Ronald G. Asch: Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit. Eine Einführung, Stuttgart: UTB 2008, X + 323 S., ISBN 978-3-8252-3086-9, EUR 17,90
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Ronald G. Asch: Vor dem großen Krieg. Europa im Zeitalter der spanischen Friedensordnung 1598-1618, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2020
Adelsforschung hat seit etwa 20 Jahren Konjunktur. Daher ist die Zeit für Synthesen gekommen, und wenn sich ein ausgewiesener Kenner der Materie dieser Aufgabe annimmt, ist das als Glücksumstand zu bezeichnen.
Nach einer Einleitung, die sich den Kontinuitäten und Diskontinuitäten frühneuzeitlicher Adelsgeschichte widmet, gliedert Asch seine Darstellung in acht Kapitel. Das erste von ihnen, "Der Adel als Stand zwischen sozialer Konvention und juristischer Norm", skizziert die Spannweite der Möglichkeiten, wie man in welchem Land adelig wurde, und wie unterschiedlich Adel jeweils definiert wurde. Dabei wird auch die Frage der Einheitlichkeit bzw. Heterogenität des europäischen Adels angesprochen, ohne allerdings den Blick über Europa hinaus zu lenken, womit sich die Eigenheiten des europäischen Adels noch deutlicher hätten konturieren lassen.
Kapitel 2 widmet sich der ländlichen Herrschaft des Adels, seinen wirtschaftlichen Ressourcen und korporativen Rechten. Letztere werden angesichts der Tatsache, dass es sich hier wohl um die mit Abstand wichtigste Besonderheit des europäischen Adels handelt, ein wenig knapp abgehandelt. Dafür wird, gleichsam als Illustration von Max Webers Feststellung, dass Herrschaft prinzipiell Fürsorgepflicht des Herrn als auch Gehorsamspflicht der Untertanen umfasst, das Spannungsfeld zwischen paternalistischem Schutz und strukturellem Konflikt anhand sehr anschaulicher Beispiele erläutert. Ebenso deutlich wird, dass adelige Familien in ökonomische Krisen geraten konnten, ja dass es auch stets einen armen Adel gab.
Im Abschnitt über "das adelige Haus und seine Angehörigen" werden nicht nur Ehe und Familie und dabei, wenngleich nicht sehr ausführlich, die Rollen adeliger Frauen behandelt, sondern auch "Gönner, Freunde und Klienten". Diese Personengruppe, die gerne vergessen wird, ließ aber das "Haus" erst richtig zum "Symbol adeliger Macht und Mittelpunkt adeliger Existenz" werden.
Kapitel 4 zeigt, wie die im 16. Jahrhundert bestehenden adeligen Bildungsdefizite von einem Großteil des Standes im Laufe der Zeit überwunden wurden. Danach vermochte dieser Teil des Adels durch galante Bildung und Politesse (bei gleichzeitiger Verachtung für gelehrte Pedanterie) und durch die Einrichtung spezieller adeliger Bildungsanstalten im "Kampf um die kulturelle Hegemonie" recht gut zu bestehen, jedenfalls bis ins 18. Jahrhundert hinein.
Die Französische Revolution löste allerdings bei vielen eine Rückwendung zu Religion und Kirche aus. Kenntnisreich skizziert Asch das enge, aber keineswegs spannungsfreie Verhältnis von Adel und Kirche(n). Schon im Zusammenhang von Reformation und Konfessionalisierung ging es jedoch nicht selten um den Erhalt einer hervorgehobenen Stellung, wie im Falle der katholischen Teile der englischen Gentry. An ihrem Beispiel erläutert Asch die Möglichkeit einer "Arbeitsteilung" zwischen Ehepartnern: "Die Bewahrung des Besitzes und Vermögens, aber auch des sozialen Status, kam den Männern zu, die Verteidigung des Glaubens und der religiösen Tradition den Frauen" (173). Überhaupt wird sichtbar, wie stark konfessionelle Konflikte einerseits die ständische Einheit des Adels bedrohten, andererseits aber - vor allem im Fall des Katholizismus und des Calvinismus - sogar länderübergreifende Netzwerke schufen.
Schlachtfeld und höfisches Parkett werden im weiteren Verlauf des Buches als klassische "Wirkungsfelder des Adels" vorgestellt. Dabei erscheint die Entwicklung "vom Ritter zum Militärunternehmer" bzw. zum Offizier innerhalb eines stehenden Heeres ebenso als Ausdruck eines neuen, auf Selbstdisziplinierung abzielenden Leitbildes wie der Weg vom Kriegsmann zum Hofmann - wobei sich diese beiden Rollen keineswegs ausschlossen. Recht ausführlich wird schließlich die Frage diskutiert, inwieweit der "Hof als Ort der Domestizierung des Adels" diente, eine von Norbert Elias stammende, aber gerade in der jüngeren Forschung teilweise heftig bestrittene These.
Ausgewogen behandelt Asch im Kapitel über "Staatsbildung und adelige Selbstbehauptung" das Verhältnis von staatlicher Autorität und Adelsmacht. Drängten Bürokratisierung und der (freilich frühestens um 1800 abgeschlossene) Aufbau eines staatlichen Gewaltmonopols die Adelsmacht zurück, wie die "westliche" Forschung lange behauptete? Oder wurden nicht vielmehr die staatlichen Machtmittel durch den Adel für seine eigenen Zwecke genutzt, wie die marxistische Forschung gemeint hatte? Hier argumentiert Asch nicht zuletzt mit der inneren Differenziertheit "des" Adels: Es war eben ein Unterschied, ob ein Hochadeliger, der sich ohnehin als ein geborener Ratgeber seines Königs verstand, ein Ministerium übernahm, oder ob dies ein Kleinadeliger oder gar ein Nobilitierter tat. Doch stellt Asch fest, dass selbst "der Bürokratisierungsprozess unter Ludwig XIV. auch einem Bedürfnis des Schwertadels selber" entsprach, "schien er doch zu gewährleisten, dass die Verdienste und Leistungen einzelner Adeliger nun objektiv messbar wurden und überdies der Adelsstatus stärker als früher juristisch abgesichert war" (256). In Dänemark dagegen wurde die relativ kleine adelige Elite tatsächlich um 1660 durch die Krone entmachtet, die sich danach einen neuen Dienstadel schuf.
Im achten und letzten Kapitel wirft der Verfasser noch einen Blick auf den Adel am Ende des Ancien Régime. Hier thematisiert er "Adelskritik und Adelskrise im 18. Jahrhundert". Anschließend behandelt er die Steuerpolitik als einen "Angriff auf die adeligen Privilegien", der angesichts des wachsenden Finanzbedarfs der europäischen Staaten nach 1740 notwendig wurde. Zuletzt beschreibt er die strukturellen Veränderungen, die sich aus der - freilich heftig umstrittenen - Neudefinition des Adels nach Wohlstand und Leistung ergaben. Asch vermutet, dass sich der Adel dort, nämlich etwa in Deutschland, zu behaupten vermochte, wo es ihm gelang, "eine auf neuen Fundamenten konstruierte Erinnerungsgemeinschaft" zu bleiben (298f.).
An einzelnen Punkten dieses gehaltvollen Buchs noch beckmesserische Kritik zu üben, halte ich für unangebracht. Es sind im Übrigen auch nur ganz wenige Punkte, an denen ich glaube, dass man etwas verbessern könnte. In aller Regel ist der Forschungsstand präzise, anschaulich und umfassend wiedergegeben - besser kann man es fast nicht machen! Was ich ein wenig vermisse, ist lediglich der Hinweis auf Forschungslücken beziehungsweise die Auseinandersetzung mit mehr oder minder kühnen Thesen, wie sie unter anderem der Rezensent selbst einmal zum Thema "Der europäische Adel vor der Revolution" formuliert hat. Hier hätte Asch, gerade auf Grund seiner stupenden Literaturkenntnis, zustimmend oder ablehnend noch den einen oder anderen Akzent setzen können.
Als miserabel ist allerdings das Lektorat des Buches zu bezeichnen. Viele Tippfehler werden nicht korrigiert (siehe etwa Anmerkung 268, 271 - viermal allein in Anmerkung 515). Anmerkung 166 verweist auf "Nassiet, Noblesse (wie Anm. 166) [...]", Anmerkung 168 auf denselben Titel "wie Anm. 67", der sich jedoch in Wahrheit in Anmerkung 164 findet. Besonders störend: Die Schreibung "Herren" findet sich nicht nur für den Plural, sondern auch für den Akkusativ Singular. Solche lästigen Fehler sollten bei der nächsten Auflage, die diese großartige Synthese bald verdient, unbedingt korrigiert werden.
Walter Demel