Clemens Koehn: Krieg - Diplomatie - Ideologie. Zur Außenpolitik hellenistischer Mittelstaaten (= Historia. Einzelschriften; Heft 195), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, 248 S., ISBN 978-3-515-08990-6, EUR 58,00
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Das zu rezensierende Buch von Clemens Koehn ist seine überarbeitete Dissertation aus dem Jahr 2005, in welcher Achaier- und Aitolerbund, die Inselrepublik Rhodos sowie die Königsdynastie der Attaliden von Pergamon mit dem Ziel einer "systemperspektivischen Analyse mittelstaatlicher Außenpolitik" (89) untersucht werden. Sein sicher richtiger Ausgangspunkt dabei ist, die Interdependenz von Expansion und Ideologie zu betrachten, anstatt - wie nach Ansicht Koehns bisher in der Forschung geschehen - nur den Gegensatz von Realpolitik und Propaganda zu konstatieren (12). Die Klassifizierung dieser "Mittelstaaten", die Koehn dadurch gekennzeichnet sieht, dass sie eine ungleich geringere Macht als die Großreiche besessen hätten, die jedoch bei weitem die der normalen Polis überstiegen habe, ist hingegen aufgrund der Miteinbeziehung der Pergamener nicht unproblematisch (9-16). Denn sowohl die anderen kleinasiatischen Königreiche, die Koehn bewusst ausklammert, als auch die syrakusanischen Könige Agathokles und Hieron II. von Sizilien hätten durchaus als mögliche Vergleichsfälle dienen können.[1] Der zeitliche Rahmen der Untersuchung, die zweite Hälfte des 3. und die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr., entspricht dem Höhepunkt der Macht der behandelten Akteure. Indem Koehn seine Untersuchung mit dem Abschluss des dritten Makedonischen Krieges als einem durch die neue Politik Roms bedingten Endpunkt einer eigenständigen Außenpolitik griechischer Staaten beschließt, folgt er einem etablierten Interpretationsrahmen, der allerdings für die Königreiche Kleinasiens diskutabel ist.
Im Bewusstsein der methodischen Problematik, aus dem historiographischen Werk des Polybios, seine Hauptquelle (19), die von Teilen der Forschung als ex-post Produkt bewertete Propaganda der untersuchten Mächte zu extrapolieren, behandelt Koehn im ersten Kapitel zunächst "Polybios als Theoretiker der mittelstaatlichen Außenpolitik" (19-44). Dessen Historien seien primär vor dem Hintergrund zu betrachten, dass Polybios achaiischer Politiker gewesen war, was Koehn als wesentlich bedeutsamer für die Bewertung der internationalen Politik durch den Historiker ansieht als den persönlichen Eindruck und die Erklärung des Aufstieges Roms (24), eine Deutung, über die sich streiten lässt. In der ausführlichen Darstellung des Achaierbundes sei festzustellen, dass hier im bewussten Gegensatz zu den Königen die Anerkennung der Gleichheit der Bündnispartner propagiert wurde. Diese außenpolitische Maxime ist für Koehn nicht nur auf Rhodos sondern auch auf den von Polybios überaus negativ dargestellten Aitolerbund übertragbar und als Charakteristikum der Politik der Mittelstaaten bei Polybios zu bewerten.
In dem an diese Ausführungen direkt anknüpfenden Kapitel "Die Konzeption der mittelstaatlichen Außenpolitik" (45-73) betont Koehn die Andersartigkeit der Autonomieerklärungen der Könige der großen Reiche, die sich in der "prekären" (45-47) Freiheit der Städte fundamental von den Freiheitsproklamationen der Diadochen unterschieden habe, von der "zwischenstaatlichen Demokratie", die durch Achaier- und Aitolerbund sowie Rhodos propagiert worden sei (54-61). Zu Recht betont Koehn in diesem Kontext das bürgerliche Image der Attaliden (61-67), schießt jedoch bei der Trennung der Pergamener von den anderen Herrscherhäusern über das Ziel hinaus. Kaum überzeugen kann es etwa, wenn eine grundsätzliche Unterscheidung des Euergetismus der Attaliden von der Wohltätigkeit der großen Monarchien vorgenommen wird. Auf der einen Seite ist seine pauschale Deutung fraglich, die königliche Wohltätigkeit gegenüber den zu den Großreichen gehörenden Städten sei nie im Dialog mit den Poleis vorgenommen worden, sondern nur unter der Vorbedingung der Anerkennung königlicher Oberherrschaft. Auf der anderen Seite ist es keinesfalls haltbar, dass die großen Dynastien im Gegensatz zu den Attaliden (65) Euergesien nicht als Mittel der Außenpolitik genutzt hätten. Das Gegenteil wird etwa durch die Aktivitäten Antiochos IV. illustriert [2], aber auch durch den Rekurs auf Wohltaten in der politischen Kommunikation (vgl. Pol. 18, 6, 5; 29, 24, 11-16). Einzigartig waren hier die Attaliden, auch wenn sie sich in diesem Bereich besonders engagierten, keineswegs.
Im dritten und umfangreichsten Kapitel "Kriegführung" (75-168) analysiert Koehn dann plausibel, wie die vier behandelten Mächte durch die Konstruktion von Feindbildern (Aitoler und Attaliden: Galater - Achaier: Tyrannen - Rhodos: Piraten) mit unterschiedlichem Erfolg versuchten, ihre Expansionspolitik als uneigennützige, dem panhellenischen Gemeinwohl dienende Aktivitäten darzustellen und diese damit erst ermöglichten, indem sie sich als attraktiver Bündnispartner präsentierten. Koehn leitet das Kapitel mit knappen Bemerkungen gegen eine Herausstellung von Sieghaftigkeit als Motiv für die Kriegführung hellenistischer Könige ein (77-88). Er sieht die Kriege vielmehr als dem Erwerb, der Verteidigung oder der Sicherung von Territorium geschuldet, wie auch die Herrschaft territorial gefasst worden sei. Hier können allerdings weder die angebrachten Argumente überzeugen noch erscheint es überhaupt sinnvoll, eine strikte Trennung zwischen einer machtpolitischen und einer machtsoziologischen Motivation vorzunehmen. Vielmehr illustriert ja gerade die Untersuchung Koehns die enge Verzahnung von Selbstdarstellung und "Realpolitik". Bedenkenswert ist jedenfalls die These Koehns, die Galaterideologie der Attaliden (110-135) nicht als ein intensiviertes Anknüpfen an ein typisch königliches Gebaren zu interpretieren, sondern als Spezifikum dieser Dynastie.
Im vierten Kapitel "Bündnispolitik" (169-221) führt Koehn anhand ausgewählter, bereits zuvor angesprochener Beispiele vor Augen, dass die vier Mächte danach strebten, ihre Bündnispartner in die von ihnen projizierte außenpolitische Identität zu integrieren und ihre Politik als "multilateral" darzustellen (171). Dabei kommt er schließlich auch auf das Scheitern dieser Politik in Bezug auf Rom zu sprechen (213-221).
Erst in der "Schlussbetrachtung" (223-228) wird ein Vergleich mit der internationalen Politik nach dem 2. Weltkrieg angestrengt, der jedoch offenbar bereits zuvor den Deutungsrahmen beeinflusst. Abgeschlossen wird das Buch, bei dessen Lektüre leider recht zahlreiche formale Fehler negativ auffielen, durch ein Quellen- und Literaturverzeichnis, Indices zu Namen und griechischen Begriffen sowie durch ein Stellenverzeichnis.
Die Untersuchung weist einige problematische Deutungen auf und im Umgang mit den literarischen und epigraphischen Quellen wäre an manchen Stellen eine kritischere Auseinandersetzung mit den Aussagemöglichkeiten des Materials wünschenswert gewesen (z.B. 91, 109f., 134f.). In der Herausstellung der Bedeutung der Selbstdarstellung für die behandelten Akteure gegenüber einer Weltöffentlichkeit der hellenistischen Welt kann die Untersuchung jedoch durchaus überzeugen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. etwa L. Hannestad: This Contributes in No Small Way to One's Reputation: The Bithynian kings and Greek Culture, in: P. Bilde / T. Engberg-Pedersen / L. Hannestad / J. Zahle (Hgg.): Aspects of Hellenistic Kingship, Studies in Hellenistic Civilization 7, Aarhus 1996, 67-98; C. Lehmler: Syrakus unter Agathokles und Hieron II. Die Verbindung von Kultur und Macht in einer hellenistischen Metropole, Frankfurt am Main 2005.
[2] P.F. Mittag: Antiochos IV. Epiphanes. Eine politische Biographie, Klio-Beihefte N.F. 11, Berlin 2006, 103-118.
Christoph Michels