Katharina Krause / Klaus Niehr (Hgg.): Kunstwerk - Abbild - Buch. Das illustrierte Kunstbuch 1750 bis 1930, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2007, 280 S., ISBN 978-3-422-06696-0, EUR 48,00
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Welcher Praxis der Präsentation ihrer Gegenstände und Forschungsresultate bedient sich die Kunstgeschichte? Dieser Frage widmete sich in Marburg ein Forschungsprojekt für den Zeitraum zwischen 1750 und 1920/1930, dessen Ergebnisse in visualisierter und verschriftlichter Form vorgelegt wurden. [1]
Positionen der "anschaulichen Präsentation" in der aktuellen Kunstgeschichtsschreibung zwischen "zirkularem Blick", "linearer Lektüre" und "auktorialem Gestus" fordern zu "Standortbestimmung und historischer Verortung" heraus, die Katharina Krause und Klaus Niehr in dem Band "Kunstwerk - Abbild - Buch" erproben (7f.). Vereinigt sind dazu theoretische "Schnitte durch die Geschichte der Kunstgeschichte" (8) (Niehr, Bickendorf, Locher) mit exemplarischen Fallstudien, die anhand von facettenreichen Analysen ausgewählter Publikationen die vielschichtigen Beziehungen zwischen dem Kunstwerk, dessen Abbild und der Präsentation im Buch beleuchten (Steindl, Lange, Peters, Sachsse, Freigang, Hess). Der Blick auf die konzeptionelle wie technische Vielfalt der Spielräume zwischen "gedanklicher" und "sinnlicher Aneignung" von Kenntnissen in der Kunstgeschichte (127) eröffnet bezüglich der Abhängigkeit des Faches "von der medialen Vermittlung durch reproduzierende Bilder" [2] zahlreiche Tiefen und Untiefen zwischen "visueller und verbaler Darstellung von Geschichte" (53), zwischen "mimetischem Anspruch" (213), "authentischer Dokumentation" (129), "technischem Standard" (222) sowie "fotografischer Bildwirklichkeit" und "eigener Wahrnehmung" (173).
Der Tagungsband ist in mehrerer Hinsicht breit aufgestellt: Der Fokus reicht über die Grenzen des deutschsprachigen Raumes hinaus, wobei die Tendenz nach Frankreich als leicht bestimmend wahrzunehmen ist. Mit der internationalen Perspektive verbindet sich methodische Vielfalt: Der wissenschaftsgeschichtliche und -theoretische Blickwinkel sensibilisiert für wirkmächtige Konzepte der "kunsthistorischen Materialsystematisierung" (37) und offenbart feinste Nuancen zwischen text- und bilderfreundlichen und auch -feindlichen Denktraditionen (Bickendorf, Locher). Neben Analysen klassischer Publikationen (Steindl, Peters, Hess) stehen vergleichende Betrachtungen gemeinsamer Strategien unterschiedlicher Publikationen (Freigang, Lange). Mediengeschichtliche und -theoretische Aspekte (Sachsse), Überlegungen vor dem Hintergrund von "post-colonial studies" (Lange) sowie Seitenblicke auf die Literaturwissenschaft (Niehr, Freigang) werden zur Klärung von Konnotationen in der jeweiligen Bild-Text-Argumentation eingesetzt. Den kunsthistorischen Blick auf die Schicksalsgemeinschaft "Kunstwerk - Abbild - Buch" ergänzen exemplarische Positionen der Buchwissenschaften und des verlegerischen Blicks (Fischer, Roosens). Eine Konstante bilden Bezugnahmen auf die technische Entwicklung der reproduzierenden Bildmedien. Bei den mittels Abbildern ins Buch gesetzten Kunstwerken handelt es sich unter anderem um außereuropäische Gefäße, verschiedenste internationale Kleinplastik, mexikanische Stadtanlagen, Gemälde von Rembrandt und anderen Meistern, Highlights der französischen Kunstgeschichte - eine Mischung, die deutlich vor Augen führt, dass von dem Problem der Abbildungen nicht nur die Mittelalterforschung betroffen ist. [3]
Die Beiträge gewähren Einblick in die Entstehungsgeschichten der Bücher, ihre Konzeption und Intention, eventuelle Schwierigkeiten bei Organisation und Herstellung, Diskussionen um Bildauswahl und "innere Ordnung" (137), Konzeptionswechsel und/oder die Gründe für die Wahl der verwendeten Techniken beziehungsweise die offene Konkurrenz der Bildmedien. Typische und besondere Merkmale der Schicksalsgemeinschaft sind exemplarisch herausgearbeitet, unter anderem anhand der lithografierten Foliobände "Monuments des Arts du dessin" von Vivant Denon und Amaury Duval (1829) als Veröffentlichung einer Führung durch eine für die Weltkunstgeschichte mustergültigen Sammlung (Steindl), anhand von frühen Prachtpublikationen zu präkolumbianischer Kunst als Beispiel für eine Rezeptionshaltung, "die die Faszination für das Fremde mit der Verweigerung seiner Erschließbarkeit paarte" (128) (Lange), anhand der monumentalen Rembrandtmonografie von Wilhelm Bode (1897-1905) als ambitioniertes Projekt einer Künstlermonografie, die durch das sukzessive Bereitstellen des Materials der Forschung wesentlichen Anstoß geben konnte (Peters). Der Tagungsband bietet damit zugleich Vertiefung und Ergänzung zu den drei bereits im Mainzer Ausstellungskatalog diskutierten Kategorien von kunstwissenschaftlichen Publikationen (Überblickswerke, Baumonografien, Galeriewerke) und deren theoretischer Einbettung.
Zahlreiche bemerkenswerte Details müssen hier unerwähnt bleiben, herausgehoben seien die Beobachtung Steindls, dass Vivant Denon die Buchform bevorzugte, um die englischen Einfuhrzölle auf Kunstwerke (und Druckgrafik) zu umgehen (91) und zweitens der sich verändernde Wert persönlichen Wissens, auf den Peters im Kontext der Kennerschaft Bodes hinweist, die "mit der zunehmenden Publizität und Popularisierung von Rembrandts Werk an Exklusivität [verlor]" (155). Im Ganzen wecken die Beiträge die Aufmerksamkeit für die vielen Zwischentöne in der Präsentation von Kunstwerken im illustrierten Kunstbuch, die (intendierten) Manipulationen von Wissen und Einschätzungen durch bewusste Emotionalisierung oder Versachlichung - Imagination und Magie liegen manchmal dichter beieinander als es dem Wunsch des Wissenschaftlers nach Objektivität dienlich ist. Unterschwellig, gelegentlich auch aktiv artikuliert, entsteht ein Diskurs um das Verhältnis zwischen Kunst und (breiterer) Öffentlichkeit, um die Auswirkungen der (erweiterten) Möglichkeiten der Veröffentlichung von Kunst auf die Rezeption derselben, um die Wahrnehmung von Kunst in der Gesellschaft, um das Verhältnis zwischen Publikationen und ihrem Publikum, um Wissenschaft, Populärwissenschaft und Popularisierung von Kunstgeschichte.
Auf dieser breiten Basis verschiedenster Positionen kann jeder Einzelne seinen Standpunkt, seine Strategien bei der Visualisierung der eigenen Forschungsergebnisse reflektieren. Die Frage der Bildargumentation mag manchem marginal erscheinen, werden doch die Thesen in den sprachlichen Aussagen im Text formuliert und festgeschrieben. Historisch gesehen stellte gerade die "Distanzierung von der bildlichen Repräsentation ihrer Objekte" den entscheidenden Schritt der Kunstgeschichte zur eigenständigen Wissenschaft im Laufe des 19. Jahrhunderts dar (59), wie Locher anzuführen weiß. Der "Pictorial turn" fordert nun zu einer "kritischen Reflexion der Rolle des Bildes in der wissenschaftlichen Argumentation" heraus (56). Im vorliegenden Band betrachten die Autoren sehr differenziert das Verhältnis "Kunstwerk - Abbild - Buch": Locher und Sachsse warnen vor der Verwechslung von Bild/Objekt und Repräsentation (55), beziehungsweise zwischen "fotografischer Ansicht" und "dem von ihr Repräsentierten" (173). Lange betont die nonverbalen Qualitäten der Illustrationen bei der Wissensvermittlung: "Dort, wo Sprache und Wissen versagen, hilft das Bild" (127), wohingegen Freigang aufdeckt, wie Form und Erscheinungsbild der Illustrationen in einem seiner Buchbeispiele die komplexe "Verzahnung von Kunst und Gemeinschaft, von aktiv konstruierender Geschichtsschreibung und der eindeutigen Wahrnehmung von nationaler Kontinuität" als "wesentliches Thema der französischen Kultur- und Literaturkritik um 1900" (206) spiegeln.
Ausstellungskatalog und Tagungsband gemeinsam müssen mit ihrer aufschlussreichen Auswahl als wegweisend für die auch zukünftig noch notwendige Auseinandersetzung mit der die Kunstgeschichte prägenden Schicksalsgemeinschaft "Kunstwerk - Abbild - Buch" angesehen werden. Neben der differenzierten Aufarbeitung weiterer (prominenter) Druckwerke steht nun als Aufgabe eine verfeinerte systematische Erschließung der diversen Strategien an. Die Ziele sind bekannt: Die Vorlage einer profunden "Geschichte des kunsthistorischen Blickes" [4] und nicht zuletzt die Sensibilisierung für die jeweils eigene Bildargumentation, die stets "abhängig von zeitgenössischen Bildvorstellungen" ist. [5]
Anmerkungen:
[1] Katharina Krause / Klaus Niehr / Eva-Maria Hanebutt-Benz (Hgg.): Bilderlust und Lesefrüchte. Das illustrierte Kunstbuch von 1750 bis 1920. Ausstellungskatalog Mainz 2005, sowie der hier anzuzeigende Tagungsband.
[2] Stephan Albrecht: Rezension von: Bernd Carqué / Daniela Mondini / Matthias Noell: Visualisierung und Imagination. Materielle Relikte des Mittelalters in bildlichen Darstellungen der Neuzeit und der Moderne (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 25), Göttingen: Wallstein 2006, in Kunstform 8 (2007), Nr. 9, URL: http://www.arthistoricum.net/index.php?id=276&ausgabe=2007_09&review_id=11774 (Abruf vom 30.11.2007).
[3] Die wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchungen zum Text-Bild-Verhältnis im illustrierten Kunstbuch haben wichtige Wurzeln in der Mittelalterforschung, vgl. beispielsweise kürzlich: Daniela Mondini: Mittelalter im Bild: Séroux d'Agincourt und die Kunsthistoriografie um 1800, Zürich: Zurich Interpublishers 2005 sowie Bernd Carqué / Daniela Mondini / Matthias Noell: Visualisierung und Imagination. Materielle Relikte des Mittelalters in bildlichen Darstellungen der Neuzeit und der Moderne (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 25), Göttingen: Wallstein 2006.
[4] Vgl. Susanne Müller-Bechtel: Rezension von: Daniela Mondini: Mittelalter im Bild: Séroux d'Agincourt und die Kunsthistoriografie um 1800. Zürich: Zurich Interpublishers 2005, in Kunstform 8 (2007), Nr. 12, URL: http://www.arthistoricum.net/index.php?id=276&ausgabe=2007_12&review_id=11118 (Abruf vom 01.09.2008).
[5] Vgl. Albrecht (wie Anm. 2).
Susanne Müller-Bechtel