James L. Gelvin : The Arab Uprisings. What Everyone Needs to Know, Oxford: Oxford University Press 2012, XIV + 185 S., ISBN 978-0-19-989177-1, GBP 10,99
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Tom Reiss: Der Orientalist. Auf den Spuren von Essad Bey. Übersetzt von Jutta Bretthauer, Berlin: Osburg Verlag 2008
Andreas Gorzewski: Das Alevitentum in seinen divergierenden Verhältnisbestimmungen zum Islam, Schenefeld: EB-Verlag 2010
Bernard Lewis / Buntzie Ellis Churchill: Islam. The Religion And The People, Upper Saddle River: Wharton School Publishing 2008
Rüdiger Lohlker: Dschihadismus. Materialien, Stuttgart: UTB 2009
Hafiz Boboyorov: Collective Identities and Patronage Networks in Southern Tajikistan, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2013
Christine Millimono: La secte des assassins XIe - XIIIe siècle. Des "martyrs" islamiques à l'époque des croisades, Paris: L'Harmattan 2009
Mariz Tadros: The Muslim Brotherhood in Contemporary Egypt. Democracy Redefined or Confined, London / New York: Routledge 2012
Rob Johnson: Pulverfass am Hindukusch. Dschihad, Erdöl und die Großmächte Zentralasiens, Stuttgart: Theiss 2008
Das Werk The Arab Uprisings - what everyone needs to know von James L. Gelvin richtet sich an die breite Bevölkerung. Ziel des Professors für Geschichte des Nahen Ostens an der UCLA ist es, die Ereignisse des Jahres 2011 allgemein verständlich darzustellen und deren Hintergründe zu analysieren.
Um diesem Ziel gerecht zu werden, gliedert der Verf. sein Werk in sechs Abschnitte, wobei Kapitel eins und sechs Einleitung und Fazit darstellen. Methodisch geht Gelvin einerseits chronologisch - beginnend mit den Revolutionen in Tunesien und Ägypten - vor. Andererseits unterteilt er seine Studie zudem nach Ländern mit Ähnlichkeiten in der Struktur, z.B. Stammeswesen. Darauf aufbauend analysiert er Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Ländergruppen sowohl im Hinblick auf die Hintergründe des Umbruchs als auch auf den Revolutionsverlauf und mögliche Zukunftsperspektiven.
Bevor Gelvin auf einzelne Länderbeispiele eingeht, befasst sich das erste Kapitel "Revolutionary World" (1-34) mit der Definition der arabischen Welt. Hier hinterfragt der Autor die Homogenität der "Araber" angesichts der zahlreichen muslimischen Gruppen und der vielen arabischen Christen. Durch das Herausarbeiten gemeinsamer Identifikationsfaktoren wie Geschichte und Schulsysteme kommt Gelvin letztlich zu einer Unterscheidung zwischen arabischer Identität und arabischem Nationalismus. Aufbauend auf den Arab Human Development Reports folgt ein Überblick über die politische, wirtschaftliche und soziale Lage in den Ländern der arabischen Welt ab 2000. Gelvin konzentriert sich insbesondere auf die Gründe für den Autoritarismus, die Kontrolle über Ressourcen, die amerikanische Außenpolitik seit dem 11. September und das vielfach vorherrschende Rentiersystem. Als einen weiteren länderübergreifenden Faktor als Basis für den arabischen Frühling weist der Autor auf die Diskrepanz zwischen den ursächlichen Zielen bei Gründung der arabischen Staaten und deren späterer Verleugnung durch Regierungen hin. Als zwei zentrale Ursachen für den arabischen Frühling nennt das Werk zudem die Demografie kombiniert mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit (60-80%) sowie die Krise bei der Versorgung mit Grundnahrungsmittel. Abschließend stellt Gelvin drei Kernfragen als Basis für die folgenden Analysen der Länderbeispiele: 1. Welche Gründe führten zu Protesten auf der Straße? 2. Wie entstanden aus dem Fall Bouazizi die Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten? Und 3. Inwiefern lassen sich die Ereignisse 2011 im Nahen Osten als "Protestwelle" bezeichnen?
"The Beginning - Tunisia and Egypt" (34-67) verdeutlicht zunächst die Gemeinsamkeiten von Tunesien und Ägypten und betont dabei die starke Verankerung der Autokratie in beiden Staaten. Als weitere Übereinstimmung identifiziert der Autor die verbreitete Korruption sowie die Kontrolle des Volkes durch den Sicherheitsapparat und den gleichzeitigen Mangel an politischen Parteien - gemessen an der westeuropäischen Definition dieser Einrichtung. Im Folgenden vergleicht Gelvin den Verlauf des Revolutionsbeginns in Ägypten und Tunesien. Dabei weist der Autor in einem historischen Rückblick auf die Lehre der Ägypter aus früheren Protesten hin und analysiert die Namensgebung der ägyptischen Gruppen. Über die Rolle der sozialen Medien wie Facebook/Twitter in Tunesien und Ägypten folgt die Darstellung der einzelnen Protestgruppen kombiniert mit der Frage, warum so unterschiedliche Gruppen wie die Muslimbruderschaft und der "Jugendbewegung 6. April" zusammenarbeiten konnten. Gelvin weist dabei auf den friedlichen Widerstand hin und betont die Hilfe der serbischen Widerstandsorganisation Otpor. Zwei weitere Aspekte, die Gelvin herausstellt, sind Arbeit - auch aus historischer Perspektive - und der Islam mit Schwerpunkt auf Ennahda und Muslimbruderschaft. Gelvin zeigt in beiden Bereichen deutliche Unterschiede zwischen Ägypten und Tunesien auf und vertieft dies noch am Beispiel des jeweiligen Verhältnisses von Staat und Armee. Abschließend analysiert Gelvin die ersten Veränderungen in beiden Staaten nach den Revolutionen 2011.
Das dritte Kapitel analysiert Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Verlauf der Unruhen in den schwachen Staaten Jemen und Libyen. Gelvin macht uns klar, dass es sich jeweils um despotische Regimes "im Besitz" der Präsidenten handelt und geht zudem auf die jeweilige politische Situation vor den Unruhen ein. Hier zielt der Autor darauf ab, die unterschiedliche Basis für die Unruhen, verglichen mit Ägypten und Tunesien, zu beschreiben und die Rolle der Stämme zu verdeutlichen. Es folgt die chronologische Darstellung von der Entstehung der Unruhen und dem Revolutionsverlauf im Jemen und in Libyen - hier mit einer konzisen Analyse der Rolle von Gaddafi. Konkret geht Gelvin der Frage nach, wieso es in Libyen und im Jemen zu Gewalt kam, warum der Westen nur in Libyen intervenierte und welche Rolle al-Qaida im Jemen spielte. Das Kapitel betont schließlich auch die Differenzen zwischen beiden Staaten bezogen auf die postrevolutionäre Entwicklung.
Nach den Staaten mit "erfolgreicher" Revolution befasst sich das Werk nun mit der Frage, warum sich Experten bei ihren Voraussagen über die Auswirkungen des arabischen Frühlings in Algerien und Syrien täuschten. Gelvin geht dabei zunächst auf Algerien ein: Er stellt Vergleichspunkte mit Tunesien und Ägypten heraus und betrachtet die algerische Protestwelle 2011 sowie deren Scheitern; im Zentrum steht die Überlegung, ob es in Algerien jemals zuvor eine pro-Demokratiebewegung gab. Nun nennt Gelvin zunächst fünf Gründe, welche aus Expertensicht gegen die syrische Revolte sprachen und führt dann die Ursachen für den Beginn des syrischen Bürgerkrieges auf. Dabei betont Gelvin die terrorisierende Reaktion der syrischen Regierung insbesondere mit Gewalt gegen Kinder als Motor der Unruhen. Dies führt zur Frage nach der Widerstandsfähigkeit des syrischen Regimes, wobei der Autor die Kohäsion des Machapparates als entscheidenden Unterschied zwischen Syrien und Ägypten betont. Als Problem für den mangelnden Erfolg der syrischen Oppositionsgruppen weist dieses Kapitel auf deren Uneinigkeit hin. Weiterführend thematisiert Gelvin den internationalen Umgang ("Samthandschuhe") mit Syrien, wobei er als einen Problempunkt das syrisch-iranische Bündnis aufführt.
Im fünften Kapitel werden die acht Monarchien ausgehend von ihrer Gründungs-/Entstehungsgeschichte thematisiert. Gelvin arbeitet einerseits die Rolle von Öl als Stabilisationsfaktor in den Monarchien heraus, weist aber zugleich auf die Gefahren ethnischer bzw. sektiererischer Abspaltungen hin. Im Folgenden skizziert der Verf., welche Forderungen Demonstranten auch in den Monarchien erhoben und wie die jeweiligen Regierungen darauf reagierten; z.B. indem sie sich einen demokratischen Anstrich gaben. Bahrain als die Ausnahme unter den Monarchien steht abschließend im Mittelpunkt: Hier werden sowohl die Auswirkungen auf den Golf-Kooperationsrat analysiert als auch der nationale Dialog Bahrains als möglicher Zukunfts-Wegweiser für die arabischen Staaten vorgestellt.
"Stepping Back" (141-159) geht über das klassische Fazit hinaus, in dem Gelvin auf einige weitere offene Themenfelder hinweist, die zum Gesamtverständnis des arabischen Frühlings näher analysiert werden müssten. So bewertet Gelvin beispielsweise die Haltung von G.W. Bush und weist auf den eigenen Umgang der USA mit der Nahostpolitik von Obama und seiner sehr schlechten Bewertung im eigenen Land hin. Andere kurz angeschnittene Punkte sind der Irak, al-Qaida, die Auswirkungen des arabischen Frühlings auf den Israel-Palästina Konflikt sowie auf Iran und schließlich die Frage nach einer historischen Erklärung für die Revolutionswelle. Der Autor nennt damit viele - wie die gegenwärtigen Nachrichten (Juli 2014) zeigen - interessante Themen, die eine vertiefende Forschung verdienten. Gelvin schließt mit ersten Lernerkenntnissen zum arabischen Frühling, sieht allerdings von einer abschließenden Bewertung der Ereignisse 2011 ab.
The Arab Uprisings - What everyone needs to know erfüllt voll und ganz seinen Anspruch, einem populärwissenschaftlich orientierten Publikum einen Überblick über Verlauf, Hintergründe und erste Ergebnisse des arabischen Frühlings zu geben. Durch vorhandene Quellenhinweise und weiterführende Literaturangaben sowie Hinweise auf relevante Websites kann das Werk auch als Einstiegslektüre für ein Seminar zum arabischen Frühling genutzt werden. Das letzte Kapitel lässt sich zudem von (angehenden) Wissenschaftlern als "Fundgrube" für Forschungsprojekte nutzen.
Tonia Schüller