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Jost Dülffer: Mehrfachbesprechung: Bernd Greiner: Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam. Einführung, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 1 [15.01.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
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Mehrfachbesprechung: Bernd Greiner: Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam

Einführung

Von Jost Dülffer

Ein FORUM der sehepunkte bündelt üblicherweise verschiedene Rezensionen von Büchern zu einem thematisch verwandten Gebiet. Diesmal ist es - wie bereits einige Male in der Vergangenheit - anders: fünf Rezensionen sind einem einzigen Buch gewidmet. Ein solches Vorgehen hat seine Tradition im US-amerikanischen H-Net, wo es je nach Liste häufiger Round Tables gibt, so etwa auf H-Diplo (http://www.h-net.org/~diplo/roundtables/). Hierbei widmen sich bis zu sechs Rezensenten intensiv einer wichtigen Neuerscheinung von mehreren Seiten. Bernd Greiners Buch zum Vietnamkrieg ist ein Werk, das sich auch hierzulande zu einem solchen Vorgehen anbietet. Leser der sehepunkte brauchen sich nicht davon beeindrucken zu lassen, dass dieses Werk seit seinem Erscheinen im Herbst 2007 in den meisten Feuilletons deutscher Zeitungen eine überaus ausführliche und positive Beachtung fand, dass es in der Sachbuch-Bestenliste von Süddeutscher Zeitung, NDR und Börsenblatt seitens der dort routinemäßig befragten Experten im November 2007 an der Spitze stand.

Aber es gibt diesem Interesse zugrunde liegende Faktoren, die sich benennen lassen. Kein Krieg in den letzten 50 Jahren hat die Zeitgenossen in der deutschen Öffentlichkeit so beschäftigt wie der US-geführte Vietnamkrieg. Bereits 1998 legte Marc Frey eine knappe Gesamtdarstellung dieses Krieges in deutscher Sprache vor, die zum Bestseller wurde. [1] Hierin wurde bereits deutlich, dass die Umwertung der Rolle der USA in der Öffentlichkeit während des Vietnamkrieges 1965-1975 eine große Bedeutung gerade in der alten Bundesrepublik hatte.

Bei Bernd Greiners voluminöser Arbeit kommt noch weiteres zusammen. Der Autor hat 1. gründlich in US-Archiven gearbeitet und dabei erstmals Quellen der internen Militäruntersuchungen über Verbrechen heran gezogen. So kann er die internen Strukturen amerikanischer Kriegführung vor Ort neu und breiter analysieren. 2. umfasst dies die Ebene der einfachen Soldaten mit ihrer Führung vor Ort. Diese beiden Ebenen sind auch im Vergleich zur ganze Bibliotheken umfassenden amerikanischen Literatur vergleichsweise neu. 3. verbindet er die genannte Ebene mit der inneramerikanischen Ebene - von der Streitkräfteebene bis zur politischen Führung. 4. handelt sich um eine Arbeit, welche Möglichkeiten und Strukturen asymmetrischer Kriegführung thematisiert und damit grundsätzliche Fragen aufwirft. Es ist ferner (5.) ein Buch, dass Gewaltgeschichte im Rahmen der Internationalen Geschichte nachdrücklich einbringt, ein Themenportal, das in historicum.net bearbeitet wird: (http://www.historicum.net/themen/internationale-geschichte/). Die erste Ebene steht bei Greiner sicherlich im Vordergrund, aber zu allen genannten Ebenen lassen sich weiter führende zustimmende wie kritische Beobachtungen formulieren. Jede einzelne Ebene wäre in sich bemerkenswert, zusammen liefern sie eine Integrationsleistung in der Darstellung, die auch für ganz andere Themen vergleichend fruchtbar gemacht werden kann [2].

Die Rezensenten sollten möglichst aus sehr unterschiedlichen fachlichen Richtungen an das Buch Greiners heran gehen: Holger Nehring (Sheffield) fungiert als stellvertretender Sprecher des Arbeitskreises Historische Friedensforschung und bereitet den Druck einer vergleichenden Studie zum Nuklearprotest in Großbritannien und der Bundesrepublik vor. Manfred Berg stellt als Carl-Engelhorn-Professor in Heidelberg einen der führenden deutschen Amerikahistoriker und zugleich Historiker Internationaler Geschichte dar. Sönke Kunkel (Harvard/Köln) bereitet eine Arbeit zu kulturellen Dimensionen Internationaler Geschichte der USA vor. Ulrich Bröckling (Leipzig) ist Soziologe und hat sich u.a. mit dem Militär und Bedingungen militärischen Gehorsams beschäftigt. Last, but not least, ist Dennis Showalter ein führender Militärhistoriker in den USA, der nicht nur breit zur deutschen Militärgeschichte publiziert hat, sondern auch schon 1973 zum Vietnamkrieg.

Auf der ersten Ebene, des Krieges vor Ort, - das heben alle Rezensenten hervor - leistet Greiner Innovatives. Wie die Gewaltproduktion vor Ort vor sich gegangen ist, wird von den meisten Rezensenten als überzeugend angesehen. Nur Showalter stellt dem gegenüber, dass die Vietnamesen in diesem Krieg nichts von den Amerikanern lernen mussten und verschiebt damit die Perspektive. So wird der Krieg zur "human tragedy", bei der allein auf die Scheußlichkeiten in einer Manier abgehoben werde, wie es eben deutsche Autoren täten. Schließlich seien, so Showalter, US-Soldaten von der Antikriegsbewegung zu Hause verhöhnt worden. Einige Rezensenten heben hervor, dass zwischen Soldaten und Führung vor Ort wie im Mutterland eine Beziehung von Erwartungshaltung und Freiheit hergestellt worden sei. Wenn es um die Rolle der amerikanischen Führung insgesamt geht, dann fragt Nehring am deutlichsten, ob hier eine Korrespondenz zwischen zivil eingehegter amerikanischer Gesellschaft und Enthemmung in Vietnam bestand. Kunkel gibt dagegen zu bedenken, ob es hier im Vergleich zu anderen US-Kriegen um ein Versagen von Kontrollmaßnahmen handelte. War der Vietnamkrieg- so Nehring - letztlich ein typischer Ausfluss des Kalten Krieges oder hatte er etwas Spezifisches für die Gewaltgeschichte der Dekolonisierung (Kunkel)?. Damit wird von Nehring auch der Begriff des asymmetrischen Krieges, der von einigen Rezensenten positiv aufgegriffen wird, infrage gestellt. Bröckling geht noch weiter, wenn er die dargestellten Massaker im Krieg als eine allgemeinere Darstellung von Krieg als Massaker deutet.

Es gibt kritische Einwände: die vietnamesische Seite wird von einigen Rezensenten als unterbelichtet gesehen. Das Narrativ der Soldaten hätte nach Nehring näher befragt werden sollen, für Berg sieht Greiner das Problem der Zeitzeugen durchaus kritisch. Grundlegende Kritik äußert vor allem Showalter [3]. Er sieht bei Greiner einen grundlegenden Angriff auf amerikanische "arrogance", welche aus einer Ablehnung von "exceptionalism" resultiere. Ihn erinnert der Umgang Greiners mit der US-Kriegführung in Vietnam an die deutschen Bemühungen den behaupteten "clean shield" der Wehrmacht zu demystifizieren. In beiden Fällen werde weit über das Ziel hinaus geschossen. Bröcklings Ansicht könnte man dagegen stellen, der hier zur allgemeinen sozialwissenschaftlichen Gewaltforschung Positives geleistet sieht, nämlich Gewaltprozesse und ihre Sinndeutungen präzise zu beschreiben.

Es versteht sich, dass Bernd Greiner die Gelegenheit zum kritischen Gegenkommentar gegeben wurde; er verzichtet jedoch derzeit darauf: Positive wie negative Kritik solle dem Leser zur Bildung der eigenen Meinung über die abgegebenen Urteile ermöglichen. Dem schließt sich der Koordinator an. Vielleicht geht Bergs Wunsch nach einer baldigen amerikanischen Übersetzung ja in Erfüllung.

Anmerkungen:

[1] Marc Frey, Geschichte des Vietnamkrieges. Die Tragödie in Asien und das Ende des amerikanischen Traums (Becksche Reihe), München 1998, 8. Auflage 2006.

[2] Z. B. in jüngster Zeit im deutschsprachigen Raum: Stig Förster, Markus Pöhlmann, Dierk Walter (Hg.), Schlachten der Weltgeschichte. Von Salamis bis Sinai, München 2001; Thoralf Klein, Frank Schumacher (Hg.), Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus, Hamburg 2006; Bernd Greiner, Christian T. Müller, Dierk Walter (Hg.), Heiße Kriege im Kalten Krieg, Hamburg 2006; Corinna Hauswedell (Hg.), Deeskalation von Gewaltkonflikten seit 1945, Essen 2006; Hans-Henning Kortüm (Hg.),Transcultural Wars from the Middle Ages to the 21st Century, Berlin 2006.

[3] Er schließt sich hier positiv an an: Mark Moyar, Triumph Forsaken: The Vietnam War, 1954-1965, Cambridge 2006, das auch in den USA kritisch gesehen wird: http://www.h-net.org/reviews/showrev.cgi?path=139511199481160 (J.D. Sherwood)

Prof. Dr. Jost Dülffer ist Professor für Neuere Geschichte am Historischen Seminar der Universität zu Köln.

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