Rudi Matthee: The Pursuit of Pleasure. Drugs and Stimulants in Iranian History, 1500-1900, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2005, xx + 346 S., ISBN 978-0-691-11855-0, GBP 26,95
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Im Umfeld seiner Dissertation über "Politics and Trade in Late Safavid Iran: Commercial Crisis and Governmental Reaction under Shah Solayman 1666-1694" (University of California, Los Angeles, 1991) hat Rudi Mathee bis zur Mitte der 1990er Jahre einige substantielle Aufsätze über den Gebrauch von Tee, Kaffee und Tabak in Iran vorgelegt. [1] Zum Glück ist er diesem Thema treu geblieben, so dass er seine damaligen Befunde im Laufe der Zeit zu einer überaus gelungenen Monographie erweitern konnte. Auf der Basis umfassender Recherchen in niederländischen, britischen, österreichischen, französischen, belgischen und iranischen Archiven, unter Ausschöpfung des persischen historiographischen Schrifttums und vor allem durch eine genaue Lektüre der Berichte aus den Federn europäischer Reisender, Diplomaten und Händler bietet uns Mathee eine aufschlussreiche und wegweisende Studie über die Produktion, Verbreitung und gesellschaftliche Akzeptanz von Drogen und Stimulanzien wie Wein, Opium, Haschisch, Tabak, Kaffee und Tee in Iran von etwa 1500 bis 1925.
Opium und Wein waren in der iranischen Gesellschaft schon lange vor der Machtübernahme der Safviden weit verbreitete Rauschmittel, wohingegen Kaffee, Tee und Tabak erst im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft im 16. Jahrhundert hinzukamen. Wie schon in Europa vorher, schätzten die Iraner diese Produkte anfangs wegen ihres medizinischen Nutzens. Alsbald setzten sie sich jedoch in großen Teilen der Bevölkerung als angenehme und vor allem im privaten Bereich verwendete Konsummittel durch. Tabak erfreute sich bereits zehn Jahre nach seiner ersten Einfuhr bei Männern wie Frauen großer Beliebtheit. Kaffee, der zuerst in sufischen Kreisen konsumiert wurde, entwickelte sich erst mit dem Aufkommen der städtischen Kaffeehäuser am Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu einem allseits hoch verehrten Getränk.
Einer der wichtigsten Befunde der Arbeit scheint mir die offenkundige Diskrepanz zwischen der von den Religionsgelehrten formulierten idealisierten Vorstellung des Lebens auf der einen und dem komplexen, durch keine harten Grenzen bestimmten und gegenüber Kontrollmechanismen resistenten wirklichen Leben auf der anderen Seite zu sein. Der safavidische Herrschaftsverbund war von seiner Anlage und von seiner Machtstruktur her säkular orientiert. Aber auch für ihn stellte sich das grundsätzliche Problem, einen Ausgleich zwischen religiösen Prinzipien und dem für einen Staat lebensnotwendigen Streben nach Profit schaffen zu müssen. Allerdings rechtfertigte das Vorhandensein moralisch schlechter Verhaltensweisen auch die Existenz und die Stellung der Religionsgelehrten in der iranischen Gesellschaft. Es war ein dialektischtes Verhältnis, zumal die Ulama allzu oft selbst in illegitime Aktivitäten verwickelt waren. Sie erinnerten zwar die Herrscher immer wieder an deren Pflicht, in der Öffentlichkeit die islamischen Normen durchzusetzen, waren jedoch auch froh, wenn die Machtträger sich in der Regel mit sporadischen Maßnahmen begnügten. Auf diese Weise konnten alle letzten Endes eine ganze Reihe eigentlich unerlaubter Handlungen ungestört und ohne schlechtes Gewissen durchführen. Die offen bekundete Abneigung der Religionsgelehrten gegenüber dem Kaffee- und Tabakgenuss hielt die Iraner eben keineswegs davon ab, sich beider Genussmittel im Alltagleben zu erfreuen. Der Konsum von Opium in der Bevölkerung und von Alkohol in der höfischen Gesellschaft war ohnehin so verbreitet, dass kein religiöses Verbot ihren Gebrauch hätte unterbinden können.
Die Arbeit von Rudi Mathee ist chronologisch angeordnet. Nach einer kurzen historischen Einführung folgt im ersten Teil die Geschichte der genannten Drogen und Rauschmittel von 1500 bis zum Beginn der Qajarendynastie im Jahre 1795. Zunächst behandelt der Autor auf sehr anschauliche Weise die Probleme des Weinkonsums, bevor er auf das Opium zu sprechen kommt. Tabak, der neben dem Tee von den Iranern am schnellsten in die eigenen kulturellen Gewohnheiten integriert werden konnte, ist der Gegenstand des nächsten Kapitels. Ausführliche Bemerkungen zum Kaffeehandel, der insgesamt sehr gut dokumentiert ist, sowie zur aufkommenden Kaffeehauskultur beschließen diesen Abschnitt.
Der zweite Teil thematisiert dann vor allem die Brüche und Kontinuitäten, die mit dem Ende der Safaviden, dem Fall von Isfahan im Jahre 1722 und der Machtübernahme der Qajaren drei Generationen später verbunden sind. Da die neuen Herrscher nicht wie ihre Vorgänger über eine göttliche Legitimation verfügten, gaben sie den öffentlich zur Schau gestellten Weingenuss auf und gingen zu enthaltsameren Formen der zeremoniellen Selbstdarstellung über. Lokale Magistraten feierten allerdings weiterhin ungeniert weinselige Feste. Die Nachahmung des europäischen Lebensstils im 19. Jahrhunderts und die Einführung von Arak förderten in dieser Epoche ohnehin nachhaltig den Alkoholkonsum im Volk. Kaffeehäuser hingegen verschwanden in den Zeiten der Wirren des 18. Jahrhunderts und konnten auch durch Tavernen nicht ersetzt werden. 100 Jahre später tauchten sie jedoch wieder aus der Versenkung auf, wobei nun erstaunlicherweise Tee und nicht Kaffee zum Nationalgetränk wurde. Tabak blieb immer beliebt und geduldet, aber die staatliche Einstellung zum Opium, das man nunmehr rauchend zu sich nahm, änderte sich. Die Konsequenzen des massiven Opiumkonsums in der Bevölkerung hatten bedenkliche Formen angenommen: die Anbauflächen waren so groß geworden, dass man wirtschaftlich von dem Gelingen der Mohnernte abhängig war. Hinzu kam, dass sich die Zahl der Süchtigen in zunehmendem Maße zu einem sozialen Problem entwickelte. Der Staat sah sich genötigt, erste Schritte zur Kriminalisierung von Opium einzuleiten.
Alles in allem beschreibt Mathee in seinem ausgezeichneten Buch am Beispiel der jüngeren iranischen Geschichte, um es noch einmal zu sagen, das so wichtige Spannungsverhältnis von religiösem Ideal und gelebtem Alltag in islamischen Gesellschaften. Der Islam verlange, so Mathees Fazit, von seinen Anhängern nicht so sehr innerliche Glaubensbeweise - dies überlässt man geflissentlich dem göttlichen Urteil am Tage des Jüngsten Gerichts -, sondern gemeinsam öffentlich praktizierte Riten und Verhaltensweisen. Dies lasse allerdings Raum für eine private Sphäre, in welcher die Scharia nicht unbedingt befolgt werden müsse, solange keine andere Person dabei zu Schaden kommt und die Dinge in den eigenen vier Wänden bleiben. Diese Einstellung, so Mathee weiter, "has always made life liveable in Muslim societies, allowing people to behave as they wished while maintaining the pretense that society continued to pursue that ideal." (296)
Wir sollten also stets auf der Hut sein und die nach außen gezeigte und in Texten der Religionsgelehrten angemahnte und formulierte Religiosität niemals mit dem richtigen Leben verwechseln!
Anmerkung:
[1] ] Genannt seien: Rudi Mathee: Exotic Substances: The Introduction and Global Spread of Tobacco. Coffee, Tea, Cocoa, and Distilled Liquor, 16th-18th Centuries, in: Roy Porter/Mikulas Teich (eds.): Drugs and Narcotics in History. Cambridge 1985, 24-51; ders., Coffee in Safavid Iran: Commerce and Consumption, in: Journal of the Economic and Social History of the Orient 37 (1994), 1-32; ders.: From Coffee to Tea: Shifting Patterns of Consumption in Qajar Iran, in: Journal of World History 6 (1996), 199-230.
Stephan Conermann