Mariella Ourghi: Schiitischer Messianismus und Mahdī-Glaube in der Neuzeit (= Mitteilungen zur Sozial- und Kulturgeschichte der islamischen Welt; Bd. 26), Würzburg: Ergon 2008, 310 S., ISBN 978-3-89913-659-3, EUR 42,00
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Die Islamwissenschaftlerin Mariella Ourghi befasst sich in ihrem Werk mit der Rolle des schiitischen Messianismus und des Mahdī-Glaubens in der Gegenwart. Die Aktualität ihrer Studie bringt sie gleich zu Beginn der informativen Arbeit zur Geltung, indem sie anhand dreier Ereignisse den politischen Aspekt des messianischen Gedankens skizziert.
Ziel von Mariella Ourghi ist es, den Einfluss der westlichen Moderne auf die Mahdī- Vorstellung zu untersuchen. Einerseits geht sie dabei auf die Auswirkungen der Iranischen Revolution von 1979 auf das Mahdī-Bild ein. Andererseits stellt sie die Frage, inwiefern die aktuellen Konflikte als Vorzeichen für den kommenden Mahdī gesehen werden und die Hoffnung auf sein Erscheinen stärken. Schließlich erläutert die Verfasserin die schiitischen Erlöservorstellungen im Kontext der Weltreligionen.
Das Werk von Ourghi baut den bestehenden Forschungsstand zur 12er-Schia aus. Es ergänzt Studien, die seit dem 19. Jahrhundert zur Glaubenslehre verfasst wurden, und Arbeiten, die sich mit den iranischen Intellektuellen seit 1979 befassen. Das entscheidend Neue ist der Gegenwartsbezug sowie die Einbeziehung aktueller politischer Mahdī-Ideen auch bei Sunniten.
Nach einem einleitenden Kapitel geht Mariella Ourghi im zweiten Teil auf die Elemente der Mahdī-Vorstellung im schiitischen Islam ein. Sie stellt dessen Textgrundlagen und Kernthemen vor. Anschließend liefert sie im dritten Kapitel Beispiele für historische Mahdī-Bewegungen und deren Wirkung auf politischer Ebene. Nach dieser religiös-historischen Kontextualisierung wechselt Ourghi in die Moderne. Insbesondere stellt sie den Einfluss europäischen Gedankenguts auf die schiitische Lehre dar. Die Umsetzung bei schiitisch-iranischen Denkern des 20. Jahrhunderts und die als Ergebnis entstandene fundamentalistische schiitische Ideologie sind Thema des fünften Kapitels. Dabei geht die Autorin mit den Denkern Mehdī Bāzargān, 'Alī Šarī'atī und Abū l-Ḥasan Banī Ṣadr zunächst auf die religiösen Sozialevolutionäre ein, bevor mit āyatollāh Ḫomeinī die klerikale Seite folgt.
Das siebte Kapitel bildet den wichtigsten Teil der Arbeit von Ourghi und analysiert drei Aspekte der gegenwärtigen Mahdī-Vorstellungen. Zunächst hinterfragt sie die Motive von Autoren, die sich gegenwärtig mit Studien zum Mahdīsmus befassen. Anschließend präsentiert sie die Textgrundlagen, wobei sie insgesamt acht verschiedene Quellen herausarbeiten kann. Von diesem sind vier im schiitisch-sunnitischen Islam zu verorten, die übrigen setzen sich aus anderen religiösen Schriften, westlicher Philosophie und naturwissenschaftlichem Gedankengut zusammen. Zuletzt präsentiert Ourghi dem Leser einzelne Themen des Mahdīsmus, wobei der Gedanke der Langlebigkeit des Mahdī im Zentrum steht. In den beiden letzten Kapiteln geht Ourghi auf Begegnungen mit dem Mahdī in Visionen und Träumen sowie auf die Darstellung der Mahdī-Erwartung im Muḥarram-Ritus ein.
Als Ergebnis ihrer Forschungen sieht Ourghi den Endzeitgedanken als wirkungsvolle Methode zur Kritik der gegenwärtigen Gesellschaft an. Die geforderte aktive Mitwirkung der Menschen zum Erscheinen des Mahdī charakterisiert sie dabei als postmillenarisches Denken. In der starken Betonung der "Langlebigkeitsproblematik" erkennt die Autorin die Bereitschaft schiitischer Denker, westliche Wissenschaft in den Dienst der Religion zu stellen. Schließlich sieht Mariella Ourghi zwei Hauptbotschaften in der aktuellen Mahdī-Thematik: Zum einen ihre Nutzung zur Sinnstiftung und Beruhigung angesichts herrschender Probleme innerhalb der islamischen (iranischen) Gemeinschaft, zum anderen als Symbol für die Ohnmacht des Islam gegenüber der westlichen Dominanz.
Die Arbeit ist insgesamt gut lesbar und verständlich verfasst, dies insbesondere durch geeignete Zitate von Quellentexten und Bezug zur Gegenwart. Allerdings wirkt die häufige Benutzung von Aufzählungen teilweise störend auf den Lesefluss, wenn sie kurz hintereinander erfolgen. Eine Zusammenlegung von Kapitel drei und vier zu einem Hintergrundkapitel wäre sinnvoll gewesen, da die Trennung dieser insgesamt nur gut zwanzig Seiten umfassenden Abschnitte das Werk zerstückelt.
Das Werk von Ourghi ist für jeden Leser von großem Interesse, der sich mit dem gegenwärtigen schiitischen Messianismus auseinandersetzen möchte. Empfehlenswert ist es insbesondere, weil es auf die Wirkung des Mahdīsmus auf den Fundamentalismus eingeht.
Tonia Schüller