Elizabeth Harding / Michael Hecht (Hgg.): Die Ahnenprobe in der Vormoderne. Selektion - Initiation - Repräsentation (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496; Bd. 37), Münster: Rhema Verlag 2011, 434 S., ISBN 978-3-86887-006-0, EUR 58,00
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In der langen, mitunter ein wenig aufzählenden Einleitung (9-83) des mit zahlreichen Abbildungen versehenen Sammelbandes bieten die Herausgeber klare Definitionen an und verweisen auf neue Perspektiven. So sollen Ahnenproben in Bezug auf "ganz verschiedene Regionen, Institutionen und Kontexte" (10), etwa auch hinsichtlich ihrer rituellen Formen, untersucht werden. Zwar beschränkte sich die Formalisierung der Abstammungsnachweise seit dem Spätmittelalter nicht auf den Adel, aber dort zeigte sie die frühesten und stärksten Folgen für die familiäre Heiratspolitik (27). Zudem war die Ahnenprobe - abgesehen von dem spanischen Konzept der "Blutsreinheit" - zunächst ein "genuin deutsches Phänomen" (76), das freilich über das Reich hinaus ausstrahlte und in reduzierter Form bis ins 20. Jahrhundert existierte (82).
Im ersten Kapitel "Ahnenprobe als Repräsentation" bewertet Simon Teuscher auch die Ahnenprobe "nicht nur als Überbleibsel, sondern als produktiver Faktor gesellschaftlicher Entwicklungen" (87). Er will damit die These vom fortlaufenden Bedeutungsverlust von "Verwandtschaft" hinterfragen und betont, dass sich im Spätmittelalter die Struktur von Verwandtschaftsbeziehungen grundsätzlich gewandelt und Patrilinearität sich erst im Kontext von "Staatsbildung" durchgesetzt habe. Anschließend macht Inge Brinkmann in ihrem kunsthistorischen Beitrag deutlich, dass und warum die Selbstinszenierung im Kirchenraum mittels Grabdenkmälern gerade beim lutherischen Adel um 1600 von Bedeutung war. Schließlich erläutert Volker Bauer die Entwicklung der gedruckten Ahnentafel als "Ahnenformular" in Abgrenzung zu alternativen Darstellungsweisen (Stammreihe, Stammtafel und Stammbaum). Durch anschauliche Typisierungen werden dabei die Charakteristika, Stärken und Schwächen der jeweiligen Darstellungsarten erkennbar.
Die folgenden Beiträge sind der Ahnenprobe in einzelnen Regionen bzw. bei bestimmten Bevölkerungsgruppen gewidmet: im Alten Reich, das im Zentrum des Sammelbandes steht, bei den Handwerkern vom 13. bis 16. Jahrhundert (Knut Schulz), dem Hochadel in Dom- und kaiserlich-freiweltlichen Damenstiften (Ute Küppers-Braun), der Praxis der Aufschwörung in frühneuzeitlichen südwestdeutschen Domstiften (Kurt Andermann), der Ritterschaft der Reichsburg Friedberg (Joachim Schneider), derjenigen Kursachsens (Josef Matzerath) im 17. sowie der Ritterschaft des Herzogtums Westfalen im 18. Jahrhundert (Andreas Müller). Den habsburgischen südlichen Niederlanden dieser Zeit wenden sich die Beiträge von Gerard Venner und Arnoud Mertens zu, während sich William D. Godsey der Ahnenprobe am Wiener Hof speziell unter Maria Theresia widmet. In europäischer Perspektive untersucht Moritz Trebeljahr die Ahnenprobe des "supranationalen" Johanniterordens auf Malta, Leonhard Horowski die im Vergleich zum Reich viel stärker patriarchalisch ausgerichtete und von der Krone bestimmte französische Adelsstruktur - und die dementsprechend abweichende Rolle der "recherches de la noblesse" (was speziell im Fall des Straßburger Domkapitels Probleme aufwarf, als dieses 1681 unter französische Herrschaft geriet). Ein wenig aus dem Rahmen fällt nur der Aufsatz Nikolaus Böttchers zur "Blutsreinheit" und "Castas-Gesellschaft" im Neu-Spanien des 18. Jahrhunderts.
Doch selbst in diesem zuletzt genannten Beitrag wird deutlich, dass jede Form von Ahnenprobe stets "flexibel und verhandelbar" eingesetzt werden konnte (390). Natürlich ging es immer auch darum, bestimmte Gruppen von den Ressourcen einer meist regionalen (Adels-)Korporation fernzuhalten (vgl. 188). Dazu waren die Normen sehr verschieden und wurden im Laufe der Jahrhunderte häufig sogar verschärft - am Wiener Hof noch 1898 (309)! Aber wenn die Familie eines Kandidaten schon in dem betreffenden sozialen Umfeld gut vernetzt war (vgl. 345) oder wenn die Korporation fürchten musste, durch eine Ablehnung ihren Landesherrn, dessen mächtigen Minister, vielleicht gar den Kaiser zu vergrämen, sah man doch über manche Schwächen eines Adelsnachweises hinweg, auch wenn dies den eigenen Statuten widersprach. Zudem diente die Adelsprobe nicht immer nur der Abschließung: Im Falle Friedberg scheint sie eher eine Begleiterscheinung einer regionalen Öffnung für künftige Burgmannen gewesen zu sein (230f). Andererseits verweigerte die kursächsische Ritterschaft hartnäckig und schließlich um 1700 mit Erfolg dem "Neuadel" die Teilnahme am Ritterkorpus des Landtags - obwohl diese "allenfalls nur sehr indirekt" (244) ökonomische Vorteile versprach. Selbst die hochadeligen Damenstifte fungierten nicht nur als Versorgungsinstitutionen für unverheiratete Frauen, sondern mittels der Ahnenprobe auch geradezu als Reservoir nachweislich ebenbürtiger Heiratskandidatinnen.
Umgekehrt zeigt der Beitrag über das Herzogtum Westfalen, mit welcher Behutsam-, aber auch Beharrlichkeit eine patrizische Gruppe ihren Aufstieg in die Ritterschaft verfolgen konnte. Schließlich diente eine Aufnahme in einen relativ geschlossenen Kreis stets nicht zuletzt konkreten politischen Zielen. Beispielsweise sollte die Verleihung der Würde eines Kammerherrn, die oft mit gewissen persönlichen Dienstleistungen verbunden war, die Loyalität eines Adeligen gegenüber dem Herrscher beziehungsweise der Herrscherin stärken. Das erklärt, warum in Wien sogar die "Kämmererwürde auch nach 1754 keine reine Geburtsauszeichnung" (324) wurde, obwohl die ursprünglich großzügig gehandhabte Behandlung der Abstammung unter Karl VI. praktisch, unter Maria Theresia nun eben auch normativ verschärft worden war. Es ging um eine Ausdifferenzierung des Adels und - trotz gewisser, durch die staatlichen Reformen bedingter Entprivilegierung - auch um dessen standesgemäße Versorgung. So gründete die Kaiserin die ersten Damenstifte in ihrer Monarchie. Wieder einmal zeigt sich, dass man neben der Konfrontation zwischen Krone und Adel deren Kooperation - auch im Prozess der "Staatsbildung" - nicht unterschätzen sollte.
Einzelne der vorgelegten Beiträge, etwa der Gerard Venners, erscheinen mitunter etwas stark deskriptiv, andere sind sehr anschaulich geschrieben oder eröffnen neue Perspektiven (Andermann, Teuscher). Vielleicht hätten die Herausgeber bei manchen, sich wiederholenden Aussagen ein wenig mehr auf Kürzungen drängen und dafür in ihrer Einführung etwa der Frage nachgehen sollen, was bei Ahnenproben wer wann als "Ausland" empfand. Aber alles in allem kann man ihnen zweifellos gratulieren: Sie haben einen schönen Band mit durchweg qualitätvollen Beiträgen geliefert, der die Forschung bereichert und in Zukunft von jedem herangezogen werden muss, der sich dem Thema "Ahnenprobe" widmet!
Walter Demel