Carole Fink / Bernd Schaefer (eds.): Ostpolitik, 1969-1974. European and Global Responses (= Publications of the German Historical Institute Washington D.C.), Cambridge: Cambridge University Press 2009, XXIV + 289 S., ISBN 978-0-521-89970-3, GBP 45,00
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Die "neue Ostpolitik" der sozial-liberalen Bundesregierung unter Willy Brandt ist nicht nur in ihren Grundzügen, sondern auch in ihren Einzelheiten mittlerweile gut erforscht. Dennoch bietet der vorliegende Band dazu einiges Neues. Hervorgegangen aus einer Konferenz im Jahre 2006 am Deutschen Historischen Institut in Washington, handelt es sich, wie Carole Fink und Bernd Schäfer einleitend schreiben, um "the first broad, critical examination of how friends, adversaries, and foreign bystanders responded to Brandt's Ostpolitik." (6) Wie, so lautet die generelle Fragestellung, wirkte sich diese Politik während der Kanzlerschaft Willy Brandts auf die Beziehungen der Bundesrepublik zu allen "drei Welten" aus? Wie beeinflusste sie die Adressaten im Osten, die Bündnispartner im Westen, die Blockfreien und die wichtigen außereuropäischen Staaten?
Wenngleich sich die Offerte zum Abschluss eines Gewaltverzichtsvertrags an alle Ostblockstaaten richtete, wurden zu Recht die Sowjetunion, Polen und die ČSSR als die wichtigsten Adressaten ausgewählt. Dass ein Beitrag zur DDR fehlt, kann angesichts der bereits vorliegenden Arbeiten zu deren Reaktion auf die westdeutsche Öffnung nach Osten verschmerzt werden. In den Ausführungen von Andrey Edemskiy zu den Auswirkungen auf die Sowjetunion und die westdeutsch-sowjetischen Beziehungen ist zum einen der Verweis auf die in der Parteiberichterstattung festgehaltene, von erheblicher Skepsis geprägte öffentliche Stimmung zum Moskauer Vertrag von 1970 hervorzuheben. Auch im Politbüro gab es Kritiker wie den Ukrainer Pjotr Shelest. Wenngleich Breschnew an Brandt als Partner festhielt, setzten sich in der Parteiführung nach der Ratifizierung des Vertrags ab Ende 1972 die Hardliner unter Michail Suslow mehr und mehr durch. Das Misstrauen wurde genährt durch die Befürchtung, die SPD rücke nun wieder nach rechts. Der Rücktritt Brandts schien dies zu bestätigen und war ein schwerer Schlag für die auf einem unsicheren Fundament ruhenden bilateralen Beziehungen und auch für Breschnew.
Krzysztof Ruchniewicz setzt in seinem Beitrag zu den deutsch-polnischen Beziehungen zwar mit der Initiative Gomułkas vom Mai 1969 gegenüber Bonn ein, erläutert aber nicht dessen Motive. Er konzentriert sich vor allem auf die problembeladenen westdeutsch-polnischen Verhandlungen. Vor dem Warschauer Vertrag betrafen diese vor allem die Grenzfrage; als es nach der Ratifizierung um die Ausreise der noch in Polen lebenden Deutschen ging, forderte Warschau als Voraussetzung dafür zunächst Reparationen und später einen Kredit in Höhe von 10 Mrd. DM. Bonn lehnte dies jedoch ab, sodass sich Warschau schließlich mit dem westdeutschen Angebot von einer Mrd. DM zufriedengab und die Reparationsfrage fallen ließ. Bonn blieb also trotz partiellen Entgegenkommens kein bequemer Verhandlungspartner.
Ähnlich interessante Ergebnisse befördert Oldřich Tůma zutage, der sich den komplizierten westdeutsch-tschechoslowakischen Verhandlungen zum Prager Vertrag von 1973 widmet. Sowohl in den Vorgesprächen zwischen März 1971 und April 1973 als auch in der darauf folgenden Verhandlungsphase stand die Frage, ob das Münchener Abkommen von 1938 ex nunc (so die Bundesrepublik) oder ex tunc (so die ČSSR) für ungültig erklärt werden solle, im Mittelpunkt. Neu ist der Hinweis darauf, dass es die Sowjetunion war, die im Herbst 1972 die Gespräche wieder in Gang brachte. Ähnlich wie im sowjetischen und polnischen Fall leitete der Vertrag keine neue Ära intensiver bilateraler Beziehungen auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet ein.
Unter den westlichen Verbündeten ist nur den USA und Frankreich, aus unerklärlichen Gründen nicht aber Großbritannien ein Aufsatz gewidmet. Der ausführliche Beitrag zum Verhältnis der Nixon-Administration zur Regierung Brandt von Holger Klitzing konzentriert sich vor allem auf Henry Kissingers äußerst ambivalente Haltung zur "neuen Ostpolitik", die von einer Furcht vor "German nationalism, an erosion of Western unity and a possible weakening of NATO" dominiert gewesen sei (85). Dass das State Department demgegenüber eher die Vorteile als die Nachteile dieser Politik sah, wird zwar erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt. Klitzing hebt vor allem die bereits bekannte Tatsache hervor, dass Entspannung aus Sicht des Weißen Hauses vor allem zwischen den Supermächten stattfinden sollte und dass die von zunehmendem Selbstbewusstsein geprägte Bonner Politik dem entgegenstand. Wenngleich die USA nach außen hin die Bundesregierung unterstützten, verfolgten beide unterschiedliche Absichten: Während letztere langfristig auf eine Änderung des Status quo durch dessen Anerkennung zielte, wollten erstere mittels "détente" den Wettbewerb der Supermächte beherrschbar halten.
Auch Präsident Pompidou kam, wie Marie-Pierre Rey darlegt, in seinem Bestreben, einen privilegierten Dialog mit der Sowjetunion zu entwickeln, die "neue Ostpolitik" in die Quere. Wie in Washington so existierten auch in Paris Befürchtungen, die Bundesrepublik könne in diesem Zusammenhang nach Osten abdriften. Obwohl Frankreich daher nach außen hin die westdeutsche Ostpolitik und auf internationalen Konferenzen etwa die Position Bonns hinsichtlich der Unverletzlichkeit von Grenzen unterstützte, führte Pompidou zwischen 1969 und 1974 zahlreiche Unterredungen mit der sowjetischen Führung über die deutsche Frage: Beide Seiten wollten auf diese Weise sicherstellen, dass sowohl die Oder-Neiße-Grenze als auch die deutsche Teilung aufrechterhalten blieb. Wenngleich Rey hier auf neue Quellenfunde zurückgreifen kann, ist diese Ambivalenz der französischen Politik gegenüber Bonn nicht zuletzt seit der wegweisenden Studie von Andreas Wilkens bekannt, auf die indes nicht verwiesen wird. [1]
Die globalen Auswirkungen der "neuen Ostpolitik" werden anhand von Beiträgen zu China, den beiden koreanischen Staaten, Indien, Israel und Südafrika beleuchtet. Dabei stellt sich insgesamt die Frage, wie sehr es gerade die Öffnung Bonns gegenüber Osteuropa war, die das Verhältnis zu den genannten Staaten in dieser Zeit beeinflusste. Am ehesten trifft dies noch für China zu, das den Darlegungen von Bernd Schäfer zufolge Ostberlin angesichts des westdeutsch-sowjetischen Rapprochements vor dem Verrat ostdeutscher Interessen durch Moskau warnte. Gleichzeitig dauerten die Attacken auf den westdeutschen Expansionismus und Militarismus bis zur Annäherung Chinas an die USA 1971 an. Die Entscheidung, diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik aufzunehmen, entsprang dann jedoch vor allem wirtschaftlichen Motiven, da diese, im Unterschied zur DDR, als verlässlicher Handelspartner eingeschätzt wurde.
Nachvollziehbar ist ebenfalls, dass die westdeutsch-israelischen Beziehungen trotz anfänglicher israelischer Sympathien für Brandt unter der "neuen Ostpolitik" litten. Dies war Carole Fink zufolge auf die Annäherung Bonns an die Sowjetunion und die von ihr protegierten arabischen Staaten und die gleichzeitig zunehmende westeuropäische Kritik an dem israelischen Verhalten gegenüber den Palästinensern zurückzuführen. Damit verbunden war auch eine Gewichts- und Statusverschiebung zwischen Bonn und Tel Aviv: Während die Bundesrepublik mit der "neuen Ostpolitik" zu einem unabhängigen, selbstbewussten "global actor" wurde, mutierte Israel aus der Sicht der Öffentlichkeit von einem Opfer zu einem expansionistischen Staat.
Im Falle Indiens wird die Herstellung eines Zusammenhangs mit der westdeutschen Öffnung nach Osten schwieriger. Denn dass der indisch-pakistanische Krieg und der 1971 von Indien mit der Sowjetunion abgeschlossene Freundschaftsvertrag damit zeitlich zusammenfielen, war reiner Zufall. Amit Das Gupta widmet sich des Weiteren der Rivalität zwischen beiden deutschen Staaten im neu entstandenen, von Indien unterstützten Bangladesch, wobei Bonn nicht nur aufgrund seiner größeren wirtschaftlichen Potenz, sondern auch aufgrund der Unterstützung durch seine Verbündeten im Vorteil war. Die Sowjetunion hingegen hielt sich bei der Unterstützung der DDR auffallend zurück: Für sie hatten in dieser Zeit offensichtlich die Beziehungen zur Bundesrepublik Vorrang.
Am wenigsten von der "neuen Ostpolitik" betroffen waren hingegen die Beziehungen zwischen Süd- und Nordkorea, die sich, so Meung-Han Noh, zu Beginn der 1970er Jahre kurzzeitig leicht entspannten. Auch die "détente"-Politik Südafrikas gegenüber einzelnen afrikanischen Staaten in dieser Zeit hatte, wie Tilman Dedering kenntnisreich ausführt, ungeachtet der auch unter Brandt weiterhin aufrechterhaltenen relativ guten Beziehungen, nichts mit der "neuen Ostpolitik" zu tun. Denn die südafrikanischen Bemühungen im südlichen Afrika waren nicht auf die Überwindung, sondern auf die Bewahrung des Status quo ausgerichtet. Die verbesserten Beziehungen zwischen Bonn und Belgrad in dieser Zeit sind, wie der Beitrag von Milan Kosanovic zeigt, ebenfalls nicht auf die "neue Ostpolitik" Brandts zurückzuführen: Die diplomatischen Beziehungen waren bereits 1968 wieder aufgenommen worden, und die 1973 erfolgte Klärung der Reparationsfrage ist letztlich nur eine Konsequenz dieses Schrittes.
Trotz einer ganzen Reihe wahrnehmbarer Reaktionen sollte man also nicht vorschnell in den vielfältigen Entspannungsbemühungen in der ersten Hälfte der 1970er Jahre Auswirkungen der "neuen Ostpolitik" sehen. Die Fälle sind vielmehr sorgfältig voneinander zu unterscheiden. Der vorliegende Band zeigt indes, wie fruchtbar es ist, eine solche Frage anhand von Fallbeispielen zu untersuchen. Insgesamt handelt es sich um eine gelungene Publikation zu einem zentralen Thema der Geschichte der internationalen Politik in der Hochphase der weltweiten Entspannung.
Anmerkung:
[1] Andreas Wilkens: Der unstete Nachbar. Frankreich, die deutsche Ostpolitik und die Berliner Vier-Mächte-Verhandlungen 1969-1974, München 1990.
Hermann Wentker