Doris Carl: Benedetto da Maiano. Ein Florentiner Bildhauer an der Schwelle zur Hochrenaissance, Regensburg: Schnell & Steiner 2006, 2 Bde., 607 + 308 S., 23 Farb-, 213 s/w-Tafeln, 282 Abb., ISBN 978-3-7954-1719-2, EUR 149,00
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Monografien sind oftmals die Summe eines Forscherlebens und schließen jahrzehntelange Forschung zu einem Künstler ab. Dies trifft sicherlich auch auf Doris Carls seit langem angekündigte Monografie zu Benedetto da Maiano zu, um den ihre Forschungen seit der Doktorarbeit bei Hans Kauffmann kreisen. Längst als profunde Kennerin der Kunst des Quattrocento profiliert, legt sie mit ihrer Monografie nun weit mehr vor als eine Kompilation ihrer einschlägigen Aufsätze, versehen mit einem Einleitungskapitel. Die gewichtige, aus einem 607 Seiten starken Textteil und einem separaten, hervorragend fotografierten und gedruckten Abbildungsteil bestehende Arbeit gibt sich weitaus ambitionierter und diskutiert einerseits die einzelnen Werke breit angelegt in ihrem Entstehungskontext, andererseits strebt sie nicht weniger als eine bereits im Untertitel ankündigte Neubewertung des Bildhauers an: "ein Florentiner Bildhauer an der Schwelle zur Hochrenaissance".
Der Textband gliedert sich in zwei Teile. Einem Überblick zur künstlerischen Entwicklung folgt in einem zweiten Teil die Diskussion der einzelnen Werke und Werkkomplexe in Einzelkapiteln. Dies wird durch zwei Anhänge ergänzt, in denen ein "chronologischer Prospekt der Lebensdaten und Werke" gegeben wird und ein umfangreicher, 82 Seiten starker Dokumentenanhang zu finden ist, der sowohl die Basis für die Biografie Benedettos als auch für die Auseinandersetzung mit den Werken bildet. Angesichts einer derartig historisch fundierten Methode verwundert es dann allerdings doch sehr, dass die Monografie über keinen Katalogteil verfügt, der einen selektiven, schnellen Zugriff auf die wesentlichen Informationen zu den Werken erlaubte. Dies schränkt zunächst vor allem die Benutzbarkeit der Monografie für Leser ein, die nicht erst den Weg durch die langen und zum Teil sehr verwinkelt argumentierenden Kapitel suchen wollen, um an die betreffenden Informationen zur Datierung oder Provenienz eines Werks zu gelangen. Doch das Fehlen eines Katalogteils erweist sich noch in einer weiteren Hinsicht als Manko, denn Carls Benedetto-Monografie erweist sich als ein sehr eigenständiges Buch, für den Rezensenten manchmal ein wenig zu eigenständig. So rezipiert die Autorin nicht nur die Forschung zum Kontext der Werke Benedettos selektiv, vielmehr ist wiederholt festzustellen, dass sie auch die spezifische Forschung zu Benedetto nur insoweit diskutiert, als diese in den eigenen Argumentationszusammenhang 'passt'. Ein Katalogteil hätte deshalb zumindest weitere (mögliche) Positionen aufscheinen lassen.
Die Monografie brilliert zunächst mit der zwar knappen, doch präzisen und zahlreiche neue Informationen liefernden Biografie des Bildhauers, die besonderen Wert auf den Werkstattzusammenhang legt. Carl konturiert hier nicht nur klar Benedettos Rolle in der gemeinsamen Werkstatt der Brüder, sondern rekonstruiert auch anhand der Dokumente die Stellung und Aufgaben Giovannis und Giulianos. Letzterer war es auch oftmals, der als Architekt zunächst die Leitung eines Gesamtprojektes übernahm und dann dekorative bzw. bildhauerische Aufgaben an seine beiden Brüder weitergab. So einleuchtend das von Carl rekonstruierte, auf wechselseitiger Verantwortung basierende Modell der Werkstattführung auch ist, bereitet es doch auch Zuschreibungen vor, die sich vor allem darauf berufen, dass Giuliano seinen Bruder Benedetto wiederholt für die bildhauerischen Anteile seiner architektonischen Projekte engagierte.
Und gerade mit Neuzuschreibungen geizt die Monografie nicht. Doch war Carl ja bereits in jüngerer Zeit mit der Entdeckung bzw. Neuzuschreibung einer ganzen Reihe süditalienischer Madonnenfiguren an Benedetto hervorgetreten. Der vorliegende Band versucht nun, alle Lebensphasen um Werke zu erweitern. Ohne dass dies explizit ausgesprochen würde, ist es offenbar Ziel der Autorin gewesen, eine lückenlose Abfolge von Projekten und Werken zu rekonstruieren, die sie teilweise durch neu gefundene Dokumente zu verschollenen Werken interpoliert, zu einem nicht unbeträchtlichen Teil jedoch auch durch besagte Neuzuschreibungen füllt. Eine solche Intention erweist sich jedoch für einen Künstler des Quattrocento als vielleicht etwas überambitioniert.
Carls Diskussion der stilistischen Entwicklung setzt gleich mit einem Paukenschlag ein, indem sie entgegen aller bisherigen Forschung Benedetto nun nicht mehr aus der Werkstatt Antonio Rossellinos hervorgehen lässt, sondern seinen Anteil sowohl am Sakramentstabernakel Desiderio da Settignanos als auch an dessen Marsuppini-Grabmal erkennen will. Die Schulung bei Antonio Rossellino verleugnet sie zwar nicht vollständig, lässt sie aber erst in einem zweiten Moment einsetzen und konkretisiert sie mit der Zuschreibung des rechten Engels am Grabmal des Kardinals von Portugal an Benedetto. Auch die jüngste Desiderio da Settignano-Ausstellung in Florenz - insbesondere der Beitrag von Giancarlo Gentilini [1] - zerlegt das Œuvre des älteren Bildhauers in ähnlicher Weise in die Anteile seiner Nachfolger - allerdings mit Zuschreibungen, die diametral zu denjenigen Carls stehen und damit bereits die Beliebigkeit derartiger Versuche andeuten können. Carls eigene Ausführungen in den folgenden Kapiteln lassen demgegenüber aufs deutlichste die Prägung durch Antonio Rossellino nachvollziehen. Erneut wird jedoch ohne einen Katalog nicht recht verständlich, wie sie eigentlich zu ihrer Neubewertung der bildhauerischen Anfänge Benedettos kommt. Erst aus der Kenntnis der hier indes nicht referierten Forschung wird dann schnell klar, dass sie Benedetto da Maianos rosellineskes Frühwerk, die Arca di San Savino in Faenza ohne nähere Begründung als eigenhändiges Werk ablehnt und dadurch einige Jahre gewinnt, die sie stattdessen mit einer Tätigkeit Benedettos in der Werkstatt Desiderios füllt.
Zuschreibungen sind unverzichtbar und prägend für das Bild eines Künstlers, das zu zeichnen Aufgabe einer Werkmonografie ist. Seit Margrit Lisners Zuschreibung des rechten Puttos von Benedettos Neapolitaner Verkündigungsaltar an Michelangelo [2] hat die Diskussion nie ganz ausgesetzt und hierdurch wird auch die eigentliche Stoßrichtung der Monografie geprägt. Carl akzeptiert Lisners Zuschreibung ohne Vorbehalte, dreht jedoch die bisherige Sicht von Benedettos Spätwerk als vom jungen Michelangelo beeinflusster Phase um: nicht das jugendliche Genie Michelangelo habe den Werken des alten Meisters eine völlig neuartige, an der Antike geschulte Monumentalität und Gravitas vermittelt, sondern diese erkläre sich eigenständig aus der stilistischen Entwicklung Benedettos und folglich sei er es gewesen, der Michelangelo geprägt habe.
Die Ausstellung zur "Giovinezza di Michelangelo" eröffnete eine erneute Diskussion um das Frühwerk des Divino, in der Carl seinerzeit den Neapolitaner Altar noch mit Borsook spät, auf 'nach 1491' datierte. [3] In der Werkmonografie tritt sie nun überraschend für eine Datierung bereits 'vor 1489' ein und verlängert dadurch implizit Michelangelos Lehrzeit in Benedettos Werkstatt. Derartige Umdatierungen einzelner Werke ändern jedoch nichts an der grundlegenden Differenz in der Figurenkonzeption, die den jungen Michelangelo und den späten Benedetto da Maiano voneinander trennen und letztlich Lisner in ihrer Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses Recht geben. Denn die frühen Werke Michelangelos lassen nicht nur eine an der Antike geschulte Körperlichkeit erkennen, die man in ihrer weichen Plastizität vielleicht mit den späten Werken Benedettos vergleichen könnte, entscheidender und mit Benedetto schlichtweg nicht vergleichbar ist dagegen die dynamische Konzeption der menschlichen Physis bei Michelangelo, die sich in dieser Form in keinem Werk Benedettos wiederfinden lässt.
Doch Benedetto da Maiano bedarf eigentlich keiner derartigen Aufwertung über den Vergleich mit Michelangelo, denn wie Carls gelungene Kapitel im zweiten Teil etwa zu den Werken in San Gimignano, zur Kanzel in S. Croce oder zum Strozzi-Grabmal in S. Maria Novella belegen, gehört er auch ohne solche Anstrengungen zu den zentralen Künstlergestalten seiner Zeit. Überhaupt stellen diese Kapitel den bestens fundierten und überzeugendsten Kern der Monografie dar, in dem die umfassenden Archivstudien Carls ebenso zum Tragen kommen wie ihre religionshistorisch oder auch ereignispolitisch argumentierenden Analysen. Hier rekurriert die Autorin vielfach auf ältere eigene Forschung, erweitert diese jedoch zumeist erheblich und stellt die Einzelwerke bzw. Werkkomplexe in den größeren Gesamtzusammenhang eines Neuausstattungs- oder Renovierungsprogrammes, das sie dann rekonstruiert.
Sicherlich muss man auch in diesen Kapiteln nicht allen Interpretationen folgen, zumal der wiederholt verwendete Ansatz, die Ikonographie über tagespolitische Ereignisse zu deuten, dann auch noch als Datierungsargument genutzt wird, doch finden sich hier viele gut begründete Thesen, welche die Forschung zur Kunst des Quattrocento sicherlich noch weiter diskutieren wird. Mit der Monografie zu Benedetto da Maiano hat Carl eine umfassende Studie zur Kunst des späten Quattrocento vorgelegt, die das Œuvre des Bildhauers auf eine neue, minuziös dokumentierte Basis stellt und für lange Zeit die Referenz zu dem vielfach unterschätzten Bildhauer bleiben wird.
Anmerkungen:
[1] Giancarlo Gentilini: Desiderio in bottega. Maestri e allievi, opere e committenti nelle attestazioni documentarie e delle fonti, in: Desiderio da Settignano. La scoperta della grazia nella scultura del Rinascimento, Ausstellungskatalog Paris, Florenz / Washington 2006/7, hrsg. von Marc Bormand, Beatrice Paolozzi Strozzi und Nicholas Penny, Paris / Mailand 2007, 25-47.
[2] Margrit Lisner: Zu Benedetto da Maiano und Michelangelo, Zeitschrift für Kunstgeschichte 12, 1958, 141-156.
[3] Doris Carl: Katalogeinträge in: Giovinezza di Michelangelo, Ausstellungskatalog Florenz 1999/2000, hrsg. von Kathleen Weil-Garris Brandt et al., Mailand 1999, 276-279.
Johannes Myssok