Rezension über:

Lynette Singer (ed.): The Minbar of Saladin. Reconstructing a Jewel of Islamic Art, London: Thames & Hudson 2008, 206 S., 213 ill., ISBN 978-0-500-23843-1, GBP 29,95
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Rezension von:
Miriam Kühn
Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Miriam Kühn: Rezension von: Lynette Singer (ed.): The Minbar of Saladin. Reconstructing a Jewel of Islamic Art, London: Thames & Hudson 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15.06.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/06/14906.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 9 (2009), Nr. 6

Lynette Singer (ed.): The Minbar of Saladin

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Lynette Singer legt mit der Begleitpublikation zu dem von ihr und André Singer produzierten Dokumentarfilm "Stairway to Heaven. Rebuilding the Minbar of Saladin" einen ansprechend gestalteten Bildband (208 Seiten mit 213 Abbildungen, davon 145 in Farbe) vor, der sich der Rekonstruktion des 1168/69 von Nur ad-Din (reg. 1146-1174 in Syrien) in Auftrag gegebenen Minbars (Kanzel) widmet. 1187 ließ Saladin den Minbar aus Aleppo in die al-Aqsa-Moschee in Jerusalem überführen. Dort wurde der aus Holz gefertigte Minbar 1969 durch einen Brandanschlag fast vollständig zerstört; nur wenige Fragmente sind heute im Museum des Haram al-Sharif erhalten.[1] Zwar entschied sich der mit der Verwaltung des Haram al-Sharif befasste König Hussein von Jordanien bereits kurz nach dem Brand, den Minbar zu rekonstruieren, aber erst 2006 konnte er, nach dreijähriger Herstellungszeit, vollendet und später in der al-Aqsa-Moschee wieder aufgebaut werden.

Während sich in der Fachliteratur eher die Bezeichnung als Minbar des Nur ad-Din durchgesetzt hat, bevorzugt Singer den für den interessierten Leser assoziationsreicheren Namen Saladins. Diese Entscheidung ist symptomatisch für die Publikation, die sich an ein breites Publikum richtet und dieses durch eine sehr leserfreundliche Gestaltung auch gewinnen, aber den Kriterien einer wissenschaftlichen Rezension kaum standhalten kann.

Das Buch stellt in sieben Kapiteln, die durch doppel- oder mehrseitige Informationsboxen zu übergreifenden Themen wie Kalligraphie, das jordanische Königshaus oder Nur ad-Din und Saladin aufgelockert werden, den Weg vom Original zur Rekonstruktion des Minbars dar. Nach zwei Vorworten von Mitgliedern (HRH the Prince of Wales, HRH Prince Ghazi bin Muhammad of Jordan) der maßgeblich die Rekonstruktion des Minbars ideell und/oder finanziell unterstützenden Königshäuser, folgt eine schlaglichtartige Einführung ("A Stairway to Heaven" [13-19]).

Im 1. Kapitel "Crossroads of Conflict: The Minbar of Saladin's Place in History" (20-47) stellt André Singer die Herstellung des Minbars in Aleppo unter Nur ad-Din, das Kunstschaffen dieser Zeit sowie die Geschichte des Konflikts zwischen Kreuzfahrern und Muslimen vor und Jerusalem als dessen Kristallisationspunkt heraus. Zusätzlich schneidet er die dem Minbar schon kurz nach seiner Herstellung zugeschriebene Symbolik als Siegeszeichen gegen die Kreuzfahrer und seine Überführung nach Jerusalem an.

Das 2. Kapitel "The Destruction of the Minbar and the Aftermath" (48-66) widmet sich der Zerstörung des Minbars, der Verurteilung des Täters und ersten Rekonstruktionsversuchen der Struktur und des Dekors des Minbars.

Im 3. Kapitel "Islamic Art: Sacred Geometry, Harmony and Balance" (67-124) werden ausführlich die Hindernisse im Vorfeld der Rekonstruktion des Minbars dargestellt. Dabei wird der Verlust der Fähigkeit, den Entwurf der Ornamente des Minbars zu reproduzieren in den Vordergrund gerückt. Ihr Entwurf und Verständnis würde außerdem mit einer spirituellen Dimension einhergehen, die diesen Ornamenten einen "sakralen" Charakter verliehen. Ergänzt wird dieses Kapitel durch einen chronologischen und regionalen Überblick über sakrale Kunst und ein ausgiebig illustriertes Unterkapitel Paul Marchants, der die "grundlegende" Geometrie in der Natur darzulegen versucht und diese als Inspiration der "traditionellen" Künste vorstellt.

Im 4. Kapitel "Rebuilding the Minbar: The Quest for Lost Knowledge and Skills" (125-143) wird von den Schwierigkeiten berichtet, Handwerker zu finden, die fähig wären, die Entwürfe umzusetzen. Für den Niedergang des "traditionellen Handwerks" werden mehrere Gründe vorgebracht und gleichzeitig auch Bemühungen vorgestellt, dieses wiederzubeleben, u.a. das Visual and Islamic Traditional Arts (VITA) Programm, seit 2004 an der Prince's School of Traditional Arts in Shoreditch, London beheimatet, dessen Konzept vom Traditional Institute of Islamic Art and Architecture der al-Balqa Applied University in al-Salt, Jordanien, übernommen wurde.

Im 5. Kapitel "The Man Who Solved the Puzzle" (144-158) wird der Ingenieur Minwer al-Meheid, der den Wettbewerb um den Entwurf des Minbars gewinnt, vorgestellt und sein Ideenfindungsprozess bis hin zum fertigen Entwurf nachgezeichnet.

Im 6. Kapitel "The Minbar Reconstructed" (159-180) wird die Umsetzung des Entwurfs des Minbars (Beschaffung des Materials, der Werkstatt, Suchen der Handwerker) am Traditional Institute of Islamic Art and Architecture in al-Salt beschrieben.

Im abschließenden 7. Kapitel "The New Blossoming of Islamic Craftsmanship" (181-189) wird die Leistung der Rekonstruktion des Minbars umfassend gewürdigt und ihre Vorbildwirkung für eine "Renaissance" der "traditionellen Künste", in Form von Schulen und Projekten, die sich der "traditionellen" Kunst und Architektur verpflichtet sehen, gefeiert.

Singers Publikation spricht durch eine grafisch sehr aufwendige und reich bebilderte Gestaltung, wie gesagt, ein breites Publikum an und erfreut auch das Fachpublikum mit einer Zusammenstellung historischer Aufnahmen des originalen Minbars, wenig bekannten Fotos der al-Aqsa-Moschee und des Minbars unmittelbar nach dem Brand sowie Fotos des Herstellungsprozesses und Nahaufnahmen der Rekonstruktion.

Weniger erfreulich ist die fachliche Qualität des begleitenden Textes, der sich mit seiner Narrative eng an die DVD-Produktion anzulehnen scheint. Die plakative, zur starken Polarisierung und Vereinfachung neigende Wiedergabe historischer Ereignisse, die Heldenerzählung um die finanziell und ideologisch involvierten Königshäuser und Minwer al-Meheid sowie die Unmittelbarkeit der Beschreibung der Ereignisse von 1969 lesen sich zwar flüssig, können aber einem Fachpublikum nicht gerecht werden.

Zum einen fehlt jeglicher wissenschaftlicher Apparat: Es gibt weder Anmerkungen noch eine Bibliografie (lediglich eine "Further Reading List", die über Überblickswerke nicht hinausgeht [195]), die eine Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit der im Text getroffenen Aussagen ermöglicht. In den Bildlegenden fehlen mehrfach Angaben wie Aufbewahrungsort, Maße, Material und zum Teil sogar die Titel der Objekte selbst.

Zum anderen ignorieren die Autoren den Forschungsstand, sei es etwa zum Minbar [2] oder zur Kulturgeschichte der Levante im 12. Jahrhundert.[3] Zur problematischen Aneignung und Wiedergabe des Konzepts einer "sakralen" Geometrie sei die Lektüre von Neçipoğlus wegweisender historischer und kontextualisierender Betrachtung islamischen Ornaments und ihre Einschätzung des im rezensierten Buch als Pionier gefeierten Keith Critchlow und seines intellektuellen Milieus empfohlen.[4]

Das zukünftige Fachpublikum kann diese Publikation als ein Zeugnis des Willens der Völker- und Religionsverständigung mittels des Vehikels eines universalistischen, entkontextualisierten Ornaments und einer vereinigenden, da global erlebten Bedrohung durch die "Moderne" sowie des globalen Verlusts der "Traditionen" lesen. Dem heutigen Fachpublikum werden weder neue Sichtweisen geboten noch an einen Fachdiskurs angeschlossen bzw. ein solcher angeregt. Schließlich fehlt jegliche kritische Auseinandersetzung mit Begriffen wie "Tradition" und den Stellungnahmen bzw. Motivationen der interviewten Persönlichkeiten.

Es ist sehr zu bedauern, eine grafisch so ansprechend gestaltete Publikation mit dem kulturpolitisch begrüßenswerten und global zu vertretenden Anliegen der Förderung "traditioneller" Handwerkstechniken an der Wissenschaft vorbei veröffentlicht und so die Möglichkeit verschenkt zu haben, einer breiten, interessierten Öffentlichkeit gleichzeitig nicht minder ansprechende fundierte historische und kunsthistorische Forschungsergebnisse zu bieten.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Museum with No Frontiers, Discover Islamic Art: http://www.museumwnf.org/database_item.php?id=object;ISL;pa;Mus01;16;en (25.03.2009).

[2] Vgl. hierzu etwa den aktuellsten Beitrag von Sylvia Auld zu diesem Minbar: The Minbar of al-Aqsa. Form and Function, in: Robert Hillenbrand (ed.): Image and Meaning in Islamic Art, London 2005, 42-60.

[3] Vgl. etwa Yasser Tabbaa: Monuments with a Message. Propagation of Jihād under Nūr al-Dīn (1146-1174), in: Vladimir P. Goss (ed.): The Meeting of Two Worlds. Cultural Exchange between East and West during the Period of the Crusades, Kalamazoo 1986, 223-240. Carole Hillenbrand: Jihad Propaganda in Syria from the Time of the First Crusade until the Death of Zengi. The Evidence of Monumental Inscriptions, In: K. Athamina / R. Heacock (eds.): The Frankish Wars and Their Influence in Palestine, Jerusalem 1994, 60-69.

[4] Gülru Neçipoğlu: The Topkapı Scroll. Geometry and Ornament in Islamic Architecture. Topkapı Palace Museum Library MS H. 1956, Santa Monica 1995, 82.

Miriam Kühn