Rezension über:

Irmgard Fees / Francesco Roberg (Hgg.): Die ältesten Urkunden aus dem Stadtarchiv Worms (1074-1255) (= Digitale Urkundenbilder aus dem Marburger Lichtbildarchiv älterer Originalurkunden - DIGUB; 1), Leipzig: Eudora-Verlag 2006, 5 S., Loseblattausgabe, 32 s/w-Fotos, 32 s/w-Tafeln, ISBN 978-3-938533-05-5, EUR 29,90
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Rezension von:
Michael Oberweis
Fakultät für Geschichtswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Christine Reinle
Empfohlene Zitierweise:
Michael Oberweis: Rezension von: Irmgard Fees / Francesco Roberg (Hgg.): Die ältesten Urkunden aus dem Stadtarchiv Worms (1074-1255), Leipzig: Eudora-Verlag 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 12 [15.12.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/12/11236.html


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Irmgard Fees / Francesco Roberg (Hgg.): Die ältesten Urkunden aus dem Stadtarchiv Worms (1074-1255)

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Wer in Proseminaren oder hilfswissenschaftlichen Übungen die Studierenden mit den Methoden mittelalterlicher Diplomatik und Paläographie vertraut machen will, sieht sich vielfach gezwungen, auf ältere Tafelwerke zurückzugreifen, die in der Qualität ihrer Abbildungen bei weitem nicht den heute üblichen Standards entsprechen. Diesem Mangel will die Reihe der "Digitalen Urkundenbilder aus dem Marburger Lichtbildarchiv älterer Originalurkunden (DIGUB)" abhelfen, die bereits 1997 von Peter Rück († 2004) konzipiert wurde und in Ausstattung, Quellenauswahl und Preisgestaltung ganz auf den Bedarf akademischer Lehrveranstaltungen zugeschnitten ist.

Mit Recht weisen die Herausgeber in ihrem Vorwort darauf hin, dass auch in Zeiten des Internets und der wachsenden digitalen Verfügbarkeit von Urkunden- und Aktenmaterial hochwertige Abbildungen in Papierform ein unverzichtbares Unterrichtsmittel bleiben. Diesem Anspruch wird der erste Band der DIGUB in vollem Umfang gerecht; die großformatigen Reproduktionen (DIN A3), denen hochauflösende Aufnahmen des "Marburger Lichtbildarchivs älterer Originalurkunden" zugrunde liegen, sind durchgängig von vorzüglicher Lesbarkeit. Insbesondere die Siegel, für den Fotografen häufig ein Problemfall, sind sorgfältig ausgeleuchtet und so kontraststark wiedergegeben, dass selbst Details ohne Mühe zu erkennen sind. Fast alle Urkunden des vorliegenden Bandes ließen sich - teilweise etwas verkleinert - auf einer A3-Tafel erfassen, nur in zwei Fällen musste wegen Übergröße der Abdruck auf zwei Blätter verteilt werden. Das Format des Originals ist jeweils über einen beigefügten Maßstab zu erschließen.

Dass gerade die ältesten Urkunden des Wormser Stadtarchivs die DIGUB-Reihe eröffnen, erweist sich als ein didaktischer Glücksgriff. Bei einem Großteil der dargebotenen Stücke handelt es sich um Kaiser-, Königs- und Papsturkunden, darunter salische Diplome von herausragender reichsgeschichtlicher Bedeutung. Daneben enthält die Sammlung eine Anzahl von Privaturkunden, vorwiegend solche bischöflicher Provenienz, aber auch Domkapitel, Stifte und Bürger zählen zu den Ausstellern. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich von 1074 (Privileg Heinrichs IV. für die Wormser Bürger) bis zum Jahre 1255 (Allgemeiner Landfriede Wilhelms von Holland).

Gleich die älteste der hier vorgelegten Urkunden birgt eine inhaltliche Herausforderung, anhand derer sich auch Studienanfängern die Notwendigkeit paläographischer Grundkenntnisse eindrucksvoll vermitteln lässt. Es handelt sich um das großzügige Privileg, das König Heinrich IV. den Wormsern aus Dankbarkeit dafür gewährte, dass sie ihm nach einer schweren Niederlage im Sachsenkrieg die Tore ihrer Stadt geöffnet hatten. Schon seit langem hat man erkannt, dass das im Original vorliegende Diplom verunechtet wurde: Die Gewährung der Zollfreiheit an die "Uvormatienses" wurde von späterer Hand durch die Voranstellung der Worte "Iudei et coeteri" manipuliert. Die MGH-Edition von 1941 macht auf diesen Sachverhalt aufmerksam und zieht zur Begründung "vor allem die erheblich dunklere Tinte" heran (DH. IV. 267, 342). Bei eingehender Betrachtung der fraglichen Stelle wird man jedoch auf ein noch augenfälligeres Argument stoßen: Das "d" in "Iudei" weicht nämlich mit stark seitlich gebogenem Schaft signifikant von allen übrigen "d" der Urkunde (mit betont senkrechten Schäften) ab. Damit erübrigt sich auch die Überlegung, die Worte "Iudei et coeteri" seien womöglich vom Kanzleinotar selbst zu einem späteren Zeitpunkt nachgetragen worden.

Dieses eine Beispiel mag genügen, den didaktischen Wert der vorliegenden Materialsammlung zu erweisen. Im hilfswissenschaftlichen Unterricht werden die ausgewählten Stücke sicherlich gute Dienste leisten, und dank des moderaten Preises der Studienausgabe liegt für Zwecke der Lehre eine "Anschaffung in Seminarstärke", wie von den Herausgebern erhofft, durchaus im Bereich des Möglichen. Für ein Selbststudium scheint die Mappe allerdings weniger geeignet; allzu karg fallen die erläuternden Hinweise aus, die sich meist auf den Umfang eines Kopfregests beschränken und ansonsten nur die jeweils maßgebliche Edition als Referenz zitieren. Ein Teil dieser Hinweise bezieht sich auf ältere Drucke wie Heinrich Boos' "Urkundenbuch der Stadt Worms" (1881) oder gar auf die Papstregesten von Philipp Jaffé (1885/88), die gerade für den Anfänger wohl kaum genügend weiterführende Informationen bereithalten.

Wenn es also Peter Rücks erklärte Absicht war, die Aufnahmen des Marburger Lichtbildarchivs "einem größeren Publikum zugänglich zu machen", so ist dieses Publikum vorwiegend an Universitäten und Archivschulen zu vermuten, denn der sinnvolle Gebrauch des Tafelwerks setzt fraglos eine kundige Anleitung voraus. Angesichts des schmalen Angebots hilfswissenschaftlichen Übungsmaterials, das der Büchermarkt bisher bereithielt, ist das Projekt jedenfalls eine willkommene Bereicherung, auf die man in einschlägigen Lehrveranstaltungen künftig gerne zurückgreifen wird. Die exzellente Qualität der Abbildungen ist mehr als nur ein optischer Anreiz; ihre suggestive Anschaulichkeit bietet zugleich eine wertvolle Motivationshilfe, die dem hilfswissenschaftlichen Lehrangebot auch unter den Bedingungen des heutigen Geschichtsstudiums die nötige Attraktivität sichert.

Seit Erscheinen des ersten Bandes ist die DIGUB-Reihe bereits beträchtlich angewachsen: In einer den Papsturkunden gewidmeten Unterreihe liegen mittlerweile zwei Bände vor, die den Zeitraum von 891 bis 1054 bzw. von 1057 bis 1098 umfassen, und noch für den Herbst 2007 sind "Urkunden der Mainzer Erzbischöfe" angekündigt. Mit dem steten Anwachsen der Reihe wird sich also auch das Spektrum der dokumentierten Urkundentypen entsprechend verbreitern, und so bleibt dem verlegerisch ambitionierten Projekt nur zu wünschen, dass es bei Lehrenden wie Lernenden die verdiente Resonanz findet.

Michael Oberweis