Ute Lotz-Heumann / Jan-Friedrich Mißfelder / Matthias Pohlig (Hgg.): Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; Bd. 205), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2007, 563 S., ISBN 978-3-579-05761-3, EUR 49,95
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Konversion und Konfession sind zwei Begriffe, die zusammengehören. Denn religiöse Konversionen - im Sinne des Wechsels von einer religiösen Gruppe zur anderen - setzen die Existenz verschiedener religiöser Gruppen voraus, die deutlich voneinander unterscheidbar sind und zwischen denen Kontakte bestehen. Diese Voraussetzungen wurden durch die nachreformatorische Bildung und Festigung konkurrierender Konfessionen geschaffen. Einerseits verweisen Konversionen also darauf, dass Grenzen zwischen den Konfessionen bestehen, was impliziert, dass die Konfessionen einigermaßen homogene Gruppen mit einem klaren Profil darstellen. Die Konversion ist in dieser Perspektive eine Grenzüberschreitung. Andererseits können Konversionen auch als Indiz für religiöse Indifferenz und die Durchlässigkeit konfessioneller Grenzen interpretiert werden.
Der vorliegende Sammelband geht auf eine im Dezember 2004 an der Humboldt-Universität veranstaltete Tagung zurück, die sich mit diesem Themenkomplex auseinandergesetzt hat. Die Herausgeber skizzieren in ihrer instruktiven Einleitung das Spannungsfeld zwischen der gesellschaftlichen und kulturellen Bedingtheit frühneuzeitlicher Konversionen und der Konversion als individuellem Bekehrungserlebnis. Stets seien Konversionen in Beziehung zu religiösen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren im Umfeld des Konvertiten zu setzen sowie auf Erwartungen seiner Umgebung zurückzuführen. Gerade die Vielzahl dieser Faktoren und die Existenz konkurrierender religiöser Sinndeutungsangebote erlaube den Konvertiten aber auch individuelle Aneignungen. Trotz der Vielfalt der Motive bleibe die Konversion aber primär ein religiöses Ereignis. Immer müsse im Akt der Konversion die Erwartung bestätigt werden, dass der Glaubenswechsel freiwillig und aus religiösen Motiven erfolgte. Die Einleitung wird flankiert durch einen Beitrag von Detlef Pollack, der verschiedene Ansätze der religionssoziologischen Forschung vorstellt.
Die Aufsätze des Bandes sind in drei thematische Gruppen eingeteilt. Die erste - unter der Überschrift "Religiöse Authentizität und Politik" - befasst sich mit Konversionen von Fürsten und Hochadligen. Fürstenkonversionen waren angesichts der Vorstellung der konfessionellen Einheitlichkeit von Territorien auch für die Untertanen von hoher Bedeutung. Dessen war man sich an der römischen Kurie bewusst, wo - wie Cornel Zwierlein betont - zur Herbeiführung von Konversionen eine langfristig angelegte, strategiegeleitete Politik verfolgt wurde. Der Autor bezeichnet diese Vorgehensweise als Ausdruck von Machiavellismus, definiert als "Eindringen von methodisierter Empirie und Reflexivität und damit von prognostischer, verschriftlichter Planung und Kalkulierung in das politische Geschäft" (66), eine Begriffsverwendung, über die man sicher streiten kann. Die komplexe Motivlage einer Fürstenkonversion wird nur in einem Beitrag thematisiert. Der Glaubenswechsel Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg ist dabei zwischen dynastischem Denken, der Rezeption theologischer Argumente und dem individuellen Bekehrungserlebnis zu verorten, wie Eric-Oliver Mader ausführt. Größeren Raum nehmen hingegen die Folgen von Fürstenkonversionen ein: Jan-Friedrich Mißfelder und Leonhard Horowski konstatieren in ihren Beiträgen am Beispiel Frankreichs, dass Konversionen zum Katholizismus bereits unter Ludwig XIII. als Konversionen zum König gewertet wurden; religiöse und politische Deutung fielen also zusammen. Schon vor dem Edikt von Fontainebleau war es zunehmend unmöglich geworden, gleichzeitig Protestant und Untertan des Königs zu sein. Einen anderen Befund lässt das von Ulrich Rosseaux geschilderte Verhältnis der Konfessionen in Dresden nach der Konversion Augusts des Starken erkennen. Der hier entstandene bikonfessionelle modus vivendi generierte Spannungen, die immer wieder dadurch befeuert wurden, dass die Lutheraner die Existenz der katholischen Minderheit nicht akzeptierten und als Bedrohung ansahen.
Die zweite Gruppe von Aufsätzen befasst sich mit dem Spannungsfeld von "Indifferenz und Radikalität". Dabei geht es sowohl um die Selbstwahrnehmung als auch um Fremdzuschreibungen von Konvertiten. Letztere changieren zwischen dem Musterbild des eifrigen und kämpferischen Vertreters einer neuen Identität und dem Topos des lauwarmen, ja konfessionell indifferenten Christen. Gefragt wird nach verschiedenen Konversionstypen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Situationen; außerdem behandelt Dagmar Freist die Frage der Religionsmündigkeit konversionswilliger Kinder. Nicole Grochowina und Christine Kooi verstehen die Konversion als aktive Nutzung von Wahlmöglichkeiten durch den Konvertiten auf einem "Markt der Sinnstiftungen" - ein Ergebnis, das freilich ihren multikonfessionellen Untersuchungsräumen (Emden und die Niederlande) geschuldet ist. Vertreter bestimmter sozialer Gruppen hingegen waren schon aufgrund ihrer Exponiertheit geradezu gezwungen, sich eindeutig auf einer konfessionellen Seite zu positionieren, wie die Beiträge von Petr Mat'a zum böhmischen Obristkanzler Slawata, von Matthias Pohlig zum gelehrten Frömmigkeitsstil Christoph Besolds und von Heike Bock zu Geistlichen in der Eidgenossenschaft zeigen.
Im dritten Teil des Bandes werden ästhetische und rhetorische Strategien zur Herbeiführung und Legitimation von Konversionen untersucht. Hierbei stehen zwei Aspekte im Vordergrund: Einerseits wird nach dem Einfluss von Literatur und Kunst auf den Konversionsprozess gefragt. Dabei bilden die Jesuiten einen Schwerpunkt, der sich mit der Thematisierung von Konversionen im Jesuitentheater (Kai Bremer) und der "jesuitischen Überwältigungsästhetik" bildlicher Darstellungen (Jens Baumgarten) auseinandersetzt. Auf ganz andere Art werden Konversionen im "Simplicissimus" dargestellt, wie Andreas Merzhäuser ausführt. Nicht der Glaubenswechsel stellt hier die eigentliche Konversion dar, da mit ihm die Wahrheitssuche noch nicht abgeschlossen ist, sondern die Abkehr von der Welt, die in konfessionelle Indifferenz mündet. Sie führt zu einem radikalen Wandel des Welt- und Selbstverständnisses durch die Entlarvung der Konfessionen als Teil der Händel der Welt.
Damit ist auch der Übergang zum zweiten Schwerpunkt dieser Sektion vollzogen: Mit diskursiven Strategien von Konversionsberichten befassen sich Alexander Schunka und Ute Lotz-Heumann. Dabei geht es um die grundsätzliche Frage, welche Deutungen diese Quellengattung überhaupt zulässt. Schunka sieht Revokationspredigten als Quellen für Erwartungshorizonte und Topoi, nicht aber für individuelle Zugänge zur Motivlage einzelner Konvertiten. Lotz-Heumann hingegen betont in ihrem Beitrag zu irischen Konversionsberichten, dass sich nachvollziehen lasse, dass die Akteure in kommunikativen Mustern vorhandene Spielräume genutzt haben. Sie bestätigt im übrigen den Befund der zweiten Sektion, dass Vertreter der Elite hinsichtlich ihrer religiösen Positionierung unter stärkerer Beobachtung standen als die breite Masse: Berichte, die auf die Elite zielten, betonten die Bedeutung des Nachdenkens und der Überzeugungsarbeit im Konversionsprozess, wohingegen das Rezeptionsmuster der breiten Masse in der Wertung der Konversion als Ergebnis des Einwirkens transzendenter Kräfte zu sehen ist.
Es gehört zu den Stärken des Bandes, dass er an verschiedenen Stellen zum Querlesen, zum Vergleich der Ergebnisse der einzelnen Aufsätze einlädt; bei aller Vielfalt der Beiträge entsteht so doch das Bild einer gewissen methodischen Geschlossenheit. Eher blass bleibt bei den meisten Beiträgen die Auseinandersetzung mit dem Konfessionalisierungsparadigma. Dafür werden aber viele Fragen der aktuellen Forschung berührt, etwa zu konfessionellen Identitäten, zu diskursiven Strategien, zum Spannungsverhältnis von Gruppenbindung, kollektiven Rollenerwartungen und zur Schaffung individueller Freiräume mittels Aneignungsstrategien. Diese können als Beiträge zu einem breiteren, weniger zentral an Staatsbildung und Disziplinierungsprozessen und mehr an diskursiver Konstruktion von Konfessionskulturen und -identitäten orientierten Bild der Konfessionalisierung dienen.
Hillard von Thiessen