Marzia Azzolini / Massimo Miglio (a cura di): Pietro Egidi. Giornata di studi, Viterbo, 18 novembre 2015 (= Fuori collana; 9), Roma: Istituto Storico Italiano per il medio evo 2017, XVI + 75 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-88-98079-60-5, EUR 17,00
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Der Mediävist Pietro Egidi (1872-1929), dem kein Geringerer als Fernand Braudel im Vorwort seines Mittelmeer-Buchs Bewunderung zollte (66), ist heute kaum noch im Gedächtnis der Mittelalterforscher, schon gar nicht außerhalb Italiens. Man stößt auf ihn, wenn man sich mit einer der italienischen Regionen beschäftigt, deren mittelalterlicher Geschichte er grundlegende Arbeiten gewidmet hat: Viterbo und Rom, Süditalien, Turin und Piemont. Diese Orte spiegeln in etwa seine Lebensstationen wider: geboren in Viterbo, Studium in Rom, mehrere Stellen als Gymnasiallehrer vor allem in Neapel; nach seiner ersten Professur an der Universität Messina (1912-1915) lehrte Egidi von 1915 bis zu seinem Tod an der Universität Turin. Der Tagungsband präsentiert dieses Gelehrtenleben in fünf Beiträgen.
Massimo Miglio, Präsident des Istituto storico italiano per il medioevo (kurz: Istituto) und ehemals Professor an der Universität von Viterbo, erinnert in seiner Einleitung (V-XV) an Egidis realisierte und geplante Quellenausgaben zur Geschichte seiner Geburtsstadt sowie an seinen Rückzug aus dem Istituto (1925-1926), weil er dessen Vereinnahmung durch die faschistische Regierung nicht mittragen wollte. Enrico Artifoni (1-25) ordnet Egidis Forschungsinteressen und methodisches Vorgehen in den historiografischen Kontext der italienischen Mediävistik um 1900 ein und ediert zwei Texte aus jenem Teil des Nachlasses, der 2015 von einer Enkelin des Historikers der Universität Turin geschenkt wurde (daneben ist die Korrespondenz im Archiv des Istituto die wichtigste biografische Quelle). Artifoni macht deutlich, dass Egidi sich in der um 1900 international geführten Debatte um das Verhältnis von - wie es in Deutschland hieß - "Geschichtsforschung" (Quellenkritik, quellennahe Detailstudien) und "Geschichtsschreibung" (die Kunst der Überblicksdarstellung, in Italien zusätzlich geprägt durch die Geschichtsphilosophie von Benedetto Croce) nicht festlegen wollte. Er beherrschte beide Genres: Neben institutions-, sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Studien, die dicht am lokalen Material gearbeitet sind, schrieb er auch Synthesen, bis hin zu einer heute noch lesenswerten kritischen Einführung in die Mediävistik (1922).
Anna Modigliani (27-36) nimmt Egidis Aktivtäten in Rom unter die Lupe, wo er zunächst bei der Società romana di storia patria und dann beim Istituto seine Beiträge und Editionen zur Hauptstadt und ihrer Region publizierte, insbesondere die beiden Bände der Necrologi e libri affini della provincia romana. Amedeo Fenielli (37-51) widmet sich der Rolle Egidis in der Geschichtsschreibung zu Süditalien. Die Jahre in Neapel (1904-1912), wo auch Croce tätig war, haben seinen wissenschaftlichen Horizont entscheidend befruchtet. Egidi ließ sich von Croces Geschichtstheorie aber nicht darin beirren, seine Interessen an einer quellengestützten Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des späteren Mittelalters auszubauen. Bekanntestes Ergebnis sind seine Studien und Editionen zur Sarazenensiedlung in Lucera (1911-1917). Leider fehlt in Feniellos Bibliografie ein Hinweis auf die archäologischen und historischen Forschungen zu Lucera, die das Deutsche Historische Institut in Rom in den letzten Jahren lanciert hat - verwunderlich, bietet doch die Homepage des südlich der Alpen nicht gerade unbekannten Instituts zusammenfassende Beschreibungen dieser Initiativen auch in italienischer Sprache. So liefert auch dieses eigentlich sorgfältig gemachte Bändchen Anschauungsmaterial dafür, wie die heutige Geschichtswissenschaft sich unter dem Deckmantel der vom Englischen dominierten Globalisierung de facto renationalisiert.
Den Schluss bildet ein Beitrag von Giampaolo Francesconi (53-72) über Egidis durchaus auch kritisches Verhältnis zum Istituto storico italiano per il medioevo. Anhand der in dessen Archiv erhaltenen Korrespondenz lässt sich nicht nur der (phasenweise mühsame) Entstehungsprozess der Necrologien-Edition beleuchten, sondern auch sein bereits erwähntes, politisch begründetes Ausscheiden aus dem Leitungsgremium des Istituto, in das er in der Zwischenzeit berufen worden war. Das kleine Buch ist alles in allem eine interessante Würdigung eines zurückhaltenden, uneitlen Gelehrten, der bei aller Offenheit für die theoretischen Debatten seiner Zeit darauf bestand, dass Historiker mit Quellen arbeiten und diese Quellenarbeit transparent machen müssen.
Thomas Frank