Najem Wali: Reise in das Herz des Feindes. Ein Iraker in Israel. Übersetzt von Imke Ahlf-Wien, München: Carl Hanser Verlag 2009, 240 S., ISBN 978-3-446-23302-7, EUR 17,90
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Einen schöneren und gehaltvolleren Konferenzbericht als dieses Buch über eine Reise zweier Iraker nach Israel kann man sich kaum vorstellen. Im Kern geht es nur um eine Woche Najem Walis und seiner Frau Inam in der Hafenstadt Haifa. An der dortigen Universität haben sie im Frühjahr 2007 an der Tagung "Quo vadis, Irak?" teilgenommen.
Von dort aus erkundeten sie das für die meisten Araber nicht nur unbekannte, sondern verbotene "Land des Feindes". Kunstvoll und mit reichlich historischem Wissen fügt Wali ein Mosaik seiner tiefen Einblicke zur spannenden Lektüre zusammen. Ob dessen autobiographische Reflektionen typisch für eine Generation der ein Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Iraker sind? Da das Land in Mesopotamien seit 1958 eine Militärdiktatur nach der anderen erlebte und erst 50 Jahre später nach dem amerikanisch geführten Krieg und der Befriedung offen ist, wächst Walis Ansichten eine Hauptrolle zu.
Er ist ein meisterlicher Erzähler. In Fachkreisen bekannt durch seine beiden Romane "Die Reise nach Tell al-Lahm" (Hanser 2004) und "Jussifs Gesichter" (Hanser 2004) sowie durch seine Beiträge im arabischen Blatt "Al-Hayat", nennt er sich Schunnit, gebildet aus Schiit und Sunnit. Offenkundig wird auch, dass er seit den 70er Jahren eine Phase erlebte, in der ihm Marx näher als Muhammad stand. Inzwischen kann er auch dies recht kritisch sehen wie auch linke Literaten um Taufiq Ziad, Mahmud Darwish und Samih al-Qasim.
Wie andere Bagdader Studenten konnte er die Reime dieser "Dichter des Widerstandes" auswendig. Heute erkennt er darin wenig Poesie und mehr politisches Getue, wobei er in Taufiq Ziad eine Ausnahme sieht. Dieser arabische Christ sei auch der Vorsitzende des Stadtrates von Nazareth bis zu seinem Unfalltod gewesen. Er gilt Wali als Vorbild, der nicht wie die "Clique um Yasir Arafat" (127) ein Geschäft machte, ein Palästinenser zu sein. Er rechnet auch mit Islamisten ab, die am Eingang Nazareths begannen, eine riesige Moschee zu bauen: ihr Minarett überrage die Kirche, empört sich Wali. Es war so, als ob sie das Feuer auf die Stadt eröffnet hätten, wo eine Einwohnerhälfte noch Christen sind.
In dieser Art bricht Wali so manche Tabus: allein schon diese Reise nach Israel und nicht wie noch üblich die Juden und Israelis zu verteufeln. Sondern er stellt sie als Menschen mit Licht und Schatten vor. Wer muss da nicht an die Ägypter denken, denen vor drei Jahrzehnten ähnliches widerfuhr. Denn Präsident Anwar as-Sadat ging nach Jerusalem und hieß offiziell den Staat Israel in der Region willkommen. Vor der Knesseth warb er um Frieden. Urplötzlich gewann der sonst immer so abstrakte Feind aus der Propaganda ein Gesicht. Golda Meir und Moshe Dayan reichten as-Sadat die Hand. Und Millionen Ägypter klebten an den Bildschirmen und vermochten ihren Augen nicht zu trauen. Dann traten noch ihre Literaten wie Najib Machfuz auf. Dieser betonte, die Völker in Nahost hätten doch in Jahrhunderten weniger und kurz gestritten, dafür aber viel länger recht gut kooperiert. Wieso werde der Zwist heute noch höher eingeschätzt als die fruchtbare Zeit? Wie ein Motiv stellt Wali die fragende Aussage des großen Meisters seinem Buch voran. [1]
Najim Wali findet weitere Antworten im al-Kiyan as-Sihyuni oder zionistischen Gebilde, wie Israel noch in vielen arabischen Medien verketzert wird. Was er dort entdeckt ist nicht mehr und nicht weniger als eine junge Demokratie. Er nennt sie Integrationsfabrik: wehrhaft, bunt und attraktiv. Vor allem wenn man sie mit ihrem tribalen Umfeld bei den Nachbarn vergleicht. Aus deren Stammesmentalität folgt eine Asabiyya genannte Fessel, in der Araber verstrickt sind. Für sie, sagt Wali, ist der Staat eine Art Superstamm, dem man treu bleibt. Bändeln mit dem Stammesfeind in Israel sei Hochverrat und werde also bestraft. Ja, wenn Araber das vom engen Blutband befreite Konzept des Bürgers erleben und annehmen würden, wäre ihnen eine (selbst-)kritische Position möglich, wie sie Wali persönlich vorlebt. Hierin liegt eine besondere Attraktivität seines souveränen Denkens.
Nicht nur Ägyptens Frieden mit Israel hielt zwar, blieb aber kalt. Warum, fragt er, haben sogar jene arabischen Länder, die wie Ägypten und Jordanien einen Friedensvertrag mit Israel haben, solche Angst, dass ihre Leute den jüdischen Staat besuchen? Tja, der Kaiser hätte dann keine Kleider an. Deutsche erlebten dies nach dem Mauerfall: der Feind war plötzlich Vater und Bruder, Mutter oder Schwester, die für ihre Kinder das Beste wollten.
Wali meint, Stillstand und Verfall der arabischen Gesellschaften hänge lediglich in einer Hinsicht mit Israel zusammen. Der Frieden mit dem jüdischen Staat wäre nämlich das Ende des Opiumrausches, durch den die Herrscher ihre Völker betäuben. Die tiefe Krise, das flache Bildungsniveau und der Flächenbrand des Islamismus folgten aus dem Mangel an Demokratie, tiefer Korruption und blöder Prunksucht. Die Mittelschicht löse sich auf. Tüchtige und Gebildete wandern aus. So ging es ihm, der seit 1980 in Deutschland lebt. Erst 13 Jahre später besuchte er sein zu Hause. Bricht er zu früh den Stab über Amerikas Anlauf zur Demokratie in Irak? Übrigens war Alexej G. Stachanow kein Titel (71). Er wurde 1935 sowjetischer "Held der Arbeit" und Idol der freiwilligen Normübererfüllung.
Zurück zu Wali. Er legt viele Stories aus jungen Staaten in alten Kulturen dar. In Amara, Provinz Basra, im Südostirak nahe Iran, kam er vor dem Sueskrieg zur Welt. Israel war damals jung und noch gab es Juden in Arabien. Wali lebte mit ihnen, widmet dieses Buch gar seinem jüdischen Familienarzt Dawud Gabbay. Sie, aus der ältesten Gemeinde von Juden, wurden 1951 aus Irak verdrängt. Einen ihrer letzten hängte man 1970 als "Spion" auf. Walis Großvater, der Palmenzüchter, kommentierte dies so: "Der Irak ist zerstört, seit die Juden fort sind." Und dies geschah überall in Nahost, von Marokko abgesehen.
Wali zufolge, der ab Mitte 1978 zwei Jahre in der irakischen Armee gedient hatte, wächst der wahre Frieden an den Grasswurzeln und weniger von oben. Dies erfordert Mut im Alltag zum persönlichen Treffen. Zu so einem Schritt nach Israel, halt gegen das Drohen der Diktatoren und ihrer Helfer, die alle verfolgen, um an der Macht zu bleiben. Ihnen trotzte auch Bagdads Parlamentarier Mithal al-Alusi mehrfach: ungeachtet einer Anklage fuhr er 2008 zum zweiten Male zu einem (Anti-Terror-) Seminar nach Israel. Da nahmen ihm seine Kollegen die Immunität ab, um ihn erneut für dieses "Verbrechen" anzuklagen.
Dem gebot nicht nur das Oberste Gericht Iraks unter Midhat al-Mahmud Einhalt, denn die Wegnahme der Immunität sei verfassungswidrig (aber die Gesetze von Anfang der 1950er Jahre und 1969, die eine Reise nach Israel mit dem Todesurteil ahnden, gibt es noch). Zudem schlugen sich 400 Intellektuelle im offenen Brief des Blattes "Al-Umma al-Iraqiyya" auf Mithal al-Alusis Seite. Was uns hierbei und durch Walis Bericht aus Israel freier atmen lässt, gilt den Extremisten überall als ein gefährliches Beispiel. Darum sollte man Menschen wie Najem Wali auch in Europa recht gut behüten - als das was sie sind: weitere, wenn auch gefährdete Schwalben am jungen nahöstlichen Friedenshimmel.
Anmerkung:
[1] Zum Werk von Nagib Machfuz siehe auch: http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/2009_02_03/Doris%20Kilias%20Abschied.pdf (PDF-DOKUMENT).
Wolfgang G. Schwanitz