Christian Steppan: Akteure am fremden Hof. Politische Kommunikation und Repräsentation kaiserlicher Gesandter im Jahrzehnt des Wandels am russischen Hof (1720-1730) (= Schriften zur politischen Kommunikation; Bd. 22), Göttingen: V&R unipress 2016, 492 S., 17 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-0433-9, EUR 65,00
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Die im Rahmen des Frankfurter Internationalen Graduiertenkollegs "Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert" entstandene Dissertation von Christian Steppan ist eine diplomatiegeschichtliche Arbeit, die das Handeln einzelner personaler Akteure in den österreichisch-russischen Beziehungen im dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts untersucht. Es handelt sich dabei um eine für die Untersuchung personaler Beziehungen in der Diplomatie und deren Verhältnis zur Makropolitk außerordentlich interessante Phase: Die frühen 1720er-Jahre sind zunächst durch eine Annäherung der Höfe Karls VI. und Peters I. gekennzeichnet. Die Inanspruchnahme des Kaisertitels durch den Zaren führte allerdings zu einer abrupten Abkühlung der Beziehungen. Dem Tod Peters folgte eine Zeit wiederholter Veränderungen der Machtkonstellationen am Zarenhof, markiert durch die kurzen Regierungszeiten Katharinas I. (1725-27) und Peters II. (1727-1730), in denen sich die Beziehungen zwischen Zaren- und Kaiserhof tendenziell wieder verbesserten, wenn auch die Instabilität der höfischen Netzwerke das networking der Diplomaten erschwerte.
Das Methodendesign der Arbeit ist sehr eklektisch geraten: Von Luhmanns Kommunikationsbegriff über Goffmans Interaktionstheorie und Turners Ritualverständnis, der Begriffsgeschichte im Sinne Kosellecks sowie der Ideengeschichte der Cambridge School, wie sie Skinner und Pocock entworfen haben, bis hin zur historischen Semantik, zur Kulturtransferforschung und zur Akteur-Netzwerk-Theorie wird vor dem Leser ein breites Spektrum sehr unterschiedlicher Ansätze entfaltet, das mehr in die Breite als in die Tiefe geht. Auch ist die Literaturbasis dieser Ausführungen recht dünn: Die Passage zur politischen Kultur basiert z.B. fast nur auf dem bekannten und seinerzeit (1990) bahnbrechenden Aufsatz von Karl Rohe. Zudem spielt dieser Methodenapparat für die eigentliche Leistung der Arbeit - die Mikroanalyse der österreichischen bzw. kaiserlichen Diplomatie am russischen Hof - eine recht geringe Rolle. Ein Verdienst der Studie ist jedoch, dass sie die Vorgänge am Hof aus der Perspektive unterschiedlicher Akteure beleuchtet. Denn Steppan hat nicht nur Berichte der österreichischen Gesandten in St. Peterburg bzw. Moskau und russischer Gesandter am Kaiserhof ausgewertet, wobei letztere nur lückenhaft überliefert sind. Er hat darüber hinaus Korrespondenzen preußischer, französischer und englischer Diplomaten am Zarenhof konsultiert. Neben den offiziellen Kommunikationskanälen werden auch solche eher informeller Natur berücksichtigt. Außerdem hat der Verfasser zeitgenössische Presseorgane ausgewertet, namentlich die "Europäische Fama", ein vergleichsweise neutrales und intensiv rezipiertes Periodikum, sowie das vom kaiserlichen Hof gesteuerte "Wienerische Diarium".
Die Arbeit geht chronologisch vor, was viel für sich hat, da auf diese Weise die Entwicklungen in den personalen Beziehungen und die Versuche der Diplomaten, Vertrauen zu gewinnen und nutzbar zu machen, ebenso nachvollzogen werden können wie abrupte Veränderungen ihrer Handlungsbedingungen, etwa nach dem Tod eines Herrschers oder dem Sturz eines Favoriten. Daraus ergibt sich die Struktur des Hauptteils der Studie. Als erstes behandelt der Verfasser die letzten Jahre der Herrschaft Peters I., die zunächst noch durch eine Annäherung der Höfe gekennzeichnet waren. Die Aufgabe des 1721 nach St. Petersburg entsandten Botschafters Karls VI., Stephan Wilhelm Graf Kinsky, war es, die maßgeblichen Personen im Umfeld des Zaren zu "gewinnen". Diese mikropolitischen Bemühungen sollten allerdings durch eine Veränderung des makropolitischen Rahmens konterkariert werden: Mit der Annahme des Imperatorentitels durch den Zaren musste Wien, das diese Gleichsetzung mit dem Kaiser nicht akzeptieren konnte, auf Distanz gehen. Kinsky war hierdurch, nicht zuletzt auch wegen des langen Ausbleibens von Instruktionen aus Wien, zum Lavieren gezwungen. Zeremonien, welche den Imperatorentitel bekräftigten, etwa die Krönung der Gattin des Zaren, Katharinas, als Imperatorin, blieben die Wiener Diplomaten unter Vorwänden fern.
Nicht minder kompliziert gestalteten sich die Beziehungen unter Peters Nachfolgerinnen und Nachfolgern. Denn nun war stets aufs Neue zu ermitteln, zu welchen Personen im Umfeld des jeweils neuen Herrschers bzw. der neuen Herrscherin Kontakte zu knüpfen waren: Sank die Bedeutung einzelner höfischer Akteure, wandten sich die Diplomaten von diesen in der Regel rasch wieder ab. Nicolaus von Hochholzer, der ab Juli 1722 die Interessen Wiens als Geschäftsträger vertrat, sowie die Botschafter Amadeus Graf Rabutin (1725-1727) und Franz Carl Graf Wratislaw (ab 1728) suchten die Beziehungen zum Zaren bzw. der Zarin und ihrem Umfeld auf verschiedene Weise zu kultivieren. Dies geschah über verschiedene Kommunikationsstrategien, insbesondere durch die Verteilung von Geschenken, die allerdings erst aus Wien geschickt bzw. bezahlt werden mussten. Damit wurde ein Rahmen für die Entwicklung von Vertrauensbeziehungen als Grundlage einer besseren politischen Zusammenarbeit bis hin zu einer Allianz geschaffen.
Die Stärke der Arbeit Steppans liegt in der minutiösen Rekonstruktion der Bemühungen der kaiserlichen Diplomaten, gute Beziehungen zu den maßgeblichen russischen Akteuren herzustellen, den Erwartungen, die man in Wien an sie richtete, zu genügen und - mitunter ohne auf Instruktionen zurückgreifen zu können -, Krisen zu bändigen und Probleme zu lösen. Thematisiert wird dabei auch das Verhältnis zwischen den Diplomaten unterschiedlichen Rangs und zwischen den Gesandten verschiedener Herren. Allerdings begnügt die Studie sich letztlich damit, eine Detailgeschichte der großen Politik zu liefern. Es geht um die Interessen der großen Mächte, aber es fehlt eine tiefere Auseinandersetzung mit der Perspektive der einzelnen Diplomaten jenseits ihrer Rolle als Vertreter ihres Dienstherrn. Die Netzwerk- und Patronageforschung wird leider, abgesehen von der Akteur-Netzwerk-Theorie, kaum rezipiert und nicht für die Analyse der Quellen aktiviert. Die Begriffsanalysen (etwa zum Terminus "Freundschaft") bleiben etwas oberflächlich. Das immer wieder angesprochene Verhältnis von Norm und Praxis hätte ebenfalls einer intensiveren Vertiefung bedurft. Das gilt auch für die Frage, wie in einem von jähem soziopolitischen Auf- und Abstieg gekennzeichnetem Feld wie dem russischen Hof im Untersuchungszeitraum überhaupt Vertrauensbeziehungen gestiftet werden konnten. Diese Monita ändern gleichwohl nichts daran, dass Steppan eine ausgesprochen zuverlässige Analyse der Arbeit der österreichischen Diplomaten in einem komplizierten Umfeld vorgelegt hat, die zudem einige Annahmen der älteren Forschung zurechtrückt.
Hillard von Thiessen