Paul Warde: Ecology, Economy and State Formation in Early Modern Germany (= Cambridge Studies in Population, Economy and Society in Past Time; 41), Cambridge: Cambridge University Press 2006, xvi + 392 S., ISBN 978-0-521-83192-5, GBP 55,00
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Die vorliegende Studie untersucht das Verhältnis zwischen ländlicher Gesellschaft und Staatsbildung vom ausgehenden 15. bis ins 18. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht der Umgang mit natürlichen Ressourcen, insbesondere mit Wald und Holz, die als historische Objekte in den letzten Jahrzehnten immer mehr in das Bewusstsein von Agrar- und Umwelthistorikern gerückt sind. Gleichwohl hat die immense Bedeutung von Holz als universalem Rohstoff und Konsumgut in der Frühen Neuzeit noch immer nicht angemessenen Eingang in die allgemeinhistorische Forschung gefunden. Angesichts des kaum vorstellbaren Umfangs überlieferter Quellen, die sich um wirtschaftliche, rechtliche oder administrative Fragen von Waldbesitz und Waldnutzung in der Frühen Neuzeit drehen und deren Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist, beschränkt sich die empirische Grundlage dieser Untersuchung auf den Südwesten Deutschlands, genauer: auf das Forstamt Leonberg im Norden und Westen der württembergischen Residenzstadt Stuttgart.
Die Untersuchung entstammt der sozial- und wirtschaftshistorischen Tradition der Universität Cambridge. Im Zentrum steht die sehr aktuelle Frage, wie im Zusammenspiel mit der Ausbildung von Staatlichkeit eine (ländliche) Gesellschaft mit ökologischen Veränderungen und Problemen zurechtkommt oder sich auf sie einstellt, wie etwa soziale und ökonomische Stabilität vor dem Hintergrund von Ressourcenknappheit oder "Holznot" erhalten werden können. Warde geht dabei in fünf Schritten vor. Nach einer Vorstellung von Lebens- und Wirtschaftsformen der Bewohner des Untersuchungsgebiets widmet sich der zweite Teil den lokalen Herrschaftsverhältnissen und Abhängigkeiten. Im anschließenden Kapitel geht es um die Implementation von Normen und die Dynamik der Interaktionen zwischen territorialen Obrigkeiten und lokalen Strukturen, unter anderem am Beispiel des Ausbaus der Forstverwaltung. Darauf folgt eine detaillierte Analyse des Wandels von Holzangebot und -nachfrage und schließlich ein Kapitel zu den ökologischen Implikationen des Zugangs zur Ressource Holz.
Auch wenn die Ausführungen des Autors zu den demografischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Dorfbewohner im Leonberger Forstamt und zu ihren wirtschaftlichen und fiskalischen Abhängigkeiten von der herzoglichen Zentrale in gewissem Umfang nötig zum Verständnis des Ressourcenmanagements der analysierten Gesellschaft sind, bringen sie doch im Vergleich zu anderen Untersuchungen nicht allzu viel Neues. Das wohl stärkste Kapitel ist demgegenüber das vierte. Hier geht der Autor minutiös und auf der Basis verschiedener Quellengruppen (Forstlagerbücher und andere Übersichten, Gerichts- und Verwaltungsakten, Steuerbücher und Forstamtsrechnungen) der Frage von Holzangebot und der Nachfrage nach diesem Rohstoff nach. Der Leser gewinnt hier nicht nur ein sehr differenziertes Bild über den unterschiedlichen Bedarf an bestimmten Holzarten und -qualitäten innerhalb der ländlichen Gesellschaft. Darüber hinaus wird plausibel belegt, dass ein Mangel bestimmter Hölzer in einigen Gegenden des Forstamts während der Frühen Neuzeit durchaus zu Krisenszenarien führen konnte. In bestimmten Sektoren war eine lokale "Holznot" damit keineswegs aus der Luft gegriffen.
Hinsichtlich der Implementierung territorialer Herrschaft durch den Zugriff auf die Ressource Holz folgt der Autor einem differenzierten Modell. Er belegt unter anderem am Beispiel der Forstbediensteten eine Integration lokaler Obrigkeiten in frühstaatliche Strukturen. Hierbei und beim Zugriff auf die Ressource Holz ging es auch um den Statuserhalt dörflicher Oberschichten gegenüber ärmeren Bewohnern. Wenn Proteste und Konflikte entstanden, dann geschah dies allerdings weniger durch eine großangelegte Unzufriedenheit an den Auswirkungen von Staatsbildung, sondern ganz konkret dann, wenn in Einzelfällen das "alte Herkommen" oder Billigkeitsgrundsätze bei der Ressourcenverteilung oder Abgabenbelastung verletzt schienen.
Institutionelle Versuche von außen zur Steuerung ökonomischer oder ökologischer Probleme vor Ort erwiesen sich meist als schwerfällig und wenig anpassungsfähig an lokale Gegebenheiten. Umgekehrt aber war die ländliche Holzwirtschaft im Untersuchungszeitraum kaum von Nachhaltigkeitsüberlegungen geprägt. In einigen Gebieten des Forstamts waren Holzimporte seit dem 16. Jahrhundert an der Tagesordnung, nicht zuletzt weil die Umwandlung von Wald in Weinbaugebiete und der Weinexport deutlich lukrativer waren als eine Konzentration auf Holzwirtschaft. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch lokaler, ökonomisch-ökologischer Überlebenssicherung und der Verflechtung in überlokale Zusammenhänge fasst Warde unter den Begriffen einer "territorialen" und einer "transformatorischen" Ökologie zusammen. "A 'territorial ecology' tends to reinforce the integrity and functioning of a given process specifically located in space. [...] The 'territorial ecology' implies a repeatable set of actions happening at a particular place. It is a process that reinforces the 'integrity' of a particular way of doing things. The 'transformational ecology' [...] must result in the disturbance of local processes." (283f.)
Wie der Verfasser selbst einräumt, kann faktisch aber von einer solchen lokalen Orientierung dörflicher Gemeinwesen kaum zu sprechen sein, schon in Anbetracht der differenzierten wirtschaftlichen Verbindungen der Dorfbewohner mit der Außenwelt. Schwierig ist eine solche Trennung auch, weil Warde zu Recht nicht von einem klaren Dualismus von Naturalwirtschaft und Marktökonomie ausgeht, sondern von einer komplizierten Gemengelage. Der heuristische Nutzen dieser "two ecologies" für die Untersuchung bleibt daher eher beschränkt.
Obwohl der Autor auf den engen Zusammenhang der Entstehung von Forstordnungen des 16. Jahrhunderts mit der herrschaftlichen Jagd verweist (175), räumt er der Jagd als staatsbildendem Faktor überraschenderweise keine besondere Rolle ein (206-213). Überhaupt werden die Verbindungen zwischen dem Forstamt Leonberg und der nahen Residenzstadt Stuttgart nicht nur im Bereich der Jagden, sondern etwa auch hinsichtlich des Ressourcenbedarfs von Stadt und Hof kaum thematisiert. In Anbetracht des langen Untersuchungszeitraums von nahezu dreihundert Jahren bleiben auch die Auswirkungen der politischen Geschichte Württembergs auf das Ressourcenmanagement der Landesbewohner etwas blass.
Insgesamt bettet sich die sorgfältige Studie in den Kontext neuerer Untersuchungen zur Staatsbildung vor Ort und zur Umweltgeschichte der Frühneuzeit ein. Ihren Reiz schöpft sie aus der Langzeitperspektive und der kontrastierenden Einbeziehung vielfältiger Quellen, die aufgrund ihrer scheinbaren Redundanz bislang vielleicht nicht zur Genüge berücksichtigt wurden.
Alexander Schunka