-Regelung und der Ratifizierung der Ostverträge werden missverständlich dargestellt (392); im Viermächte-Abkommen über Berlin von 1971 ging es nicht um die "spezifischen Rechte" West-Berlins, sondern um dessen "Bindungen" an die Bundesrepublik (393); am 22. November 1972 begannen nicht die KSZE-Verhandlungen, sondern nur die Vorgespräche dazu in Dipoli (402). Darüber hinaus haben sich etliche vermeidbare Fehler eingeschlichen. So rückte die Bundesrepublik nicht erst nach dem NATO-Beitritt von 1955 "in die gemeinsamen politisch-wirtschaftlichen Zusammenschlüsse Westeuropas" (100), sondern bereits mit Gründung der Montanunion von 1952; die DDR-Verfassung von 1949 kann sicher nicht als "eine 'sowjetische' Verfassung" bezeichnet werden (248); die Jugendweihe wurde bei ihrer Einführung 1954 sehr wohl "als Oktroi empfunden", obwohl sie "Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung aufnahm" (249); Ost-Berlin war nach seiner Abriegelung 1961 nur für West-Berliner nicht mehr zugänglich, für Inhaber eines bundesdeutschen Passes jedoch sehr wohl (281).
Zurück bleibt auf der einen Seite der Respekt vor einer sinnvoll aufgebauten, flüssig geschriebenen, umfassenden Gesamtdarstellung, die um eine zentrale Idee herum gruppiert ist; auf der anderen Seite wird dieser positive Eindruck durch die Vernachlässigung einiger zentraler Aspekte und eine Reihe von Unschärfen leider ein wenig getrübt.
Anmerkung:
[1] Georges-Henri Soutou, La guerre de cinquante ans. Les relations Est-Ouest 1943-1990, Paris 2001.
Hermann Wentker