Nino Zchomelidse: Art, Ritual, and Civic Identity in Medieval Southern Italy, University Park, PA: The Pennsylvania State University Press 2014, XX + 288 S., 61 Farb-, 149 s/w-Abb., ISBN 978-0-271-05973-0, USD 84,95
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Süditalien im Mittelalter war ein Schmelztiegel der Kulturen, der durch transkulturellen Austausch in vielfältigen Varianten gekennzeichnet war. Aus diesem facettenreichen Umfeld greift Nino Zchomelidse die künstlerisch gestalteten Elemente der liturgischen Ausstattung für die mittelalterlichen Feierlichkeiten der Osternacht heraus. Die Autorin vereint dabei die Betrachtung von Werken der Buchmalerei mit der von Skulptur. Zum "Setting" zählen die Ambonen als zentraler liturgischer Ort im Kirchenraum, die Osterleuchter mit der Osterkerze als sichtbares Zeichen der Auferstehung Christi und die Exultetrollen mit der Notation von Text und Musik des Hymnus "Exultet iam angelica turba celorum", oftmals reich illuminiert. Die Erforschung dieser Ausstattungsstücke verbindet Zchomelidse zugleich mit der Untersuchung ihres Gebrauchs durch Liturgen, Gläubige und / oder die Stadtgemeinschaft.
Zchomelidse baut die einzelnen Buchkapitel um ausgewählte "Protagonisten" herum, wie den Rogadeo-Ambo in Ravello (Kap. 1), die Exultetrollen aus Benevent und Troia (Kap. 2), das Ambo-Ensemble in Salerno (Kap. 3), den Osterleuchter in Capua (Kap. 4), die Rufolo-Kanzel in Ravello (Kap. 5) sowie die Rekonstruktion der ehemaligen Kanzel von Santa Restituta in Neapel (Kap. 6) und schließlich den Osterleuchter in Gaeta (Epilog). Das Hauptaugenmerk gilt jedoch den Modi der Interaktion zwischen Ausstattungsstücken, Bildern und liturgischen Handlungen (4) sowie dem daraus resultierenden Bedeutungszuwachs auf allen Ebenen ("plural signification", 108). Chronologisch und topografisch führen die Fallbeispiele den Leser durch die damaligen Zentren Süditaliens; das aufgespannte Zeitfenster macht in der Summe Übernahmen, Modifikationen und Neuausrichtungen sichtbar - kurz: Der Einfluss der städtischen Gemeinschaft und ihrer einzelnen Mitglieder auf die Gestalt sakraler Gegenstände wächst, die Bedeutung der Liturgie für deren Konzeption sinkt.
In ihren Analysen und Kontextualisierungen erschließt Zchomelidse schrittweise das sich wandelnde Zusammenwirken ihrer Protagonisten mit Liturgen sowie Gläubigen und sie untersucht die impliziten mehrfachen, sich gegenseitig kommentierenden und steigernden Bedeutungsebenen. Ausgehend vom Rogadeo-Ambo in Ravello (Kap. 1) mit Jonas-Ikonografie, Adlerpult und Abyssus erkennt Zchomelidse den Ambo als symbolischen Ort des Grabes Christi, gemäß der Auffassung der zeitgenössischen Liturgie, nach der ein Kirchenraum mit seinen verschiedenen liturgischen Zentren die Orte der Heilsgeschichte memoriert (9-10). Ihre Recherchen lenken hinsichtlich möglicher Vorläufer für den Ambo und dessen Nutzung den Blick bis ins frühe christliche Syrien auf das Bema (18-25) oder betonen für den byzantinischen Raum die hierarchisierende Bedeutung der verschiedenen Stufen eines Ambo (25-30).
Unersetzliche Quellen für die Rekonstruktion der liturgischen Abläufe sind die Exultetrollen (Kap. 2), die als Träger des Hymnus zu den liturgischen Handlungen des Entzündens der Osterkerze am Höhepunkt der Osternacht zum Einsatz kamen. Exultetrollen sind eine ungewöhnliche Form, da sie aus aneinander genähten Pergamentstücken lange Rollen bilden, die beim Singen des Hymnus nach und nach vom Ambo herabgelassen wurden. In alternierenden Blöcken zeigen sie Notation des Hymnus beziehungsweise Bilder. In ihren Ausführungen geht Zchomelidse der Tradition von Buchrollen bis in die Spätantike nach (36-41) und betont die auffälligen repräsentativen Darstellungen der Bischöfe und deren Variationen (45-63). Eine außergewöhnliche Bedeutung kommt den Exultetrollen insofern zu, als sie in ausgewählten Szenen ihre Nutzung selbst als Bild zeigen (Abb. 14, 22, 25, 39, 150). Die Darstellung ihres Gebrauchs legt die enge Verknüpfung der liturgischen Ausstattungsstücke (Ambo, Exultetrollen, Osterleuchter mit Kerze) und Handlungen methodisch nahe. Mit dem vielfachen Aufrufen der Auferstehung Christi und ihrer typologischen Präfigurationen in Worten, Bildern und symbolischen Anspielungen muss der liturgische Feierakt am Ambo mit der ergänzenden reichen Bildwelt der Exultetrollen eine immense Wirkmacht entfaltet haben.
Die Spuren, denen Zchomelidse in Kap. 3 zu den Kanzeln im Dom zu Salerno nachgeht, weisen auf das historische Unternehmen der Gregorianischen Reform, mit einer einheitlichen liturgischen Ordnung den Einfluss des Papstes im süditalienischen Territorium zu erweitern und die lokalen Traditionslinien zu schwächen. Zwar unterlagen die Kanzeln in der Frühen Neuzeit weitgreifenden Veränderungen, dennoch gelingt es der Autorin, auf der Basis von Überlegungen zu Rom als Zentrum der Liturgiereform (88) und mithilfe von Quellenstudien zur Liturgie der Osternacht im Laufe des 12. Jahrhunderts (102-104) Erzbischof Romoald II. als Auftraggeber der Kanzeln und als Konzeptor einer angepassten neuen Liturgie herauszuarbeiten. Der Blick auf die Feiern der gesamten Karwoche in Salerno (104-107) zeigt, wie die liturgischen Handlungen sich auf den Stadtraum ausweiten konnten - ein Aspekt, der es erlaubt, im Folgenden vermehrt die Wechselwirkungen zwischen Liturgie und Gemeinde in der Stadt zu fokussieren.
Zentrales Stück der Osternachtfeier ist der monumentale Osterleuchter mit der Kerze, deren Entzünden die Auferstehung Christi symbolisch vor Augen führt. Zchomelidse untersucht diese Ausstattungsstücke mit Blick auf die Textquellen der frühen Liturgiker (110/111), auf die theologische Bedeutung der Kerze als "lumen Christi" (112-114), auf die ikonografischen Implikationen (114-128). Kulminationspunkt ist in Kap. 4 die Feier der Weihe der Kerze (128-133). In Kap. 5 rückt mit der Rufolo-Kanzel in Ravello eine neue Schicht von Auftraggebern ins Blickfeld - die bürgerliche Elite mit Anbindung an den angiovinischen Hof im nahen Neapel. Die Kreise der Recherche tangieren in diesem Zusammenhang Fragen zu frühen Porträtpraktiken (148-155) bis hin zur Skulptur im Umfeld des Brückentors von Capua und der Pisano-Kanzeln (155-169). Aus dem Kontext der Ausstattungsstücke für die Osternacht entwickelt Zchomelidse in Kap. 6 für die Marmortafeln mit Heiligenszenen aus Santa Restituta in Neapel den Vorschlag, diese als Schmuck der ehemaligen Kanzel der Kirche zu lesen. Diese soll wiederum vorbildlich auf die Konzeption des Osterleuchters in Gaeta (Epilogue) gewirkt haben. In diesem Stück werden das Leben des heiligen Erasmus und das Leben Christi in ihrer Erzählung parallelisiert. Die Reihung der Kapitel macht sichtbar, wie die Bildwelt der Ausstattungsstücke im Laufe des Mittelalters von einer ursprünglichen Form als Kommentar des liturgischen Stücks gelöst wird, sodass sich Laien, Vertreter der städtischen Gesellschaft, einen eigenen gestalterischen Wirkungsraum im Sakralen erschließen konnten.
Nicht nur in Bezug auf die Erforschung der kulturellen Transformationen im Mittelmeerraum oder des Erstarkens des Individuums, sondern auch in Bezug auf Fragen zu Sakraltopografie oder zu performativen Strategien in der Kunst allgemein stellt der vorliegende Band eine Bereicherung aktueller Diskussionen dar, auch wenn oft nur auf die methodischen Konzepte und nicht unbedingt auf neuere / modische Begriffe rekurriert wird. Deswegen ist es wichtig zu betonen, dass Nino Zchomelidse wesentliche Partien des hier besprochenen Bandes im Rahmen ihrer Habilitationsschrift bereits in den 1990er-Jahren erarbeitete; ihre Tübinger Habilitationsschrift wurde im Januar 2001 verteidigt. Aufsätze erlaubten bislang punktuell Einblick in diese Forschungen. [1] Es zeigt sich hier deutlich, dass das Publizieren von Habilitationsschriften, vor allem einer potentiell wegweisenden, durch entsprechende Förderung beschleunigt und erleichtert werden sollte.
Zchomelidses Studie wirkt in vielen Punkten anregend und der entsprechend konditionierte Blick fällt auf zahlreiche Desiderate - nicht nur die Erforschung des Zusammenspiels von Ausstattungsstücken verschiedener Medialität in liturgischen Handlungen generell, mit den üblichen Problemen: die Orte sind mehrfach überformt, die Ensemblestücke fragmentarisch überliefert, die Handlungen gelegentlich marginal in Bildern dokumentiert, die einzelnen Stücke bestenfalls unterschiedlichen Abteilungen im Museum zugeordnet. Die Berücksichtigung des liturgischen Handlungsspielraumes mag manchem kunsthistorisch für die Entwicklungsgeschichte (nicht) beispielhaften Objekt neue Relevanz geben. Die aktuellen Fragen im Kontext von Performativität (Räumlichkeit, Körperlichkeit, etc.), Medialität, Anforderungen an das Bild, Können des Bildes, Authentizität, Dingtheorie, Netzwerken usw. sind vielfältig und mit diesen wenigen Worten kaum umrissen.
Anmerkung:
[1] Kap. 2 wurde gekürzt vorab publiziert: Nino Maria Zchomelidse: Descending Word and Resurrecting Christ: Moving Images in Illuminated Liturgical Scrolls of Southern Italy, in: Meaning in Motion. The Semantics of Movement in Medieval Art, hgg. v. Nino Maria Zchomelidse / Giovanni Freni, Princeton 2011, 3-34. Vgl. außerdem zum Themenkomplex: Dies.: "Amore Virginis" und "Honore Patriae": Die Rufolo-Kanzel im Dom von Ravello, in: Analecta Romana Instituti Danici 26 (1999), 99-117; dies.: Liturgisches Bild und liturgische Handlung. Bilder der Ostervigil in süditalienischen Buchrollen, in: Bildlichkeit und Bildorte von Liturgie. Schauplätze in Spätantike, Byzanz und Mittelalter, hg. v. Rainer Warland, Wiesbaden 2002, 105-114; dies.: Der Osterleuchter im Dom von Capua. Kirchenmobiliar und Liturgie im lokalen Kontext, in: Mededelingen van het Nederlands Instituut te Rome 55 (1997), 18-43; dies.: Drei mittelalterliche Schriftrollen aus Benevent: Bischöfliche Selbstdarstellung und liturgische Buchproduktion unter Landulf I. (957-982), in: Kunst als ästhetisches Ereignis (= Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft; Bd. 24), hg. v. Ulrich Schütte, Marburg 1997, 9-24.
Susanne Müller-Bechtel