Rezension über:

A. M. Bowie (ed.): Herodotus: Histories. Book VIII (= Cambridge Greek and Latin Classics), Cambridge: Cambridge University Press 2007, xi + 258 S., ISBN 978-0-521-57571-3, GBP 18,99
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Rezension von:
Karl-Wilhelm Welwei
Fakultät für Geschichtswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Karl-Wilhelm Welwei: Rezension von: A. M. Bowie (ed.): Herodotus: Histories. Book VIII, Cambridge: Cambridge University Press 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 12 [15.12.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/12/14521.html


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A. M. Bowie (ed.): Herodotus: Histories. Book VIII

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Im Mittelpunkt des 8. Buches der Historiai Herodots stehen Vorgeschichte und Verlauf der Schlacht bei Salamis 480 vor Christus. Es ist sehr zu begrüßen, dass der Text der Darstellung jener Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung neu ediert und kommentiert worden ist. Vorausgeschickt wird in diesem Band eine Einleitung in die Erzählweise und in das Leben Herodots. Zudem skizziert Bowie den Aufstieg des Perserreiches und die Situation in Griechenland unmittelbar vor dem Kriegszug des Xerxes. Bemerkenswert ist Bowies Hinweis (20), dass auch erfundene Episoden, Legenden und Fehlinformationen in den Berichten Herodots Zeugnisse griechischer Erinnerungskultur nach einem Geschehen sind, das schon für die damaligen Zeitgenossen schwer zu begreifen war und auf göttliche Planung hinzudeuten schien. In dieses Bezugsfeld gehört beispielsweise das von Bowie (8-11) analysierte Xerxesbild Herodots (7,35), der den Perserkönig als Gotteslästerer charakterisiert, weil er nach der Zerstörung der Pontonbrücken über den Hellespont durch einen Sturm das Meer auspeitschen und die Konstrukteure hinrichten ließ.

Der zweite Teil des vorliegenden Bandes enthält den griechischen Text der Historiae Herodots, Buch VIII. Bowie hat nur eine begrenzte Zahl von Emendationen vorgenommen und den textkritischen Apparat auf ein Mindestmaß beschränkt, um die Lektüre zu erleichtern.

Im Kommentar konnte Bowie aus verständlichen Gründen nicht alle Interpretationen umstrittener Aussagen Herodots berücksichtigen. Die Probleme beginnen bereits zu Beginn des achten Buches mit Herodots Angaben über die Flottenstärke der Griechen 480 v. Chr. vor den Kämpfen. Bowie übernimmt (89) die von Herodot (7,144,1-2) genannte Zahl von 200 athenischen Trieren. Es wurde allerdings verschiedentlich bezweifelt, ob die Athener nach dem Flottenbauprogramm des Themistokles in der Lage waren, 200 Kampfschiffe in den Jahren von 483/82 bis 480 fertig zu stellen. Die genannte Zahl findet sich lediglich bei Herodot und Nepos (Themistokles 2,2; 2,8), so dass auch die von Plutarch (Themistokles 4,1-3) und von Ps.-Aristoteles (Athenaion Politeia 22,7) erwähnten 100 athenischen Trieren zur Diskussion stehen. [1] Dieses Problem ist mit der weiteren Frage der Zahl der seediensttauglichen Athener um 480 v. Chr. verbunden. Bowie verweist dazu auf die für das späte 5. Jahrhundert v. Chr. bekannten Zahlen von 170 Ruderern und etwa 30 weiteren Besatzungsmitgliedern auf einer Triere. Wenn man von 200 Trieren im Jahre 480 ausgeht, muss man eine Mobilisierung von etwa 40000 seediensttauglichen athenischen Bürgern annehmen. Diese Zahl wurde aber zweifellos 480 nicht erreicht, so dass wohl auch Metoiken und Sklaven aufgeboten wurden. Eine starke Reduzierung der Zahl der Ruderer auf den Trieren ist dagegen wenig wahrscheinlich.

Ein schwieriges Problem ist die Beurteilung des spartanischen 'Regenten' Pausanias, des Siegers von Plataiai 479 v. Chr. Nach Herodot (8,3,2) war er erfüllt von Hybris. Bowie übernimmt diese Wertung (93) und entnimmt dem Bericht des Thukydides (1,128,3-135,1), dass Pausanias in eine Helotenverschwörung verstrickt war. Herodot folgt aber einer Überlieferung, die offensichtlich auf innerspartanische Gegner des Regenten zurückgeht, und Thukydides lässt durchblicken, dass den Ephoren die Aussagen "einiger" Heloten nicht beweiskräftig erschienen.

Unhistorisch ist allem Anschein nach der von Herodot (8,13-14) erwähnte Untergang von 200 persischen Schiffen, die vor der Entscheidung der Kämpfe beim Kap Artemision und an den Thermopylen Euboia umfahren sollten, aber in einen gewaltigen Sturm gerieten. Bowie hält Herodots Bericht für glaubwürdig (104-107). Es ist aber kaum anzunehmen, dass die persische Führung das große Risiko einging, das mit einer solchen Aktion verbunden gewesen wäre.

Eine spannende Lektüre ist Herodots Darstellung (8,59-69) der Diskussionen im griechischen Kriegsrat auf Salamis über die weitere Strategie. Bowie kommentiert die Debatten recht ausführlich. Zu beachten ist aber, dass die griechische Führung keine generalstabsmäßige Planung kannte. Auszuschließen ist auch eine Protokollierung der Beratungen. Bowie deutet selbst (198) den fraglichen Quellenwert der Reden im Werk Herodots an, wenn er die Vorschläge, die Themistokles im griechischen Kriegsrat gemacht haben soll (Herodot 8,109,1), als "highly rhetorical utterance" bezeichnet.

Bowies Hauptinteresse gilt - wie gesagt - der Schlacht bei Salamis. Die Geschichte Herodots (8,75) von einer Geheimbotschaft, die Themistokles angeblich vor dem Kampf von seinem Vertrauten an Xerxes übermitteln ließ, beurteilt Bowie einerseits als "almost fanciful", doch hält er sie gleichwohl für glaubhaft (164). Herodots Nachricht wird aber durch Aischylos (Perser 353-373) wohl kaum bestätigt, zumal Herodot (8,69-70,1; 76,1) an anderen Stellen hervorhebt, dass Xerxes schon zum Angriff entschlossen war.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Rezensenten gern auf Probleme eingehen, die sie anders beurteilen als der Verfasser des betreffenden Buches. Dies ist auch hier geschehen. Als Ausnahme hat aber in diesem Fall der Kampf bei Salamis zu gelten. Die Meinungsverschiedenheiten über die Positionen und Bewegungen der Streitkräfte beider Seiten im Verlauf der Schlacht im engen Sund von Salamis sind besonders groß, wie Bowie zu Recht (172) mit Hinweis auf das Eingeständnis Herodots (8,87,1) ausführt, dass ihm viele Einzelheiten des Kampfgeschehens nicht genau geschildert wurden. Bowie hat sich aber bemüht, entscheidende Phasen der Seeschlacht zumindest in Umrissen zu rekonstruieren.

Trotz der hier vorgetragenen Kritik an verschiedenen Passagen des Kommentars verdient Bowies Gesamtleistung große Anerkennung. Der Leser wird über eine Reihe von Kontroversen über Ereignisse in einer Zeit der Wende in der griechischen Geschichte sowie über die hierzu vorliegende Literaturfülle treffend informiert.


Anmerkung:

[1] Vgl. jetzt Wolfgang Blösel: Themistokles bei Herodot: Spiegel Athens im fünften Jahrhundert. Studien zur Geschichte und historiographischen Konstruktion des griechischen Freiheitskampfes 480 v. Chr., Stuttgart 2004, 74-91.

Karl-Wilhelm Welwei