Gisela Drossbach / Hans-Joachim Schmidt (Hgg.): Zentrum und Netzwerk. Kirchliche Kommunikation und Raumstrukturen im Mittelalter (= Scrinium Friburgense; Bd. 22), Berlin: De Gruyter 2008, 396 S., ISBN 978-3-11-019660-3, EUR 98,00
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Vorliegender Sammelband versucht in zehn Beiträgen eine Antwort auf die Frage zu geben, welche institutionellen Ordnungsstrukturen innerhalb der mittelalterlichen Kirche dafür verantwortlich waren, Einheit in der Vielfalt zu garantieren und dabei den religiösen Anspruch auf Einheit im Glauben gegen eine Vielzahl von Widerständen durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund überrascht die Wahl des Titels, ist doch die Rede von "Zentrum und Netzwerk" und eben nicht von "Zentrum und Peripherie". Diese Titelgebung macht einführende Bemerkungen grundsätzlicher Natur nötig, für die Hans-Joachim Schmidt in einem ersten Beitrag verantwortlich zeichnet (Einleitung: Zentrum und Netzwerk. Metaphern für kirchliche Organisationsformen im hohen und späten Mittelalter, 7-40). Ausgehend von der Prämisse, dass es nicht ein harmonisierendes Band (idealerweise der gemeinsame Glaube), sondern der Einsatz vielfältiger Verfahren, Einrichtungen und Rechtssätze war, der die in unterschiedlichen Räumen wirkenden kirchlichen Macht- und Interessensgruppen aneinanderband, wird auf den Zwang zum Miteinander verwiesen - ein Miteinander, das anerkannter Institutionen bedurfte. Dieses Ineinandergreifen, die sich daraus ergebenden Kooperationen, die Konfliktbewältigung innerhalb der Institutionen und damit "die räumlichen Konfigurationen des Agierens" (8) stehen im Zentrum der Betrachtungen. Der Gegensatz von Einheit und Vielfalt sollte durch die räumliche Verbindung und Gliederung aufgehoben, die Komplexität multilateraler Beziehungen durch die Ausrichtung auf ein Zentrum reduziert werden. Ausführungen zur Rolle der Kirche als Hüterin des Unveränderlichen, zur Parallelität divergenter Raumstrukturen, zu nicht-hierarchischen Beziehungsmustern und zu Gefährdungen zentralistischer Einheit bereiten den Boden für die nachfolgenden Spezialuntersuchungen, die ihr Augenmerk zumeist nur auf einen der angerissenen Problempunkte richten.
Gisela Drossbach untersucht die Entwicklung des Kirchenrechts als raumübergreifendes Kommunikationsmodell im 12. Jahrhundert (41-61) und geht dabei vor allem auf die Dekretalensammlungen aus den 70er und 80er Jahren des 12. Jahrhunderts, ihre Entstehung, Verbreitung und Überlieferung ein. Eindrücklich wird dabei demonstriert, was eine Dekretale auszeichnen musste, um Eingang in eine der großen Sammlungen zu finden. Ebenso überzeugend wird dargelegt, weshalb im Deutschen Reich keine Dekretalensammlungen entstehen konnten, wo die Kommunikation zwischen Zentrum und Netzwerk über lange Perioden hinweg unterbrochen war - mit der Folge der Abschottung des politischen Raums.
Claudia Zey widmet sich in ihrem Beitrag der Durchdringung des kirchlichen Raums mit Hilfe päpstlicher Legaten (Handlungsspielräume - Handlungsinitiativen. Aspekte der päpstlichen Legatenpolitik im 12. Jahrhundert, 63-92) und betrachtet dabei zum einen den Aufstieg dieser Legaten im Vergleich zu anderen Legatengruppen und deren Aufgabenspektrum, zum anderen die Wechselwirkung von Handlungsspielräumen und -initiativen am Beispiel der Krise des alexandrinischen Schismas. Betont wird die Dominanz der Kardinallegaten - eine Dominanz, die am Beispiel von Magister Wilhelm, seit 1158 Kardinalpriester von San Pietro in Vincoli, illustriert wird.
Eng verbunden mit der politisch-diplomatischen ist die fiskalische Durchdringung des Raums. Christiane Schuchard nimmt diese Perspektive ein (Oculus camere. Die Apostolische Kammer und ihre Kollektoren im 14. Jahrhundert, 93-125), beschränkt sich dabei jedoch auf einen Aspekt: die Kommunikation zwischen Kollektor und Kurie. Fragen danach, wie sich die Apostolische Kammer einen jeweils aktuellen Überblick über die Kollektorien und das dort amtierende Personal verschaffte, wie sie den routinemäßigen Informationsaustausch mit ihren Kollektoren organisierte, wie diese wiederum zu Werke gingen und die Kammer über ihre Tätigkeit informierten, wie schließlich die kurialen Stellen die aus den Kollektorien eingehenden Nachrichten verarbeiteten, werden insbesondere anhand der erhaltenen Kollektorenabrechnungen auf überzeugende Art und Weise beantwortet.
Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der vom Zentrum ausgehenden Vorgaben thematisiert Jens Röhrkasten in einem umfangreichen, durch die Einbeziehung einer Vielzahl ungedruckter Quellen aus den National Archives besonders wertvollen Beitrag (Die Päpste und das englische Königreich im frühen 14. Jahrhundert, 127-181). Das spannungsgeladene Verhältnis zwischen einem ausgesprochen selbstbewusst agierenden englischen König und den in Avignon residierenden Päpsten wird detailliert untersucht und dabei vor allem auf die Streitigkeiten bei der Besetzung von Bistümern eingegangen. Als herausragend darf Röhrkastens Beschreibung des Wirkens von Thomas Jorz, des einzigen englischen Kardinals in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, gelten. In England gelang eine wirkungsvolle Begrenzung des päpstlichen Einflusses: Die Schaffung eines geschlossenen, auf weltliche Herrschaft ausgerichteten Kirchensystems war von Erfolg gekrönt.
Mit Möglichkeiten und Grenzen päpstlichen Einflusses beschäftigt sich auch Stefan Weiß (Prag - Paris - Rom. Der Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas im Kontext der deutsch-französisch-päpstlichen Beziehungen, 183-246). [1] Er wählt dabei den quellengesättigten Blick auf die handlungsleitenden Motive der Hauptakteure und gelangt zu mehreren bedenkenswerten Feststellungen, die aktuelle Forschungspositionen nicht unerheblich modifizieren. So sieht Weiß beim Bruch der Kardinäle mit Urban VI. innerkuriale Gründe am Werk, an erster Stelle die reformerischen Absichten des neuen Papstes. Gleichzeitig wird der französische Einfluss auf die Kurie gegenüber bisherigen Wertungen minimiert und das Forschungsparadigma von der "drückenden Abhängigkeit des Avignoneser Papsttums von Frankreich" aufgrund defizitärer Quellenbelege ins Reich der Legende verwiesen.
Thomas Wetzstein äußert sich zur kommunikationsgeschichtlichen Bedeutung der Kirchenversammlungen des hohen Mittelalters (247-297), Birgit Studt zu Reformverbänden und Reformzirkeln in der politischen Kommunikation von Kirche und Reich im Spätmittelalter (299-328), Felicitas Schmieder zu den Päpsten und den Ungläubigen außerhalb der Christianitas (329-357) und Wojciech Iwanczak zum Problem des Antagonismus von Katholiken und Hussiten in Böhmen (359-378) - alle greifen damit Aspekte aus der Einleitung auf und beleuchten Erfolg und Misserfolg der kommunikativen bzw. realen Beherrschung kirchlicher Räume.
Dass in einem solchen Sammelband ein Thema nicht in all seinen Schattierungen behandelt werden kann, liegt auf der Hand - auch wenn die Einleitung in dieser Hinsicht mittels eines üppigen Fragenkatalogs mehr verspricht als dann tatsächlich eingelöst wird. Das Fehlen eines Aspekts, der mit dem Begriff "Plurizentralität" nur unscharf umrissen werden kann, macht sich jedoch besonders schmerzlich bemerkbar. Hier wäre ein Blick auf die großen Ordensverbände außerordentlich hilfreich gewesen, die sich eben nicht einem bereits bestehenden, von einem Zentrum ausgehenden und von diesem dominierten Raumgefüge unterordneten, sondern komplexe Parallelstrukturen entwarfen und damit autonom - und erfolgreich - operierten. Künftige Forschungen werden diesen Gesichtspunkt weiter berücksichtigen müssen.
Anmerkung:
[1] Hierbei handelt es sich um den zweiten Teil einer umfangreicheren Studie, vgl. zum ersten Teil Stefan Weiß: Onkel und Neffe. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich unter Kaiser Karl IV. und König Karl V. und der Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas. Eine Studie über mittelalterliche Außenpolitik, in: Regnum et Imperium. Die französisch-deutschen Beziehungen im 14. und 15. Jahrhundert. Les relations franco-allemandes au XIVe et au XVe siècle, hg. von Stefan Weiß, München 2008, 101-164.
Ralf Lützelschwab