Manfred Komorowski / Hanspeter Marti (Hgg.): Die Universität Königsberg in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, x + 467 S., ISBN 978-3-412-20171-5, EUR 54,90
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Der vorliegende Sammelband fasst die Vorträge einer Tagung zusammen, die im Sommer 2006 in Engi (Schweiz) stattgefunden hat. Drei Gründe trugen dazu bei, gerade einen schweizerischen Ort zur Begegnungsstätte für eine Beschäftigung mit der 1544 gegründeten Universität im preußischen Königsberg zu machen. Zum einen war Basel für ein Jahrhundert nach der Gründung der Universität ein beliebter Promotionsort Königsberger Studenten, denn in Königsberg selbst fanden, trotz eines königlich-polnischen Privilegs von 1560, die ersten Promotionen an den höheren Fakultäten erst 1640 statt. Der zweite Grund ist eine Reisebeschreibung des an der Berliner Akademie der Wissenschaften tätigen Schweizers Johann III. Bernoulli (1744-1807), der unter anderem ein Bild des kulturellen Lebens in Königsberg gezeichnet hat. Und sicherlich hat dazu drittens die von der Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschungen in Engi eingerichtete Internet-Datenbank beigetragen, die sich auch mit der Erfassung und Erschließung von Königsberger Universitätsschriften befasst. Trotz massiver Kriegszerstörung Königsbergs gelang es mittlerweile, ca. 4000 Titel aus der Zeit vor 1800 nachzuweisen, deren Standorte heute naturgemäß über viele Länder verteilt sind. Gerade dieser letzte Aspekt macht auf die großen Probleme aufmerksam, mit denen sich die Erforschung der Königsberger Universitätsgeschichte - und dies nicht nur der Frühen Neuzeit - konfrontiert sieht.
In seinem einleitenden Aufsatz über Stand und Perspektiven der Forschung gibt Manfred Komorowski daher auch wichtige Hilfestellungen zur aktuellen archivischen Überlieferungssituation. So verweist er auf Archivalien und Universitätsschriften im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu Berlin, im Archivum Panstwówe in Olsztyn / Allenstein und in der litauischen Hauptstadt Vilnius, dort vor allem in der Akademiebibliothek; nur wenig ist in Kaliningrad / Königsberg selbst überliefert. Die Bedeutung einer Beschäftigung mit der Universitätsgeschichte Königsbergs wird schon durch den Hinweis auf die Untersuchung Franz Eulenburgs von 1904 (Nachdruck 1994) zur Jahresfrequenz an den deutschen Universitäten deutlich: In den Jahren zwischen 1544 und 1790 nahm Königsberg den 14. (1540-1620), den 5. (1620-1700) und den 7. Platz (1700-1790) unter den deutschen Hochschulen ein. Die noch 1944 erschienene "Geschichte der Albertus-Universität zu Königsberg in Preußen" von Götz von Selle bot zwar einen quellengestützten Überblick, war aber in der Folge durch die antisemitischen und antidemokratischen Äußerungen stark diskreditiert. Nach 1945 erschwerte der fehlende Zugang zu den Quellen zunächst die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Albertina; erst die Vorträge zum 450-jährigen Jubiläum 1994 leiteten die entscheidende Wende ein. Auf das reiche, weitgehend noch unbearbeitete Forschungsfeld der Königsberger Universitätsgeschichte aufmerksam zu machen, möchte somit auch der vorliegende Tagungsband leisten.
Die Aufsätze bieten allesamt erste Einblicke in ganz unterschiedliche Themenfelder; gemeinsam ist ihnen ein ideengeschichtlicher Zugriff, der sich vor allem mit Themen der Personen- und Institutionengeschichte befasst. Darüber hinaus bieten die Beiträge - vielfach en passant - Anschlüsse an kulturgeschichtliche (Stephan Jaster), unterrichtsgeschichtliche (Lothar Mundt), rhetorikgeschichtliche (Wilhelm Kühlmann, Robert Seidel), baugeschichtliche (Christofer Hermann) und bibliotheksgeschichtliche Themen (Axel E. Walter). Aber auch erste Schritte einer Grundlagenarbeit zur Geschichte von Fachdisziplinen wie Geschichte, Literaturgeschichte und Medizin werden vorgestellt (Bernhart Jähnig, Klaus Garber, Anette Syndikus, Richard Toellner). Spezialstudien finden sich zu Königsberg als Zentrum des Aristotelismus (Riccardo Pozzo), zum Synkretismus (Reimund B. Sdzuj) und zur Konversion des lutherischen Theologieprofessors Johann Philipp Pfeiffer (1645-1695) zum Katholizismus (Dietrich Blaufuß). Zudem legen Sdzuj und Blaufuß eine Edition der "Relatio wegen D. Pfeiffers", verfasst von Samuel Pufendorf, Philipp Jakob Spener und Franz Julius Lütken, vor, die in Berlin verwahrt wird. Die Aufsätze geben bereits selbst zahlreiche Hinweise auf weiterführende Forschungsanschlüsse; ergänzend dazu führt Manfred Komorowski in seiner Einleitung ein weites Feld an Desideraten an. Es reicht von Anregungen zu Forschungen zur Professorenschaft (bio-bibliographisches Professorenlexikon, das auch die Magistri legentes sowie die Sprach-, Fecht- und Tanzmeister umfasst) und zu den Studenten, zur Erforschung der Geschichte der einzelnen Fakultäten, ihrer Lehrtätigkeit, ihrer Lehrpläne und ihrer Lektionskataloge. Aber auch zur sozialen Identität der Professoren, zum studentischen Alltagsleben, zum Verhältnis von Universität und Stadt sowie zum Stipendienwesen.
Ganz in diesem Sinne ist der Sammelband eine einzige Anregung und Einladung, sich mit den vielfältigen Aspekten der Königsberger Universitätsgeschichte zu befassen. Dabei liegen internationale Forschungskooperationen nahe, wie der abschließende Beitrag von Nadežda Ermakova deutlich macht. Erste Antworten, wie ertragreich solche Forschungen sein können, präsentiert der vorliegende Band.
Sabine Holtz