Franz Georg Strauß: Mein Vater. Erinnerungen, München: Herbig Verlag 2008, 295 S., 85 Abb., ISBN 978-3-7766-2573-8, EUR 19,95
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Dass Politiker ihren Lebensabend damit verbringen, Zeugnis abzulegen, ist nichts Neues. Schon Konrad Adenauer, der Gründervater der Bundesrepublik, setzte mit seinen zwischen 1965 und 1968 erschienenen Memoiren Maßstäbe. Helmut Kohl, der sich oft zum politischen Enkel des ersten Kanzlers stilisierte, tat es ihm gleich. Dass jedoch die Kinder bekannter Politiker zur Feder greifen und ihre Sicht der Dinge schildern, ist eher selten - was man bedauern mag, denn gerade dieser spezielle Blickwinkel jenseits der Haupt- und Staatsaktionen wäre dazu angetan, neben der politischen Biografie auch menschliche Stärken und Schwächen einflussreicher Persönlichkeiten besser zu verstehen.
Zwanzig Jahre nach dem Tod seines Vaters Franz Josef Strauß, der nach einem Zusammenbruch bei einem Jagdausflug am 3. Oktober 1988 in Regensburg starb, hat sein Zweitgeborener Franz Georg (Jahrgang 1961) seine Erinnerungen an den Bundesminister, CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten veröffentlicht, der nicht nur eine der prägendsten politischen Figuren der "alten" Bundesrepublik, sondern auch eine ihrer umstrittensten und polarisierendsten gewesen ist. Gerade dieser Aspekt ist es, der den Autor umtreibt. Franz Georg Strauß wirft sich geradezu für seinen Vater in die Bresche, der bis heute "in der Erinnerung der Menschen präsenter" sei "als alle, die nach ihm aus dem politischen Leben ausgeschieden sind". Zahlreiche Berichte in den verschiedensten Medien hätten in ihm immer wieder die Frage hervorgerufen, ob er "im falschen Film sitze, ob hier nicht Leute etwas absichtlich missverstanden haben". Die Erinnerungen von Franz Georg Strauß sind also gleichsam aus der Defensive geschrieben und vom subjektiven Bemühen gekennzeichnet, den verehrten Vater in Schutz zu nehmen. Wer also hofft, von Vater-Sohn-Konflikten, Emanzipation und Ablösungsprozessen lesen zu können, wird enttäuscht.
Franz Georg Strauß konzentriert sich auf die letzten Lebensjahre seines Vaters, von seiner Wahl zum bayerischen Ministerpräsidenten 1978 bis zu seinem Tod, die er als junger Erwachsener bewusst erlebt und begleitet hat. Die Kapitel des Buches sind in der Regel einem Jahr gewidmet und stellen ein zentrales Ereignis in den Mittelpunkt (etwa die Kanzlerkandidatur von 1980 im dritten oder den Tod von Marianne Strauß im siebten Kapitel). Dabei bleibt der Verfasser freilich nicht stehen, sondern beschreibt in zahlreichen Rückgriffen und Exkursen die Karriere seines Vaters und die Geschichte seiner Familie. Wer neue Informationen über das Zustandekommen politischer Entscheidungen erwartet, sollte nicht unbedingt zu diesem Buch greifen. Franz Georg Strauß lehnt sich in diesen Passagen vielfach stark an die Erinnerungen seines Vaters an, die - Fragment geblieben - nach seinem Tod erschienen sind. Dagegen kann sich die Lektüre für denjenigen lohnen, der Interesse an alltäglichen Geschichten aus der Familie eines Spitzenpolitikers hat (dazu etwa die Teile über die ersten Jahre in Rott am Inn oder die Jugend unter der Glasglocke des Personenschutzes in den bleiernen Jahren des RAF-Terrorismus). Auch wer mehr über die zahlreichen Reisen von Franz Josef Strauß wissen will, auf die ihn sein Sohn oft begleitet hat, kommt auf seine Kosten, wenn man davon absieht, dass Franz Georg Strauß offenbar mehr Gespür für Land und Leute entwickelt hat als für Politik.
Wer von Franz Josef Strauß spricht, kann von den Affären, die seine Karriere begleiteten, nicht schweigen. Sein Sohn kommt um dieses Thema ebenfalls nicht herum, auch wenn er es in spezifischer Weise abhandelt, denn aus seiner Sicht waren diese Affären das Ergebnis politischer Intrigen und öffentlicher Kampagnen. Franz Georg Strauß lässt sich in seinen Urteilen von einem klaren Freund-Feind-Schema leiten, wobei es ihm vor allem darauf ankommt, seinen Vater und seine Geschwister Max Josef und Monika in Schutz zu nehmen und die Familie Strauß als Monolith ohne Angriffspunkte erscheinen zu lassen. Die Feinde stehen für ihn in den Reihen der Journalisten (namentlich in den Redaktionen des "Stern", des "Spiegel" und der "Süddeutschen Zeitung") und der SPD, aber auch im bayerischen Justiz- und Beamtenapparat und sogar in der CSU, der vorgeworfen wird, das Erbe von Franz Josef Strauß verspielt und die Familie nach seinem Tod im Stich gelassen zu haben. Man sei "ohne Aussicht auf gerechte Behandlung", ja "schutzlos" gewesen und habe "in Bayern mit keinerlei Unterstützung rechnen" können. Das Urteil über einstige Größen der CSU - von Kurt Faltlhauser über Edmund Stoiber und Max Streibl - fällt entsprechend harsch aus. Man glaubt fast, eine gewisse Schadenfreude über die Krise der bayerischen Staatspartei nach Stoibers erzwungenem Abgang im Jahr 2007 zu erkennen und den erhobenen Zeigefinger des Autors zu sehen: Hätte die CSU den von Franz Josef Strauß vorgezeichneten Pfad der Tugend, gekennzeichnet durch Bürgernähe, Mitmenschlichkeit, Augenmaß und staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft, nicht verlassen, wäre ihr auch der Erfolg weiterhin sicher gewesen. Es darf bezweifelt werden, dass man Franz Josef Strauß auf diese Weise gerecht wird und dass die Antwort auf die Krise der Volksparteien, die auch die CSU zu spüren bekommt, so einfach ist.
Thomas Schlemmer