Kent Emery, Jr. / William J. Courtenay / Stephen M. Metzger (eds.): Philosophy and Theology in the "Studia" of the Religious Orders and at Papal and Royal Courts (= Recontres de Philosophie Médiéval; 15), Turnhout: Brepols 2012, XIX + 765 S., ISBN 978-2-503-54326-0, 70,00
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Die Société Internationale pour l'Étude de la Philosophie Médiévale (SIEPM) hat in den mehr als 50 Jahren ihres Bestehens entscheidend dazu beigetragen, die Philosophie und Theologie des Mittelalters vom (durchaus exklusiven) Ruch der Arkanwissenschaften zu befreien, Forschungsergebnisse einer breiteren akademischen Öffentlichkeit zu präsentieren und damit auf deren Relevanz auch für andere Fächer hinzuweisen. Beschäftigte man sich zunächst vornehmlich mit Fragen der Verbreitung des corpus aristotelicum im lateinischen Westen, mit der Entstehung der Universitäten, ihrer internen Struktur, mit der Entwicklung der Ausbildungsgänge und der Ausbreitung der scholastischen Methode, ist seit einigen Jahren eine Akzentverschiebung festzustellen: ins Blickfeld rücken nun auch Stätten intellektueller Ausbildung außerhalb der Universitäten, vor allem die Schulen bzw. studia der (Bettel-)Orden, aber auch die intellektuellen Aktivitäten am Papsthof (und in geringerem Maße an den Königshöfen) finden zunehmend Beachtung.
Der vorliegende Band dient dazu, den status quaestionis abzubilden. In fünf Sektionen gegliedert (I. The Dominicans; II. The Franciscans; III. The Augustinians and the Carmelites; IV. The Benedictines and the Cistercians; V. The Friars, Philosophy and Theology at Papal and Royal Courts), dokumentiert er insgesamt 26 Vorträge, die auf dem 15. Kolloquium der SIEPM vom 8.-10. Oktober 2008 an der University of Notre Dame gehalten wurden. Wenig überraschend sind es die Dominikaner, Vertreter des intellektuell wohl nach wie vor beweglichsten Ordens im späteren Mittelalter, die im Fokus rund eines Drittels der Beiträge stehen. Alfonso Maierù behandelt in seinem Aufsatz (Dominican studia in Spain, 3-31) institutionelle Aspekte der dominikanischen studia, richtet den Blick zunächst auf die vorbereitenden Schulen, in denen durch profunden Unterricht in Grammatik, Logik und Philosophie die Grundlagen für ein zukünftiges Theologiestudium gelegt wurden, setzt sich dann mit der Frage des Arabisch- und Hebräischunterrichts auseinander, um sich abschließend Struktur und Umfang der theologischen Studien zu widmen. Wie in vielen weiteren Beiträgen auch, schließt der Artikel mit einer kleineren kritischen Edition, in diesem Fall den Ordinationes des Generalmagisters Hugues de Vaucemin (1333-1341) über die Neuordnung des Studiensystems in der spanischen Ordensprovinz.
Joseph Göring beschäftigt sich mit der zentralen Rolle, die die Sentenzen des Petrus Lombardus und das Decretum Gratiani in der Ausbildung der englischen Dominikaner spielten (What the friars really learned at Oxford and Cambridge, 33-47). Der Primat von Theologie und Recht in den studia generalia wird vor dem Hintergrund zweier in England im 13. Jahrhundert entstandener Summen, der Summa iuniorum des Simon de Hinton und dem anonymen Speculum iuniorum erläutert. Göring regt an, beide Werke als propädeutische Einführungen zu lesen, dazu bestimmt, den Studenten Gründe für das Studium von Petrus Lombardus und Gratian zu liefern.
Mit der Situation in England setzt sich auch der Beitrag von Hester Goodenough Gelber auseinander (Blackfriars London. The late medieval Studium, 165-180). Im Zentrum stehen dabei freilich nicht die studia generalia in Oxford bzw. Cambridge, sondern das Provinzstudium im Londoner Konvent, der zu Recht als "center of power for the Order in England" (165) charakterisiert wird. Behandelt wird das Verhältnis der im Londoner Konvent lebenden, studierenden und unterrichtenden Brüder zur englischen Monarchie. Die Bedeutung des Konvents spiegelt sich in den akademischen Abschlüssen des Lehrpersonals wider: die Lektoren verfügten - völlig unüblich für eine Ausbildungsstätte diesen Rangs - über in Oxford und Cambridge erworbene Doktorgrade, so z. B. Peter Kennington, Nicholas Trevet, Thomas Hopeman, evtl. auch Robert Holcot, und reflektierten in vielen ihrer Schriften Auffassungen von idealer Königsherrschaft und den damit verbundenen Verpflichtungen.
Neslihan Senocak tritt vehement für eine Neubewertung des franziskanischen Studiensystems ein, das sie unabhängig von dominikanischen Mustern behandelt wissen möchte (The Franciscan Studium Generale. A new interpretation, 221-236). Nach einem Überblick über die Entwicklung der ordenseigenen studia generalia werden Kriterien formuliert, mit denen eine Unterscheidung von studia generalia und anderen franziskanischen Studienhäusern, an denen ebenfalls Theologie gelehrt wurde, möglich wird. Äußerst wichtig ist die Feststellung, dass es im Pariser Generalstudium neben den zukünftigen Lektoren, Bakkalaurei und Magistern noch eine weitere Studentengruppe gab: sie bestand aus bereits fertig ausgebildeten Lektoren, die - vom Generalkapitel entsandt - während zweier Jahre ihre theologischen Kenntnisse vertieften und danach als principalis lector in ihre jeweiligen studia zurückkehrten.
Wegweisend ist auch der Beitrag von Sylvain Piron, in dem überzeugend dargelegt wird, wie wichtig der Blick auf die weniger prominenten Ausbildungsstätten (beispielsweise Toulouse) ist, deren intellektuelles Leben sich ähnlich reich und innovativ wie dasjenige in Paris oder Oxford präsentieren konnte (Les Studia franciscains de Provence et d'Aquitaine (1275-1335), 303-358). Die von Piron zusammengestellte Liste mit den Namen der in Südfrankreich tätigen franziskanischen Lektoren spricht in dieser Hinsicht Bände.
Jeweils nur zwei Beiträge werden den beiden "kleinen" Bettelorden der Augustinereremiten und Karmeliter gewidmet, was insofern zu bedauern ist, als beide Orden enorme theologische Innovationskraft - zumeist im Pariser universitären Kontext - unter Beweis stellten. Stephen Brown geht der frühen karmelitischen Präsenz an der Pariser Universität nach (The early carmelite Parisian masters, 479-491) und untersucht die philosophischen und theologischen Positionen der ersten Magister wie Gerhard von Bologna oder Guido Terreni. Wen nahmen sie sich zum Vorbild, welcher Tradition folgten sie? Deutlich erkennbar ist der Einfluss Heinrichs von Gent, allerdings nicht so sehr auf dem Gebiet der Lehrinhalte, sondern eher auf dem der Fragestellungen und Gliederungen. Karmeliter scheinen eher unabhängig agiert zu haben, gehörten jedenfalls keiner der von den anderen Bettelorden repräsentierten Schulrichtungen an. Die Magister zeigten sich mit den neuesten Strömungen in Theologie und Philosophie vertraut und repräsentierten selbst "the highest levels of intellectual debate" (491).
Die Zisterzienser fielen - zumal im späteren Mittelalter - theologisch zwar etwas hinter die "neuen" Bettelorden zurück, in Paris verfügte man mit dem Studienhaus Sancti Bernardi jedoch über eine Ausbildungsstätte von Format, die aufgrund ihrer reichen Bibliotheksbestände nicht nur Studenten aus dem Orden selbst, sondern auch weltliche Magister in großer Zahl anlockte. Man hatte dort die Möglichkeit, insbesondere auf neueste Literatur englischer Provenienz zurückzugreifen. Darauf macht zu Recht Amos Corbini in seinem Beitrag aufmerksam (Pierre de Ceffons et l'instruction dans l'Ordre cistercien. Quelques remarques, 549-574), der mit einer bemerkenswerten Predigtedition schließt (Petrus de Ceffona, Sermo finalis).
Der angekündigte Blick auf das intellektuelle Umfeld am Papsthof und an weiteren Königshöfen fällt ausgesprochen einseitig aus und favorisiert klar das Phänomen "Avignon".
Schade, dass sich die Bedeutung Avignons allein an der Person Johannes' XXII. festmacht, so als hätte es Benedikt XII. oder Clemens VI., deren intellektuelle Statur diejenige des Cahors-Papstes bei weitem überragte, nicht gegeben. Denn deutlich wird, dass die Vertreter der Bettelorden, ob als Magister Sacri Palatii (Michèle Mulchahey: The Dominican Studium Romanae Curiae. The Papacy, the Magisterium and the Friars, 577-599), als Unterrichtende an den Ordensstudia in Avignon oder als vom Papst beauftragte theologische Experten (Patrick Nold: How influential was Giovanni di Napoli, OP, at the Papal Court in Avignon?, 629-675) kontinuierlich in Kommissionstätigkeiten eingebunden waren - und dies eben nicht nur unter Johannes XXII.
Diesen Aspekt gilt es zukünftig ebenso zu vertiefen wie die Frage, in wie weit das kanonische Recht ein wichtiger Bestandteil der theologischen Ausbildung war. Auch der Bedeutung der im vorliegenden Band nicht erwähnten Orden bzw. den Kanonikergemeinschaften von Val-des-Ecoliers, Mont-St-Éloi oder natürlich Saint-Victor sollte weiter nachgegangen werden.
Das zentrale Anliegen des Bandes - die Abbildung des status quaestionis - wurde verwirklicht. Mal stärker, mal schwächer konturiert treten die Spezifika ordenseigener Ausbildungssysteme klar zu Tage und illustrieren das Bemühen um eine nicht nur angemessene, sondern profunde philosophisch-theologische Ausbildung.
Weitere - hoffentlich ähnlich sorgfältig lektorierte - Bände sollten zukünftig dazu beitragen, die formulierten Forschungsdesiderate aufzuarbeiten.
Ralf Lützelschwab