Hans-Ulrich Cain / Volker Grieb / Clemens Koehn u.a. (Red.): Hellenismus. Eine Welt im Umbruch. Hrsg. in Zusammenarbeit mit DAMALS - Das Magazin für Geschichte, Stuttgart: Theiss 2012, 128 S., 128 Farbabb., ISBN 978-3-8062-2719-2, EUR 24,95
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Das Bild des Zeitalters des Hellenismus hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten wesentlich gewandelt. Die Forschung hat auf verschiedensten Ebenen althergebrachte Deutungen revidiert sowie Teilbereiche schärfer beleuchtet. Wie der Hellenismus dabei zeitlich einzugrenzen ist, ja ob er als Epocheneinteilung überhaupt zielführend ist, daran scheiden sich bis heute die Geister. Der hier anzuzeigende, vom Theiss-Verlag in Zusammenarbeit mit dem DAMALS-Magazin herausgegebene Band wählt traditionell, jedoch mit guten Gründen den Anfangspunkt mit Alexanders Eroberung des Perserreiches, um sich der Epoche - wie der Klappentext hervorhebt - nicht ereignishistorisch, sondern hinsichtlich der "spannenden Entwicklungen in Gesellschaft, Kultur, Herrschaft und Militär, Wissenschaft und Religion" zu widmen. Er tut dies größtenteils mit Beiträgen ausgewiesener Experten für die ihnen zugeteilten Themen, jedoch auf einem ausgesprochen engen Raum (11-123). Die erst vor wenigen Jahren von Gregor Weber herausgegebene Kulturgeschichte des Hellenismus hatte einen vergleichbaren Ansatz, jedoch etwa den vierfachen Umfang und deckte auch wesentlich mehr Bereiche als der vorliegende Band ab, der bedauerlicherweise keinen Beitrag zur Religionsgeschichte bietet. [1] Auch eine Behandlung des "riesigen zusammenhängenden Wirtschaftsraums" (6) wäre wünschenswert gewesen, denn gerade in der Wirtschaftsgeschichte sind in den letzten Jahrzehnten erhebliche Akzentverschiebungen zu verzeichnen. [2] Verschmerzbar ist es dagegen, dass die einzelnen hellenistischen Reiche wenig greifbar werden, da hier bereits einschlägige Abhandlungen vorliegen.
Die einzelnen Beiträge sind dabei durchaus gehaltvoll. Hans-Ulrich Wiemer fragt, in welcher Weise der Alexanderzug die damalige Welt veränderte, und insofern überhaupt als Epochengrenze taugt. Wenngleich er zu einem positiven Ergebnis kommt, erteilt er doch den leider auch in jüngerer Zeit immer wieder vertretenen Phantasien einer Verschmelzungs- oder gar Weltverbrüderungspolitik Alexanders des Großen mit Recht eine klare Absage. Michael Sommer zeichnet dann mit flotter Feder die chaotische Zeit der Diadochenkriege bis zur Schlacht von Kurupedion nach und bietet neben strukturgeschichtlichen Erwägungen wie nicht anders möglich auch einiges an Ereignisgeschichte. Dies überrascht angesichts der betont nicht ereignishistorischen Ausrichtung des Bandes und lässt den Artikel im Vergleich zu den folgenden auch etwas isoliert dastehen. Der Beitrag von John Ma behandelt überzeugend, wenn auch knapp (41-52), die Grundzüge des hellenistischen Königtums. Er ordnet die Könige herrschaftssoziolgisch ein und setzt sie in ihren kommunikativen Handlungen in Bezug zu Verwaltungsstruktur und lokalen Machtinstanzen, berücksichtigt dabei aber auch ökonomische Gesichtspunkte. Clemens Koehn stellt hingegen bündig Innovationen in der Kriegführung und Kriegstechnik dar und hebt besonders den die einzelne Polis überfordernden, nie zuvor dagewesenen Materialaufwand hervor. Einige zusätzliche Schaubilder und Pläne hätten hier zu einem noch besseren Verständnis beigetragen. Volker Grieb widmet sich in seinem anschließenden Beitrag, "Eine Blüte griechischer Stadtkultur", den alten und neuen Poleis in der Zeit des Hellenismus. Er illustriert an mehreren Beispielen, dass die mittlerweile seit längerem entkräftete Forschungsmeinung, die Epoche des Hellenismus sei eine Zeit des Niedergangs der Polis gewesen, zu Recht neuen Paradigmen gewichen ist. Das Schicksal der nichtgriechischen Städte (z.B. Babylon) steht hier aber ebenso wenig im Fokus wie die sich zuweilen aus dem 'Vielvölkergemisch' hellenistischer Metropolen wie Alexandreia ergebenden Konflikte. Überraschend ist, dass sich kein Stadtplan Alexandreias oder Pergamons findet. Wichtig, da zentrale kulturgeschichtliche Themenfelder abdeckend, ist der Artikel von Peter Scholz. Er widmet sich neben der Ausbreitung griechischer Bildung und Philosophie auch dem Phänomen des Herrscherkults sowie Aspekten religiösen Wandels, was aber aufgrund des geringen zur Verfügung stehenden Raums verknappt wirkt. Recht emphatisch ist der Titel des Beitrags von Hans-Ulrich Cain, "Auf die Spitze getriebene Hellenisierung. Rom als erfolgreicher Erbe des Hellenismus". Er entspricht denn auch der Stoßrichtung des Beitrags, der aus primär archäologischer Perspektive die Rezeption griechischer Kulturelemente in Rom vorstellt. Kritische Stimmen zu den Aussagemöglichkeiten des Materials findet man hier nicht. [3] Auch fragt sich, warum denn gerade Rom gewählt wurde, wenn doch Karthago und Sizilien im Westen und Partherreich und Baktrien im Osten komplett fehlen. Abschließend wendet sich Sommer der Historiographiegeschichte zu. Er richtet dabei zunächst den Blick auf die Herausbildung des Epochenbegriffs Hellenismus im 19. Jahrhundert - allerdings ohne auf die Inkonsistenzen des Droysenschen Konzepts einzugehen. [4] Er behandelt dann die wesentlichen Forschungsimpulse des 20. Jahrhunderts, ohne jedoch bis zur jüngeren Forschung der letzten zwanzig Jahre aufzuschließen.
Der Band endet mit einer Zeittafel, einer Auflistung der Herrscher hellenistischer Dynastien und einem recht knappen Quellen- und Literaturverzeichnis (128). Bezüglich der Ausstattung hinterlässt der Band auch keinen durchgängig positiven Eindruck. Der generelle Verzicht auf Fußnoten ist bedauerlich und nachgerade ärgerlich, wenn sich immer wieder wörtliche Zitate im Fließtext finden. Quellenzitate werden im Text nur zweimal belegt (29, 115). Es gibt nur eine Karte. Die zahlreichen verwendeten Abbildungen, durch die sich der Band auszeichnet, sind zum großen Teil hervorragend, teils aber auch schon deutlich in die Jahre gekommen (z.B. 43), mitunter verwundert ihre Auswahl (37). Äußerst negativ fallen allerdings zuweilen die Beischriften auf. Von zahlreichen Fehlern sei hier nur einer der gravierendsten genannt. Seite 115 zeigt den Ausschnitt eines (alten) Fotos eines Porträts Alexanders des Großen. Die Bildunterschrift identifiziert ihn jedoch als "Der griechische Philosoph und Geschichtsschreiber Plutarch (...)", was auf mehreren Ebenen irreführend ist. Inhaltlich fällt ein deutlicher Eurozentrismus auf, so dass "von einer neuen Seite" des Hellenismus, die der Klappentext verspricht, nur insoweit die Rede sein kann, als mit diversen verbreiteten Irrtümern und Vorurteilen aufgeräumt wird.
Für Studierende wird der Band aus genannten Gründen daher nur sehr bedingt von Nutzen sein. Einer breiteren Öffentlichkeit wird allerdings ein überaus lohnender Einblick in diverse Aspekte der hellenistischen Welt gewährt. Die Dimension des Kulturaustauschs kommt dabei allerdings etwas kurz und den daran Interessierten sei eher der üppig ausgestattete Ausstellungskatalog der Alexander-Ausstellung von 2009/10 in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim empfohlen. [5]
Anmerkungen:
[1] Weber, Gregor (Hg.): Kulturgeschichte des Hellenismus. Von Alexander dem Großen bis Kleopatra, Stuttgart 2007.
[2] So etwa Archibald, Zofia (ed.): Making, moving and managing. The new world of ancient economies, 323-31 BC, Oxford 2005.
[3] Vgl. hier nur die freilich ins andere Extrem verfallende Position von Flaig, Egon: Über die Grenzen der Akkulturation. Wider die Verdinglichung des Kulturbegriffs, in: Vogt-Spira, G. / Rommel, B. (Hgg.): Rezeption und Identität. Die kulturelle Auseinandersetzung Roms mit Griechenland als europäisches Paradigma, Stuttgart 1999, 81-112.
[4] Bichler, Reinhold: Droysens Hellenismus-Konzept. Seine Problematik und seine faszinierende Wirkung, in: Rebenich, Stefan / Wiemer, Hans-Ulrich (Hgg.): Johann Gustav Droysen. Philosophie und Politik - Historie und Philologie, Campus Historische Studien 61, Frankfurt [u.a.] 2012, 189-238.
[5] Hansen, Svend / Wieczorek, Alfried / Tellenbach, Michael (Hgg.): Alexander der Große und die Öffnung der Welt. Asiens Kulturen im Wandel; Begleitband zur Sonderausstellung "Alexander der Große und die Öffnung der Welt - Asiens Kulturen im Wandel" in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim [vom 3. Oktober 2009 - 21. Februar 2010], Regensburg (u.a.) 2009.
Christoph Michels