Michel Pauly: Peregrinorum, pauperum ac aliorum transeuntium receptaculum. Hospitäler zwischen Maas und Rhein im Mittelalter (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte; Nr. 190), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, 512 S., 10 Abb., 8 Tab., 40 Karten, 1 CD-ROM, ISBN 978-3-515-08950-0, EUR 72,00
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Dieses Buch eröffnet der historischen Hospitalforschung neue Perspektiven. Zwar hat es französische Vorläufer[1], doch nirgendwo sind bisher die Hospitäler einer großen Region vom 6. Jahrhundert bis 1500 auf derart umsichtige Weise vergleichend untersucht und kartografisch präsentiert worden. Kennzeichnend für Paulys Zugang ist die Anwendung von Problemstellungen der Raum- und Zentralitätsforschung, wie sie im Trierer Sonderforschungsbereich 235 entwickelt wurden, aus dem das Buch hervorgegangen ist.
Der Untersuchungsraum reicht von Aachen und Lüttich im Norden bis Mulhouse im Elsass; im Westen begrenzen ihn Maas und Marne, im Osten der Rhein. Die zu Grunde gelegte Definition des Hospitals als "Institution [...], die ursprünglich verschiedene Arten von Schwachen in einem dazu eingerichteten Gebäude aufnimmt und pflegt" (18), erfasst "Pilgerherbergen, Abteihospize, Klosterinfirmarien, Armenhospitäler, Krankenhäuser, Pfründneranstalten" (37). Ausgeklammert werden nur Leprosenhäuser, weil zu ihnen eigene Studien vorliegen [2]. Doch trotz dieser Einschränkung hat Pauly zwischen Maas, Mosel und Rhein bis zum Jahr 1500 mindestens 528 Hospitäler ausfindig gemacht: Vom ländlichen Pilgerhospiz mit zwei oder drei Betten bis zum Straßburger Großen Spital mit Platz für 200 Insassen ist jede Variante mittelalterlicher hospitalitas vertreten.
Obwohl bei solchen Mengen eine Beschränkung auf edierte Quellen verständlich wäre, gelingt es dem Verfasser, zumindest für Teilgebiete (Elsass, Lothringen, Luxemburg) auch archivalische Quellen auszuwerten. Der Charakter der urkundlichen Überlieferung und der Zuschnitt der Studie, in der die Aussagen ausgewählter Einzelquellen stets an 528 Fällen gemessen werden müssen, sorgen freilich dafür, dass bestimmte Aspekte bevorzugt werden: Man erfährt viel über die räumliche Verteilung und zeitliche Abfolge der Gründungen oder Ersterwähnungen, die Identität der Gründer und Verwalter, die Funktionen und die Typologie der Hospitäler; wenig hingegen über die soziale und geografische Herkunft sowie die Verweildauer der Insassen und über die Alltags- und Wirtschaftsgeschichte der Hospitäler.
Ein bemerkenswerter Kartenapparat visualisiert nicht nur die im Text herausgearbeiteten Ergebnisse, sondern liefert wie ein bildgebendes Verfahren eine "Sekundärquelle" (28), die die Schriftquellen ergänzt. Die Karten zeigen z. B., dass die höchste Hospitaldichte in den Flusstälern erreicht wurde (mittlere Maas, Mosel, Elsass und Mittelrhein), wofür allerdings weniger die Flüsse selbst als vielmehr die in den Tälern gelegenen Straßenverbindungen und Siedlungen ausschlaggebend waren. Dies gilt auch schon im Frühmittelalter (Phase I, 6. Jahrhundert bis 1179), aus dem noch relativ wenige, überwiegend zu Klöstern gehörende Hospitäler bezeugt sind. Im 13. und frühen 14. Jahrhundert (Phase II, 1180-1349) ist die größte Zahl der Erstbelege zu verzeichnen. In diesem Zeitraum wurden Hospitäler vor allem in Städten gegründet, während in Phase III (1350-1500) Überlandstraßen und Dörfer als Hospitalstandorte wieder stärker ins Spiel kamen (Karten 1.0-1.3).
Was von den in insgesamt vierzig Karten resümierten Charakteristika der Hospitälerlandschaft zwischen Maas und Rhein verallgemeinerbar ist, wird sich erst dann beurteilen lassen, wenn Studien zu anderen Regionen auf einer vergleichbaren Datengrundlage vorliegen. Einstweilen rückt Pauly, mit seinen empirischen Befunden gewappnet, den loci communes der Hospitalforschung zu Leibe: meist mit dem Ergebnis, dass der bisherige Kenntnisstand zu differenzieren ist. Das betrifft z. B. die - freilich umstrittene - Frage nach spätmittelalterlichen Ansätzen zur Sozialdisziplinierung (409-412). Da die Hospitäler der hier untersuchten Region dafür nichts hergeben, sieht Pauly jene Mediävisten bestätigt, die einer Rückdatierung der Disziplinierungspolitik ins Mittelalter mit Skepsis begegnen. Vor allem aber setzt er sich mit dem Altmeister der deutschen Hospitalgeschichte, Siegfried Reicke, auseinander [3]. Die Argumentation bleibt dabei stets fair und erweist nicht wenige von Reickes Ergebnissen als belastbar. Manches freilich, z. B. die These von der Kommunalisierung, muss gegenüber Reicke differenziert werden.
Dieser hatte beobachtet, dass die ursprünglich kirchlichen Hospitäler seit etwa dem 13. Jahrhundert reihenweise von den Kommunen übernommen wurden. Dass zwischen Maas, Mosel und Rhein von durchgehender Kommunalisierung der Hospitäler jedoch nicht die Rede sein kann und die These daher fragwürdig ist, zeigt Pauly im Kapitel "Gründer, Träger, Verwalter und ihre Motive" (74-222). Zum einen taten sich nur wenige Kommunen selbst als Hospitalgründer hervor, und zum anderen gelang es längst nicht allen Städten, die in ihrem Gebiet bestehenden kirchlichen oder privaten Hospitäler wenigstens teilweise zu übernehmen (154-162 u. a.). Daraus folgt, dass es in den spätmittelalterlichen Städten viel mehr nicht-kommunale Hospitäler gab, als man bisher meinte; im Übrigen wurden auch die von den Kommunen kontrollierten Hospitäler fast nie von ihnen selbst, sondern von einer religiösen oder semireligiösen Gemeinschaft oder einer Bruderschaft verwaltet. Es sieht also eher nach Kooperation zwischen laikalen und kirchlichen Instanzen aus als nach heroischem Befreiungskampf der Städte gegen die Kirche. Konsequenterweise arbeitet Pauly die Rolle der Hospitäler im und für den mühsamen Prozess der politischen Verselbständigung der Kommunen heraus, während Reicke annahm, dass der Griff der Stadträte nach den kirchlichen Hospitälern aus der komfortablen Position einer längst schon gesicherten kommunalen Autonomie erfolgt war.
Nicht konsequent genug ist Paulys Kritik am Begriff der "bruderschaftlichen Hospitäler": So nannte Reicke sämtliche Hospitäler, in denen sich nicht nur Laienbruderschaften im engeren Sinn, sondern auch semireligiöse Gemeinschaften, ja sogar Ritter- und Hospitalorden nachweisen lassen. Zwar erweist Pauly durch seine schärfere Unterscheidung zwischen Trägern und Verwaltern diese "selbständigen bruderschaftlichen Hospitäler" Reickes als Konstrukt (140-154), hält jedoch an dessen viel zu breitem Bruderschafts-Begriff und damit an einem Wortgebrauch fest, der in der heutigen internationalen Forschung nicht mehr zu vermitteln ist.
Die im Schlusskapitel gebotene Auswertung der Daten auf die Frage hin, was aus der Hospitalgeschichte für die Struktur des untersuchten Raumes zu lernen ist, rekurriert auf komplexere statistische Verfahren. Die daraus entwickelte Hospitaltypologie, die nun überwiegend auf räumlichen Kriterien basiert, ist allerdings nicht ohne weiteres auf die in den vorderen Kapiteln verwendeten Klassifizierungskriterien wie Träger, Funktion oder Art der Insassen beziehbar. Weder diese neue Typologie noch die abschließenden Überlegungen zur Heterogenität der Hospitälerlandschaft im Untersuchungsraum wecken beim Leser ein unstillbares Verlangen danach, die zu sparsam erläuterten Korrespondenz- und Clusteranalysen einschließlich der auf CD beigegebenen Excel-Listen wirklich zu verinnerlichen. Das ändert aber nichts am Gesamteindruck: Michel Pauly hat ein methodisch und in der Sache weiterführendes Buch geschrieben.
Anmerkungen:
[1] Daniel Le Blévec: La part du pauvre. L'assistance dans les Pays du Bas-Rhône du XIIe siècle au milieu du XVe siècle, Rom 2000; Pascal Montaubin (ed.): Hôpitaux et maladreries au Moyen Age: espace et environnement (= Themenheft der Zeitschrift Histoire médiévale et Archéologie, 17), Amiens 2004.
[2] Martin Uhrmacher: Lepra und Leprosorien im rheinischen Raum, Trier 2006.
[3] Siegfried Reicke: Das deutsche Spital und sein Recht im Mittelalter, Stuttgart 1932.
Thomas Frank