Rezension über:

Reinhardt Butz / Jan Hirschbiegel (Hgg.): Hof und Macht. Dresdener Gespräche II zur Theorie des Hofes (= Vita curialis. Form und Wandel höfischer Herrschaft; Bd. 1), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2007, XIII + 253 S., ISBN 978-3-8258-8828-2, EUR 29,90
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Rezension von:
Andreas Bihrer
Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Bihrer: Rezension von: Reinhardt Butz / Jan Hirschbiegel (Hgg.): Hof und Macht. Dresdener Gespräche II zur Theorie des Hofes, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 9 [15.09.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/09/14035.html


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Reinhardt Butz / Jan Hirschbiegel (Hgg.): Hof und Macht

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Beinahe alle politischen und gesellschaftlichen Phänomene erklärte man in den 1970er Jahren in Deutschland mit Machtstrukturen, öffentliches und privates Handeln wurde in vielen Bereichen als Ausübung von Macht verstanden. In den Gesellschaftswissenschaften hatte in dieser Zeit die Soziologie die Meinungsführerschaft übernommen, Vertreter dieses Fachs untermauerten dieses Erklärungsmodell durch zahlreiche Theorien zur Macht. Mit der verstärkten Hinwendung zu kulturwissenschaftlichen Fragestellungen ab den 1980er Jahren ist das Phänomen der Macht immer mehr in den Hintergrund getreten. Bei der Analyse von historischen Formationen und Institutionen wird seitdem dem Aspekt der Macht oftmals nur noch ein geringes Gewicht eingeräumt. Ein Tagungsband zum Thema "Hof und Macht" möchte die Beziehung von Institution und Macht wieder stärker ins Bewusstsein rücken.

Reinhardt Butz und Jan Hirschbiegel hatten 2001 bei einem ersten "Dresdener Gespräch" zur "Theorie des Hofes" dazu eingeladen, sich dem Phänomen Hof über verschiedene theoretische Ansätze unterschiedlicher Fachdisziplinen zu nähern.[1] Das zweite "Dresdener Gespräch" im Jahr 2004 konzentrierte sich auf den Aspekt "Hof und Macht". Die Beiträge liegen jetzt als erster Band der neuen Reihe "Vita curialis" gedruckt vor. Dieses Publikationsorgan ist als Pendant zur Reihe "Vita regularis" zu verstehen, die monastischen Gemeinschaften gewidmet ist. Die Reihe "Vita curialis" soll interdisziplinär, interkulturell und theoriegeleitet ausgerichtet sein und damit eine andere Schwerpunktsetzung aufweisen als die etablierte Reihe der deutschen Hofforschung, die unter dem Titel "Residenzenforschung" firmiert. Vier Fallbeispiele aus dem mitteleuropäischen Mittelalter und der Frühen Neuzeit und drei Vergleichsfälle zu außereuropäischen Themen wurden in Dresden diskutiert. Ergänzt werden diese Beiträge durch einen kurzen Artikel über soziologische Positionen zum Phänomen der Macht von Karl-Siegbert Rehberg, einen einleitenden Beitrag Jan Hirschbiegels und eine pointierte Zusammenfassung Werner Paravicinis. Das Impulsreferat Hirschbiegels wollte keinen umfassenden Forschungs- und Literaturbericht zum Thema "Hof und Macht" bieten, sondern stellte ein auf Macht und die zentrale Mittelpunktsfigur konzentriertes Hofmodell zur Diskussion und formulierte die Hauptfragen für die Tagung. Die soziologischen Ansätze boten Anregungen und Anknüpfungspunkte für die in erster Linie geschichtswissenschaftlichen Fallstudien, ohne dass jedoch von den Autorinnen und Autoren eine enge Theorievorgabe exekutiert werden musste.

Neben dieser interdisziplinären Verbindung von Soziologie und Geschichtswissenschaft möchte der Sammelband auch einen Beitrag zum interkulturellen Vergleich bieten. Bei den Fallbeispielen fällt auf, dass bei den vier Studien zu Mitteleuropa der Hof im Mittelpunkt der Analysen steht, bei den drei Aufsätzen zu außereuropäischen Themen hingegen höfische Strukturen und Gruppen kaum vorkommen, untersucht werden in erster Linie die Herrscher. Dieser Befund stellt ein wichtiges Ergebnis des Arbeitsgesprächs dar, zeigt er doch, wie problematisch es ist, das Konzept des mitteleuropäischen Hofs unreflektiert auf außereuropäische Machtkonstellationen zu übertragen. Gleichwohl überrascht, dass die Verfasser der Außereuropa-Beiträge nicht oder nur wenig die europäische Hofforschung rezipiert haben, so dass das Dresdener Gespräch einen wichtigen Anstoß gab, die beiden Forschungstraditionen stärker miteinander in Beziehung zu setzen. Dies sollte nicht additiv durch ein Nebeneinanderstellen von Beispielen geschehen, sondern in vergleichenden Studien, die um die Perspektive des Transfers zu erweitern sind.

Die beiden Herausgeber stellten in Dresden ihre älteren Hofmodelle zur Diskussion, in denen dem Herrscher ein großes Gewicht zugebilligt wird [2]: Der idealtypische Hof als Zentrum der Macht wird nach Butz und Hirschbiegel personifiziert durch eine zentrale Mittelpunktsfigur, gruppiert sich um diese und ist bezogen auf den Herrscher (6). Ein Hof ist aus ihrer Sicht "ein um den Herrn zentriertes Gebilde" (13), den Höflingen wird lediglich eine "Beteiligung an der Macht" (7) zugestanden. Diese Blickrichtung wird von den Aufsätzen zu Außereuropa mit ihrer Konzentration auf den Herrscher aufgenommen. Die vier Beiträge zur europäischen Vormoderne setzen hingegen andere Akzente: Birgit Studt und Scott Waugh mit Blick auf Hofhistoriographen, Lars-Arne Dannenberg und Mark Hengerer verschieben bei ihrer Analyse von Verwaltungsstrukturen den ursprünglichen Fokus auf Macht und Einfluss des Herrschers hin zum Hof. Dieser nun auf den Hof gerichtete Perspektivenwechsel ist eine Stärke der aktuellen Hofforschung.

Die Beiträge des Sammelbands "Hof und Macht" veranschaulichen, welchen bedeutenden Ertrag eine komparatistische, dazu interdisziplinäre und theoriegeleitete Hofforschung bieten kann. Der Band zeigt in beeindruckender Weise, welche Fragen und welches neue Verständnis ihres Gegenstands sich die aktuelle Hofforschung erschlossen hat. Mit der neuen Reihe "Vita curialis" existiert nun ein neues Forum, das diesen Ansätzen Gehör verschaffen kann. Dabei sollten allerdings nicht nur - wie von den Herausgebern geplant und im Untertitel der Reihe formuliert - "Form und Wandel höfischer Herrschaft" das Rahmenthema zukünftiger Bände bilden. Die Reihe sollte auch für andere Ansätze zur Erforschung des Hofs geöffnet werden. Höfe bildeten in der Vormoderne wichtige Knotenpunkte beim Umgang mit Macht, man sollte sie jedoch nicht auf ihre Funktion als Herrschaftszentrum reduzieren. Höfe waren als Ort der Begegnung attraktiv, es war aber nicht allein der Zugang zur Macht, der einen Hof anziehend machte. Höfe waren ebenso soziale, wirtschaftliche, kulturelle oder kommunikative Zentren; die Vita curialis war von mehr als nur dem Umgang mit Macht und Herrschaft geprägt.


Anmerkungen:

[1] Reinhardt Butz / Jan Hirschbiegel / Dietmar Willoweit (Hgg.): Hof und Theorie. Annäherungen an ein historisches Phänomen (=Norm und Struktur, Bd. 22), Köln/Weimar/Wien 2004. Vgl. dazu die Rezension von Andreas Pečar, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3; URL: http://www.sehepunkte.de/2005/03/6403.html

[2] Reinhardt Butz: Herrschaft und Macht - Grundkomponenten eines Hofmodells? Überlegungen zur Funktion und zur Wirkungsweise früher Fürstenhöfe am Beispiel der Landgrafen von Thüringen aus dem ludowingischen Haus, in: Ernst Hellgardt / Stephan Müller / Peter Strohschneider (Hgg.): Literatur und Macht im mittelalterlichen Thüringen, Köln/Weimar/Wien 2002, 45-84; Jan Hirschbiegel: Hof als soziales System. Der Beitrag der Systemtheorie nach Niklas Luhmann für eine Theorie des Hofes, in: Reinhardt Butz / Jan Hirschbiegel / Dietmar Willoweit (Hgg.): Hof und Theorie, Köln/Weimar/Wien 2004, 43-54.

Andreas Bihrer