Ralph Bähr / Josef Bessen / Wolfgang Emer (Hgg.): Schule auf Reisen. Exkursionen als Möglichkeit vielseitigen Lernens in der Sekundärstufe II, Bielefeld: Oberstufen-Kolleg an der Universität Bielefeld 2007, 147 S., ISBN 978-3-921912-50-8
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Reisen ist modern und, wie schon Goethe wusste, es bildet. Viele kulturelle Events werden bereits erweitert um thematische Stadtführungen, kein Anbieter politischer Bildung kommt um das Angebot interessanter Reisen herum. Wir alle bekommen langsam aber sicher die Chance wie Weltbürger zu leben und zu denken.
Da muss es schon sehr verwundern, dass Exkursionen und Schulausflüge bislang von den Pädagogen noch etwas stiefmütterlich behandelt werden. Das jedenfalls ist der Ausgangspunkt für die vorliegende Textsammlung, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung feststellen: "Nach einer grundlegenden Publikation zur Unterrichtsform Exkursion sucht man in der Literatur vergebens. Hilfestellung für die Planung, Durchführung und Auswertung von Exkursionen erhält man teilweise durch eine Reihe vereinzelter Aufsätze, teilweise durch die ein oder andere, meist fachgebundene Publikation." (3)
Ralph Bär und die anderen Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes haben das Buch übersichtlich und klar aufgebaut. In einem ersten Teil führen sie in "Didaktisch-Methodische Überlegungen zu Exkursionen in der Sekundarstufe II" ein und ergänzen sie in einem zweiten Teil mit "Anregungen für die Praxis von Exkursionen". Der dritte und umfangreichste Abschnitt der Textsammlung versammelt acht Praxisberichte. Im darauf folgenden vierten Abschnitt sind "Exkursionseindrücke von Lehrern und Schülern" zusammengestellt, und die fünfte und sechste Abteilung versammeln Checklisten, Materialien und ein Literaturverzeichnis.
Das Buch liest sich insgesamt als ein Plädoyer für den vermehrten Einsatz von Exkursionen und Schulausflügen in der Sekundarstufe II. Die Autoren glauben, dass "diese Lernform, die auf aktives, selbständiges Handeln und kreative Problemlösungen setzt, neben der Akzentuierung der Wissenschaftspropädeutik durch die Handlungsorientierung auch die personale und soziale Kompetenz fördert und so dazu beiträgt, mit der Studierfähigkeit ein zentrales Ziel der Sekundarstufe II zu erreichen." (2)
Die Autoren gehen davon aus, dass Exkursionen bislang im Unterricht für die Sekundarstufe II unterschätzt werden. Ihre Analyse der "Richtlinien und Lehrpläne der Fächer für die Sekundarstufe II - Gymnasiale Oberstufe und Gesamtschule des Landes Nordrhein-Westfalen" (Ministerium für Schule, Jugend und Kinder - 1999) zeigt, dass Exkursionen in Nordrhein-Westfalen - in anderen Bundesländern wird dies nicht sehr viel anders aussehen - bislang lediglich für Fachgebiete wie Englisch, Französisch, Griechisch, Latein, Russisch, Geschichte, Pädagogik, Biologie, Physik und Technik vorgesehen sind, für die Fächer Deutsch, Kunst, Musik, Spanisch, Geographie, Philosophie, Sozialwissenschaft, Recht, Psychologie, Chemie, Mathematik, Informatik, Theologie und Sport aber nicht erwähnt werden.
Wie die acht Praxisberichte zeigen - eine historische Exkursion nach Arezzo (Wolfgang Emer), eine Kunsterkundung nach Italien (Gerlinde Volland), eine religionswissenschaftliche Spurensuche in der Toskana (Gabriele Obst, Karin Volkwein), eine sprachkundliche Reise nach Saint-Nazaire (Josef Bessen), ein interkultureller Workshop in Mexiko (Thea Stroot), ein Sportausflug nach Bremen (Hans-Hermann Schwarz, Silke Sinning), eine Tagesexkursion in die forensische Psychiatrie in Lippstadt-Eickelborn (Hans Hermsen) und eine ökologische Tagesexkursion in die nähere Umgebung einer Schule (Andreas Stockey) -, gibt es durchaus auch in anderen Fachrichtungen interessante Möglichkeiten für den Einsatz von Exkursionen.
Die Autoren sind der Auffassung, dass gerade Exkursionen dazu beitragen können Qualifikationen zu vermitteln - "exemplarische Einführung in wissenschaftliche Fragestellungen, Kategorien und Methoden" (9) -, die besonders relevant für die gymnasiale Oberstufe sind. Sie fürchten, dass ein Unterricht, der vorwiegend auf die Vermittlung von fachwissenschaftlichem Sachwissen, instrumentellen Fertigkeiten und Kenntnissen abzielt, Schüler und Schülerinnen hauptsächlich in die weitgehend passive Rolle von Rezipienten presst. Exkursionen sehen sie dagegen als eine Form des Unterrichts an, die, noch besser als der Projektunterricht, "Schülerinnen und Schüler stärker zu selbsttätigen Subjekten ihres Lernprozesses" (9) werden lässt.
Exkursionen bieten aber nur dann eine Chance für den Erwerb von Sachkompetenz, Selbstkompetenz, Sozialkompetenz und Methodenkompetenz, wenn sie - analog zum Projektunterricht - als gemeinsames Projekt von Lehrern und Schülern vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet werden. Die Auseinandersetzung mit anderen Orten, anderen Mitmenschen, anderer Verpflegung, anderem Wohnen, anderer Infrastruktur und anderen Freizeitaktivitäten stellt erhöhte Anforderungen an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Wie man eine solche Exkursion als gemeinsames Projekt planen, durchführen und auswerten kann, zeigt der Reader sehr klar und eindringlich an vielen Beispielen und mit vielen hilfreichen Tipps und Tricks. Auch auf das Überraschende und Ungeplante - Konflikte und unerwartete Lernsituationen - wird eingegangen, sowie darauf, wie mit solchen Situationen umgegangen werden kann. Ein solches Vorhaben braucht jedoch, neben den Lehrerinnen und Lehrern, die den hohen Aufwand auf sich nehmen, eine Schulbürokratie, die solchen Experimenten aufgeschlossen gegenübersteht.
Bei Schülerinnen und Schülern sind Exkursionen, das zeigen alle der im Band publizierten Berichte, häufig sehr beliebt. Kein Wunder, handelt es sich doch bei Exkursionen meist um spielerische und abenteuerliche Formen des Lernens. An dem Buch gibt es deshalb rein gar nichts herumzumäkeln. Manches Mal mag man jedoch trotzdem kaum weiter lesen, da der gelehrte akademische Ton, den die Autoren aufbringen, um Schulräte, Direktoren und Bildungsplaner zu überzeugen, jeden lebendigen Spaß an Exkursionen zu ersticken droht. Aber auch in dieser Anstrengung muss man den Autoren recht geben. Nur wer eine Schule der Experimente wagt, wird noch angemessen reagieren können auf unsere sich rasch wandelnde Welt. Es geht darum, den nächsten Generationen von Schülerinnen und Schülern die Chance zu geben zu Weltbürgern zu werden. Das werden auch Bildungsplaner verstehen müssen. Ihnen sei deshalb dieses Buch besonders ans Herz gelegt.
Martin Jander