Bernd Stöver: Die Befreiung vom Kommunismus. Amerikanische Liberation Policy im Kalten Krieg 1947-1991 (= Zeithistorische Studien; Bd. 22), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, 992 S., ISBN 978-3-412-03002-5, EUR 49,90
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Auf dem Höhepunkt des Irakkrieges erklärte US-Präsident George W. Bush in seiner wöchentlichen Radioansprache am 5. April 2003: "Village by village, city by city, liberation is coming. The people of Iraq have my pledge: Our fighting forces will press on until their oppressors are gone and their whole country is free." In seiner Begründung des Krieges gegen das Regime Saddam Husseins griff er auf eine Rhetorik der Befreiung von Unterdrückung zurück, die im Kalten Krieg eine prominente Rolle spielte und die auf ältere messianische Fundamente amerikanischer Außenpolitik verweist. Bernd Stöver zeigt in seiner voluminösen Studie, wie die Idee der Befreiung vom Kommunismus in den frühen Jahren des internationalen Systemkonflikts zu einer zentralen Determinante der amerikanischen Strategie wurde.
Seinem großen Thema nähert sich Stöver auf verschiedenen Wegen. Er beschreibt die Genese der 'Liberation Policy' im Umfeld von John Foster Dulles als offensive Alternative zum 'Containment' der Truman-Administration mit ihrem Vordenker George Kennan. In detaillierter und quellennaher Darstellungsform vermittelt das Buch Einblicke in die strategischen Debatten der amerikanischen Politik am Beginn des Kalten Krieges. Kapitel 2 und 3 verdeutlichen, dass die Amerikaner nicht nur versuchten, Lehren aus der deutschen Niederlage im Kampf gegen die Sowjetunion zu ziehen, sondern auch bemüht waren, ein eigenes Netzwerk für den antikommunistischen Befreiungskampf zu schaffen - auch unter Mitwirkung solcher deutscher und osteuropäischer Kräfte, die sich durch ihre Verstrickungen mit dem nationalsozialistischen Herrschaftssystem kompromittiert hatten. In Kapitel 4 stellt Stöver Planspiele aus den Fünfzigerjahren für die Zeit nach der Befreiung vom Kommunismus dar.
In den folgenden Abschnitten widmet sich die Studie dann den verschiedenen Praktiken der Befreiungspolitik und ihrer Wahrnehmung in Ost und West. Bernd Stöver untersucht hier, wie die Realität hinter der militanten Rhetorik der amerikanischen Eliten aussah. Da eine militärische Intervention aufgrund des nuklearen Patts der Supermächte als zu riskant eingestuft wurde, konzentrierte sich die amerikanische Politik gegenüber der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten vornehmlich auf die so genannte "Wahrheitsoffensive". Insbesondere von der Bundesrepublik und West-Berlin aus versuchte man mit der Gründung spezieller Radiosender wie RIAS, Radio Liberty oder Radio Free Europe bis tief in den sowjetischen Machtbereich zu wirken. Neben der Dauerbeschallung durch Massenmedien existierten zahlreiche radikale Gruppen im amerikanisch finanzierten, aber häufig autonom operierenden Milieu berufsmäßiger 'Kalter Krieger'. Hier waren die Übergänge zwischen Aufklärung, Propaganda, Spionage und Sabotage häufig fließend. In der offiziellen Gegenpropaganda des kommunistischen Regimes wurden diese Protagonisten der Befreiungspolitik in der Regel als "Kriegstreiber" bezeichnet, die in Ostmitteleuropa gewaltsam den Kapitalismus restaurieren wollten. Überzeugend kann Stöver zeigen, wie tief die amerikanische Propaganda die Öffentlichkeiten der Gesellschaften sowjetischen Typs durchdrang und mit ihrer Gegenerzählung destabilisierte. Gerade die Rhetorik der Befreiung trug dazu bei, dass der oppositionelle Teil der Bevölkerung in Ostmitteleuropa große Hoffnungen auf eine militärische Intervention der USA setzte. In der Imagination der Unterdrückten wurde Amerika zum "weißen Ritter", der eines Tages die Befreiung von kommunistischer Herrschaft bringen würde.
In den Krisen und Aufständen die im Zuge der Entstalinisierung den Ostblock erschütterten (1953 in der DDR und der ČSSR, 1956 in Polen und Ungarn), zeigten sich deutlich die Aporien der 'Liberation Policy', die unter der Ägide von Eisenhowers Außenminister John Foster Dulles seit 1952 offizielle US-Doktrin war. Einerseits handelte es sich um eine offensive Rhetorik der Intervention und des Umsturzes, andererseits zeigte sich rasch, dass die Aufständischen in der DDR, Polen oder Ungarn vergeblich auf westliche Hilfe hofften und letztlich auf sich allein gestellt blieben. Diese Widersprüche, die massive öffentliche Kritik an einer Politik, die bei den Menschen im sowjetischen Machtbereich unrealistische Hoffnungen weckte, führten nach 1956 zu einer gemäßigteren Rhetorik, zum schleichenden Bedeutungsverlust der Befreiungspolitik beziehungsweise ihrer Verlagerung an die Peripherien des globalen Systemkonflikts in Südostasien und Mittelamerika. Abschließend bespricht Stöver die Renaissance der Befreiungsidee unter der Präsidentschaft Ronald Reagans.
Über weite Strecken liest sich Bernd Stövers Studie wie eine Geschichte amerikanischer Strategie im Kalten Krieg. Darstellung und Interpretation beschränken sich jedoch nicht auf die ideengeschichtliche Ebene. Durch die Analyse der institutionellen Netzwerke, der Praktiken und der Konsequenzen dieser Politik in Ost und West öffnet der Autor die Perspektive hin zu einer Sozial- und Kulturgeschichte des Systemkonflikts. Aus einem reichen Fundus amerikanischer und deutscher Quellen präsentiert er eine fast erdrückende Fülle faszinierenden Materials. Insbesondere die Abschnitte über das Ringen zwischen George Kennan und John Foster Dulles um politische Strategie und intellektuelle Suprematie, die dichte Beschreibung des multinationalen Dschungels der antikommunistischen Emigration mit seinen oft gegensätzlichen Politikvorstellungen und Zielen oder auch die Erkenntnisse über die Rezeption der westlichen Propaganda hinter dem Eisernen Vorhang eröffnen neue Perspektiven auf die Welt im Kalten Krieg.
Abschließend sei noch auf einige Defizite dieser Arbeit verwiesen. Da wäre zunächst der Umfang des Buches zu nennen, der vermutlich einer breiteren Rezeption entgegensteht. Eine gestrafftere Präsentation des vielfältigen Quellenmaterials wäre wünschenswert gewesen. Aus der Sicht des Osteuropahistorikers ist zu bemängeln, dass sich bei der Transliteration aus dem Kyrillischen und bei der Wiedergabe von Eigennamen aus slawischen Sprachen eine ärgerliche Menge von Fehlern im Text befinden. Diese Defizite werden jedoch nicht zuletzt dadurch ausgeglichen, dass der Leser von Bernd Stöver nicht nur eine quellengesättigte Analyse zum Kalten Krieg, sondern auch einen Denkanstoß zu den Kontinuitäten, Dilemmata und Pathologien amerikanischer Außenpolitik bekommt.
Jan C. Behrends