Andreas Hilger / Mike Schmeitzner / Clemens Vollnhals (Hgg.): Sowjetisierung oder Neutralität? Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Österreich 1945-1955 (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung; Bd. 32), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, 574 S., ISBN 978-3-525-36906-7, EUR 54,90
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Sergej Z. Sluč / Carola Tischler (Hgg.): Deutschland und die Sowjetunion 1933-1941. Dokumente aus russischen und deutschen Archiven. Band 2: Januar 1935 - April 1937, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2019
Hermann Wentker: Die Deutschen und Gorbatschow. Der Gorbatschow-Diskurs im doppelten Deutschland 1985-1991, Berlin: Metropol 2020
Sergej Z. Sluč / Carola Tischler (Hgg.): Deutschland und die Sowjetunion 1933-1941. Dokumente aus russischen und deutschen Archiven. Band 1: 30. Januar 1933 - 31. Dezember 1934, München: Oldenbourg 2014
Mike Schmeitzner: Erwin Hartsch (1890-1948). Lehrer - Abgeordneter - Minister. Eine sächsische Karriere, Beucha: Sax-Verlag 2022
Mike Schmeitzner / Clemens Vollnhals / Francesca Weil (Hgg.): Von Stalingrad zur SBZ. Sachsen 1943 bis 1949, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016
Andreas Hilger / Corinna R. Unger (eds.): India in the World since 1947. National and Transnational Perspectives, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2012
Die sowjetische Nachkriegspolitik gegenüber Deutschland und Österreich war nicht nur für Zeitgenossen lange Zeit äußerst rätselhaft. Auch die historische Forschung musste jahrzehntelang oft über die politischen Absichten des sowjetischen Diktators Stalin spekulieren, weil sie dessen Politik mit Blick auf die ehemaligen Hauptkriegsgegner nur über Umwege anhand westlicher Quellen aufarbeiten konnte. Inzwischen hat sich die Situation deutlich verbessert. Die Archivlage lässt es jetzt zu, alte Forschungsergebnisse zu überprüfen und neue weiterführende Fragen aufzuwerfen. Das gilt vor allem für die in der historischen Zunft lange Zeit vertretene Auffassung, Stalin habe sich bei der Umsetzung seiner Nachkriegspolitik gegenüber den ostmitteleuropäischen Anrainerstaaten von einem Masterplan leiten lassen. Dass solche Thesen gemeinhin als widerlegt angesehen werden können, verdeutlichen zunehmend jüngste Forschungsergebnisse, die die stalinistische Außenpolitik nach 1945 unter vergleichender Perspektive betrachten.
Zu diesen zählt auch der vorliegende Band. Er fasst die Ergebnisse einer internationalen Fachtagung zusammen, die 2003 am Dresdener Hannah-Ahrendt-Institut für Totalitarismusforschung stattfand. Die sowjetische Deutschland- und Österreichpolitik wird dabei vorrangig unter dem Gesichtspunkt der "fundamentalen Unterschiede in der Besatzungssituation" (11) reflektiert, ohne jedoch gleichzeitig die jeweiligen Wechselwirkungen zwischen den beiden Entwicklungen auszublenden. Die Frage wird aufgeworfen, ob Stalin mit Deutschland etwas anderes plante als mit Österreich. Und das wiederum nährt die nach wie vor kontrovers geführte Debatte um die Verantwortlichkeiten für die deutsche Teilung. Denn bekanntlich endete die Okkupation Österreichs mit dem Abzug der alliierten Truppen, die das Land in die Neutralität entließen; Deutschland dagegen musste vier Jahrzehnte lang im Status der Zweistaatlichkeit verharren.
In vier Themenkomplexen diskutieren deutsche, österreichische und russische Historiker die sowjetischen Nachkriegsplanungen während des Zweiten Weltkriegs, die Besatzungsorganisation, die Besatzungspolitik und deren konkrete Ergebnisse jeweils für Deutschland und die Alpenrepublik. Im Zusammenhang mit den bislang nur schwer zu rekonstruierenden Moskauer Nachkriegskonzepten formuliert Aleksej Filitov die These, dass für Stalin, der wichtige Entscheidungen persönlich zu treffen pflegte, Teilung oder Sowjetisierung nur zwei mögliche Alternativen darstellten, eine weitere hätte in der Neutralisierung des Landes bestanden (25-40). Jochen Laufer vertritt dagegen die Auffassung, dass es zu keinem Zeitpunkt der sowjetischen Nachkriegsplanungen für Deutschland einen gesamtdeutschen Lösungsansatz gegeben habe. Seit 1942 sei von Stalin konsequent und mit oberster Priorität das Teilungskonzept verfolgt worden. Als es darum ging, praktische Verantwortung zu übernehmen, bot sich die Einteilung in verschiedene Okkupationszonen, in denen der jeweilige Oberbefehlshaber vollständige Verfügungsgewalt besaß, geradezu an, sodass Stalin in seinem Einflussbereich eine Politik der freien Hand praktizierte (509-535). Diese provokativen Feststellungen, die Laufer mit internen Unterlagen des sowjetischen Außenministeriums belegt sehen will, mögen für die Kriegsjahre ihre Richtigkeit haben. Für diese Phase trifft zweifellos zu, dass der sowjetische Diktator mit Blick auf Deutschland zu den hartnäckigsten Verfechtern einer territorialen Zerstückelungspolitik zählte. Allerdings blendet der Autor in seinen Schlussfolgerungen bisherige Forschungen aus, die belegen, dass der Kremlchef nach 1945 sehr wohl in gesamtdeutschen Perspektiven dachte und seine politischen Initiativen auch daran auszurichten versuchte.
Weit weniger umstritten stellt sich die Situation in dieser Hinsicht für Österreich dar, wie Manfred Murgauer belegt (41-76). Das oberste Nachkriegsziel der UdSSR bestand hier darin, die österreichische Souveränität wiederherzustellen. Während man in Deutschland dabei auf eine starke aktive Beteiligung der Moskauer Exil-KPD setzte, spielte für die mit Österreich befassten sowjetischen Nachkriegsplaner die dortige KPÖ nur eine untergeordnete Rolle. Deutliche Unterschiede lassen sich aber auch in der Besatzungsorganisation und der Besatzungspraxis ausmachen. Zwar orientierte sich der in Ostösterreich angesiedelte SČSK, der "Sowjetische Teil der Alliierten Kommission für Österreich", an der Grobstruktur seines in Berlin-Karlshorst befindlichen Pendants, der "Sowjetischen Militäradministration in Deutschland" (SMAD). Doch im Gegensatz zu den mehreren zehntausend Mitarbeitern der SMAD kam der ostösterreichische Besatzungsapparat kaum über 1000 Militär- und Zivilangehörige hinaus, wie Wolfgang Mueller argumentiert (117-142).
Ähnliche Unterschiede lassen sich für den Repressionsapparat und für das Ausmaß des von der Besatzungsmacht ausgeübten Terrors ausmachen. Nicht nur die Opferzahlen, die immer auch Auskunft über den Politisierungsgrad der Justiz geben, variieren dabei beträchtlich. Wie Andreas Hilger überdies zu berichten weiß, legten die sowjetischen Sicherheitsorgane in Deutschland, die NKWD-Truppen, MGB-Einheiten und die Militärjustiz bei der Verfolgung von NS-Verbrechern und politischen Gegnern in der Sowjetischen Besatzungszone ein Ausmaß an willkürlicher Repression an den Tag, das man für das Nachbarland vergeblich suchen wird (143-167). In diesem Sinne war es nur konsequent, dass die dortige sowjetische Internierungspolitik von den Praktiken in der SBZ abwich. In Österreich verzichtete man auf das Instrument der Masseninternierung; selbst die politische Säuberung der Verwaltung wurde mitunter nur sehr punktuell im Sinne der KPÖ exekutiert. Überhaupt überließen die Sowjets die Entnazifizierungsprozesse weitgehend der österreichischen Gesellschaft, wie Klaus-Dieter Mulley deutlich macht (249-269).
Mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten, so Mike Schmeitzner und abermals Wolfgang Mueller, ergeben sich auch beim Vergleich des unter sowjetischer Regie errichteten Parteiensystems sowie der Etablierung von Verwaltung und Regierungsstrukturen in beiden Besatzungsgebieten (271-311, 313-339). Während in der SBZ von Anfang an die KPD quasi als verlängerter Arm der SMAD das politische System dominierte und in einer Art "simulierter Demokratie" mit den manipulierten Herbstwahlen des Jahres 1946 erste diktatorische Facetten aufleben ließ, traf dies auf die politischen Anfänge Ostösterreichs nicht zu. Nach dem desaströsen Wahlausgang für die KPÖ im Herbst 1945 reagierte der dortige SČSK nicht mit repressiven Maßnahmen, um das Abstimmungsergebnis zu revidieren oder gar die österreichische Sozialdemokratie und bürgerliche ÖVP gleichzuschalten. Allerdings hatten die sowjetischen Erfahrungen unmittelbare Konsequenzen für die bevorstehenden Ereignisse in ihrem deutschen Besatzungsgebiet.
Alles in allem bietet der Sammelband eine Fülle neuer Erkenntnisse. Er regt zu weiteren Forschungen an und macht überdies deutlich, wie wichtig und ertragreich es ist, die sowjetische Außen- und Osteuropapolitik nach 1945 unter vergleichender Perspektive zu betrachten. Freilich wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Herausgeber in einer Synthese die einzelnen Untersuchungsergebnisse noch stärker miteinander vernetzt hätten. Doch mindert dieser Einwand nicht den Wert dieser thematisch insgesamt breit gefächerten und nützlichen Publikation.
Stefan Creuzberger