Monika Böning: Die mittelalterlichen Glasmalereien in der Werbener Johanniskirche. Mit einem Regestenteil von Ulrich Hinz (= Corpus Vitrearum Medii Aevi, Deutschland; Bd. XIX: Sachsen-Anhalt Nord, Teil 1), Berlin: Akademie Verlag 2007, 319 S., 22 Farb-, 224 s/w-Abb., ISBN 978-3-05-004142-1, EUR 69,80
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Landesdenkmalamt Berlin (Hg.): Kirchenruine des Grauen Klosters in Berlin. Geschichte, Forschung, Restaurierung, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2007
CVMA-Bände gehören zu den Publikationen, die der Forschung nicht selten kaum bekannte und - unter anderem aufgrund des oft ungewissen Anteils an Originalbestand - gern außer Acht gelassene Denkmalkomplexe erschließen. Im Gebiet der mittelalterlichen Mark Brandenburg sind die CVMA-Bände mit ihrem in hervorragender Qualität dargebotenen Bildmaterial in Ermangelung anderer Grundlagenwerke zur mittelalterlichen Malerei und Skulptur "Felsen in der Brandung", Fixpunkte für den Kunsthistoriker. Auch der Werbener Band macht hier keine Ausnahme, erschließt er doch einen bedeutenden Bestand teilweise hervorragend erhaltener Glasmalereien aus der Zeit von circa 1360-1470.
Wie gewohnt, wird dem Katalogteil ein Literaturverzeichnis sowie eine historische und eine kunsthistorische Einleitung vorangestellt; letztere versucht, die künstlerische Situation in Werben bzw. in der östlichen Altmark zu beleuchten. Im Katalogteil, in dem der Zustand der Glasmalereien detailliert beschrieben und durch Kartierungen visualisiert wird, wird die kunsthistorische und ikonographische Analyse akribisch durchgeführt. Danach folgt ein von Ulrich Hinz verfasster Regestenteil, in dem alle für die Glasmalereien relevanten Quellen sorgfältig aufgeführt sind. Der Band wird durch ein umfangreiches Register erschlossen. Insgesamt sticht er - wie andere CVMA-Bände auch - durch seine gute produktionstechnische Qualität und Gediegenheit heraus und macht deutlich, wie wichtig eine solch angemessene Präsentation der Kunstwerke ist. Die Glasmalereien werden durch einen Tafelteil (schwarzweiß) präsentiert, der sich am Ende des Bandes befindet. Daneben sind in die Einführung und in den Katalogteil zahlreiche Detailaufnahmen eingeflochten, um die kunsthistorischen Vergleiche zu stützen. Ferner wurden die bedeutendsten Malereien zusätzlich auf Farbtafeln abgebildet. Die Fotografien sind durchgehend herausragend zu nennen. Die Scheiben konnten großenteils während der Restaurierung im ausgebauten Zustand unter idealen Verhältnissen abgelichtet werden.
Der Werbener Corpusband hat die Bezeichnung "Deutschland XIX: Sachsen-Anhalt Nord, Teil 1" und trägt damit den heutigen politischen Grenzen Rechnung, die aber im Hinblick auf das untersuchte Gebiet irreführend sind. So liegt Werben in der Altmark, einem Kernland der mittelalterlichen Markgrafschaft Brandenburg. Gerade das Gebiet der mittleren Elbe - heute auf die Bundesländer Brandenburg und Sachsen-Anhalt aufgeteilt - gehört zu den aus kunsthistorischer Sicht reichhaltigsten Gebieten des alten Brandenburg. Künstlerisch sind die hier liegenden Städte Stendal, Tangermünde, Werben, Wilsnack und Brandenburg jedenfalls aufs Engste miteinander verknüpft und das Gebiet ist aus verschiedenen Gründen als zusammenhängende Kulturlandschaft zu betrachten. Dies wird gerade auch im Hinblick auf die Glasmalereien deutlich: Ein Atelier, das für Werben Scheiben lieferte, war außerdem noch in der Stendaler Jakobikirche (Sachsen-Anhalt), in Wilsnack (Brandenburg) und im Brandenburger Dom (Brandenburg) tätig; teilweise wohl vom gleichen Markgrafen - Friedrich II. von Hohenzollern - beauftragt. Wenn in Zukunft auch der Corpusband "Brandenburg" vorliegen wird, werden ihre Erzeugnisse in drei Bänden abgehandelt sein, jeweils von verschiedenen Autoren bearbeitet. [1] Dies sei für den Leser "von außen" angemerkt, dem die Verhältnisse zunächst nicht ganz klar sein dürften.
Die Werbener Johanniskirche war Ordens- und Pfarrkirche gleichermaßen: Sie diente sowohl einer bedeutenden Johanniterkomturei wie einer ehemals potenten und durch den Handel reich gewordenen Stadtgemeinde. Diese kultische Bedeutung des Baus, in den unter anderem bürgerliche wie landesherrliche Mittel flossen - erklärt dessen Dimension wie die Qualität der künstlerischen Ausstattung, die den heutigen Besucher des abgeschiedenen Ortes erstaunt. Der Kirchenbau wurde - vom romanischen Westturm und Teilen der alten Querhauswände abgesehen - beginnend mit dem Langhaus von ca. 1400-1470 errichtet. Die Glasmalereien entsprechen dieser Chronologie weitgehend. Von einigen wenigen wiederverwendeten Scheiben des Vorgängerbaus (um 1360) abgesehen, sind die Malereien von mehreren Glasmalereiwerkstätten in der Bauzeit geschaffen worden. Drei Ateliers waren 1400-1430 tätig, darunter ragt eines durch die künstlerisch bedeutenden wie auch ikonographisch reichhaltigeren und programmatischen Werke heraus; hervorzuheben sind die im Zusammenhang zu sehenden Darstellungen der Hostienelevation und der Kreuzigung mit Ecclesia und Synagoge.
Als nächstes sind die Glasmalereien des Chores zu nennen, die teilweise von Kurfürst Friedrich II., der hier inschriftlich als Markgraf und Kurfürst zu Brandenburg, Erzkämmerer des Heiligen Römischen Reiches und Burggraf zu Nürnberg tituliert wird, 1467 gestiftet wurden. Zu erwähnen sind besonders die hervorragenden Darstellungen von Marientod und -krönung. Diese Werke sind dem oben genannten, auch an mehreren anderen Orten in der Mark Brandenburg tätigen Atelier zuzurechnen, dessen Œ uvre erstmals von Karl-Joachim Maercker zusammengestellt wurde. Es sind Glasmalereien, die sich durch einen "introvertierten", elegischen Stil auszeichnen und noch deutlich an die künstlerischen Traditionen der ersten Jahrhunderthälfte anknüpfen, aber deshalb nicht unbedingt als rückschrittlich charakterisiert werden sollten, wie hier bisweilen anklingt. Dies geschieht, weil fast ausschließlich die niederländische Malerei als Maß für künstlerische Qualität herangezogen wird (145f., besonders auch 151f.). Die Glasmalereien sind gewissermaßen Paradebeispiele für die Pindersche "Dunkle Zeit", der die Kunstgeschichte oftmals unentschlossen gegenübersteht.
Eine weitere Werkstatt schuf etwa zeitgleich die künstlerisch besten Glasmalereien in Werben, darunter eine hervorragend erhaltene Epiphanie von berückend schöner Komposition, die den Vergleich mit den besten zeitgenössischen Malereien im norddeutschen Raum kaum zu scheuen braucht. Für diese Malereien, die nun in starkem Maße von der Kenntnis der frühen Niederländer (Meister von Flémalle) und gleichermaßen von der Auseinandersetzung mit den Stichen des Meisters E. S. zeugen, gibt es im Medium der Glasmalerei nicht nur in diesem Bereich wenig Vergleichbares. Böning arbeitet überzeugend heraus, dass sich der Glasmaler auch hinsichtlich seiner Strichführung von grafischen Vorbildern inspirieren ließ (133f.), die nur kurze Zeit früher am Oberrhein entstanden.
Geradezu konträr zur Bedeutung und zum Umfang des Werbener Bestandes ist die Forschungslage, sodass Böning bei der Analyse vielfach Neuland betritt. Da aber auch sonst die Kunst des betreffenden Gebietes nur wenig bis überhaupt nicht bearbeitet ist - Überblickswerke liegen z. B. nicht vor - kann hier nicht von bereits bestehenden Theorien zur künstlerischen Entwicklung in der Mark Brandenburg ausgegangen werden. Dies hat in der Vergangenheit bei Einzelstudien schnell dazu geführt, dass die untersuchten Objekte vorschnell als Importe klassifiziert wurden. Es ist als wohltuend hervorzuheben, dass dergleichen hier nicht geschieht. Ganz im Gegenteil spricht Böning unbestimmt von "mitteldeutschem Stilidiom" und "lokalen", oder bestimmter, von "ortsansässigen" Werkstätten. Dies gilt nicht nur für Glasmaler, sondern auch für die Schöpfer von Kunstwerken anderer Gattungen, die zum Vergleich herangezogen werden. Dies ist mitunter problematisch: Es mag noch möglich sein, Details der Glasmalereien neben Köpfe von Reliefs des Havelberger Lettners zu stellen, um damit - recht allgemein - dasselbe mitteldeutsche "Stilidiom zu bestätigen"(52). Problematisch wird es im Fall der zum Vergleich und zum Beleg für eine lokale Produktion herangezogenen (53 und 132), in den Außenbau der Werbener Kirche eingelassenen kleinformatigen Hausteinreliefs. Der Größe nach gut transportabel, könnten sie durchaus - wir befinden uns in der norddeutschen Tiefebene und damit in einer Backsteinlandschaft - importiert worden sein. Dazu ist hier beispielsweise zu lesen (53): "Zwischen beiden Glasmalereiwerkstätten vermittelt stilistisch und zeitlich das Relief mit dem Gebet Christi am Ölberg. Dieses über mehrere Jahrzehnte sich nur langsam weiterentwickelnde Stilidiom lässt auf Werkstätten schließen, die in Werben selbst ansässig waren und sich nach einem örtlichen Stil richteten."Eine lokale Produktion der Steinskulptur in der Mark ist jedoch zumindest nicht ohne weiteres als gegeben anzunehmen! Die fraglichen Reliefs scheinen künstlerisch mit einer Werkgruppe in Zusammenhang zu stehen, die u. a. Beispiele in Halberstadt, Quedlinburg und Brandenburg besitzt und vielleicht von Braunschweig ausging [2]; damit dürfte ein Import hier sehr wahrscheinlich sein. Vorsicht ist auch angebracht, wenn Werke wie die hochrangige Madonna eines Retabels aus dem altmärkischen Seehausen (um 1420, heute im Stendaler Dom, 123) oder das Werbener Hochaltarretabel (um 1440, 54f.) unumwunden lokalen Werkstätten zugewiesen werden ohne dass frühere - wenn auch selten befriedigend begründete - Einordnungsversuche ausreichend reflektiert werden. [3] Natürlich ist von bedeutender lokaler Kunstproduktion in den florierenden märkischen Städten auszugehen, doch ist in diesem über die Elbe mit anderen wichtigen Zentren verknüpften Gebiet gleichermaßen mit einem intensiven künstlerischen Austausch zu rechnen. Kronzeugen dafür sind Werke wie die niederländischen Glasmalereien in Wilsnack oder ein umfangreiches englisches Alabasterretabel in Mödlich bei Lenzen.
Ganz abgesehen davon wäre in Anbetracht der politisch-territorialen Konstellationen - es sei an die aus Nürnberg stammenden Hohenzollern erinnert, die in der Mark seit 1411 die Landesherren stellten und durchaus noch lange Kontakt zu ihren Herkunftslanden pflegten - ein künstlerischer Einfluss aus Franken einer Überprüfung Wert gewesen.
Doch schmälern solche offenen Fragen kaum die Bedeutung des hier Dargebotenen, das, dies sei nochmals unterstrichen, dem scheinbar vertrauten Bild der norddeutschen Kunst einige leuchtende Farben hinzufügt. Man darf mit Spannung die beiden in naher Zukunft erscheinenden Bände zu Kloster Neuendorf und zum gesamten Bundesland Brandenburg erwarten und sich glücklich schätzen, dass es noch derartige beharrlich arbeitende und auf lange Sicht hin angelegte Forschungsprojekte gibt.
Anmerkungen:
[1] Karl-Joachim Maercker: Die Mittelalterlichen Glasmalereien in der Stendaler Jakobikirche (= Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland XVIII, 2) Berlin 1995; Ute Bednarz, Eva Fitz, Frank Martin, Markus Mock und Martina Voigt (unter Mitarbeit von Götz Pfeifer): Die mittelalterlichen Glasmalereien in Berlin-Brandenburg (= Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. XXII), Abschluss des Manuskripts 2008.
[2] Wolfgang Scheffler: Die gotische Plastik der Stadt Braunschweig und ihre Stellung im niedersächsischen Kunstkreis, Diss. Göttingen 1925 (Typoskript), 150-229.
[3] Z. B. Werner Meinhof: Ostfälische Schnitzaltäre des frühen 15. Jahrhunderts, Diss. Halle 1927, 29 ff. und Max Hasse: Der Flügelaltar, Diss. Berlin 1941, 48.
Peter Knüvener