Stiftung Illustration (Hg.): Lexikon der Illustration im deutschsprachigen Raum seit 1945, München: edition text + kritik 2009, 592 S., ISBN 978-3-86916-024-5, EUR 78,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Clemens Wischermann (Hg.): Vom kollektiven Gedächtnis zur Individualisierung der Erinnerung, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2002
Martin Gierl: Geschichte und Organisation. Institutionalisierung als Kommunikationsprozess am Beispiel der Wissenschaftsakademien um 1900, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004
Jürgen Elvert / Susanne Krauß (Hgg.): Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert. Jubiläumstagung der Ranke-Gesellschaft in Essen, 2001, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003
Im August 2005 gründeten die Städte Troisdorf und Siegburg die "Stiftung Illustration" mit Sitz im Museum Burg Wissem in Troisdorf. Satzungsgemäß sieht die Stiftung ihre Hauptaufgaben in Erwerb und Bewahrung, konservatorischer Betreuung, Archivierung und Ausstellung von Vor- und Nachlässen, wichtigen Werkgruppen sowie Einzelwerken aus dem Bereich Illustration. Daneben versucht sie durch Workshops und wissenschaftliche Publikationen ihr Stiftungsziel - die systematische Förderung der Illustrationskunst im deutschsprachigen Raum - zu verfolgen. Das Lexikon der Illustration (LdI) soll nach Angaben der Stiftung einen wesentlichen Anteil an der Erreichung dieses Ziels haben.
Zu Recht verweist die derzeitige Geschäftsführerin, Maria Linsmann, in ihrem Vorwort zum LdI auf den zunächst merkwürdig erscheinenden Umstand, dass es für fast alle Kunstgenres einschlägige Lexika gibt, nur für die Illustration nicht. Diese Lücke erklärt sich bei näherer Betrachtung aus den Schwierigkeiten, die das Genre mit sich bringt: Es changiert zwischen Kunst, Gebrauchsgrafik, Literatur und Bilderbuch; es hat fließende Übergänge etwa zum Cartoon, zum Comic und zur Karikatur; und es hat eine lange disparate Tradition von den ersten Buchilluminationen bis zu digitalen Bildern. Hinzu kommt, dass Illustrationen, wie non-verbale Kunst überhaupt, nationale wie Sprachgrenzen übergreifen: Wer in Deutschland Oscar Wilde (auch in deutscher Übersetzung) liest, hat unwillkürlich die Illustrationen Aubrey Beardsleys vor Augen; die Bilder aus Heinrich Hoffmanns "Struwwelpeter" sind weltweit bekannt. Insofern könnte man lange trefflich darüber streiten, ob die in editionspragmatischer Hinsicht nachvollziehbare Eingrenzung des LdI auf den deutschsprachigen Raum seit 1945 in systematischer Hinsicht schlüssig ist, ob die Grenze von der Illustration zu einem der genannten Nachbarbereiche fallweise überschritten wird und ob das Ausblenden des großen Bereichs der technischen und Sachbuch-Illustrationen hätte erwähnt werden sollen. Unstrittig dagegen ist, dass der Band einen missverständlichen Titel hat. Denn das "Lexikon der Illustration" enthält keine Sachartikel, sondern ausschließlich biografische Beiträge. Es ist, präziser gesagt, ein Lexikon zu Illustratoren, die im deutschsprachigen Raum geboren sind bzw. dort nach 1945 gearbeitet haben.
Im LdI sind dreißig Illustratorinnen und Illustratoren porträtiert. Der älteste Geburtsjahrgang findet sich bei der deutsch-niederländischen Künstlerin Beatrice Braun-Fock (1898-1973), die vor allem durch ihre Illustrationen zu Büchern von Paul Alverdes und James Krüss bekannt ist. Der 1972 geborene Aljoscha Blau ist der jüngste unter den zahlreichen noch lebenden und produktiven Illustratoren, die im LdI verzeichnet sind. Die österreichische Illustratorenszene ist mit Linda Wolfsgruber und Lisbeth Zwerger repräsentiert; als Schweizer Künstler finden sich Hannes Binder und Warja Lavater; von den in der DDR tätigen wurden Klaus Ensikat und Egbert Herfurth mit einer Biografie bedacht.
Die Biografien, die von zwanzig Buchwissenschaftlern, Leserforschern, Kunsthistorikern und Publizisten angefertigt wurden, folgen einem verbindlichen Schema: Alle Artikel beginnen mit einem stichwortartigen Biogramm, in dem der äußere Lebenslauf skizziert und Mitgliedschaften, Auszeichnungen und Lehrtätigkeiten genannt werden. Daran schließt sich ein Lebensbild des Porträtierten an, das den zeitgeistigen Hintergrund abzubilden sucht, eine stilistische Einordnung vornimmt und auf künstlerische Entwicklungen aufmerksam macht. Als nächstes finden sich Bibliografien der von den jeweiligen Künstlern illustrierten Bücher, Zeitschriften oder anderer Werke (etwa Spiele), der Sekundärliteratur über diese Künstler sowie Verzeichnisse ihrer Ausstellungen und Werke in öffentlichen Sammlungen. Den Abschluss der Beiträge bilden jeweils mehrere Seiten mit Abbildungen aus allen Schaffensperioden der Illustratoren. Hinsichtlich des sich daraus ergebenden Detailreichtums der Darstellungen, aber auch mit Blick auf die sehr anschaulichen Würdigungen der Porträtierten ist das LdI ein Beispiel für vorzügliche biografische Lexikografie.
Merkwürdig antiquiert am LdI wirkt dessen Form als Loseblattsammlung, die dem Zweck der "Aktualisierung" von Bibliografien und Texten "in regelmäßigen Abständen" dienen soll, so das Vorwort, letztlich aber wohl nicht mehr zeitgemäß ist. Denn die Entscheidung für diese Veröffentlichungsform führte dazu, dass zumindest nach jetzigem Arbeitsstand nicht die 'Illustratorenzunft in ihren Größen' repräsentiert ist. So finden sich unter den Porträtierten etwa mit Friedrich Karl Waechter und Chlodwig Poth zwei Vertreter der 'Neuen Frankfurter Schule', während man vergeblich nach Darstellungen über weitere Mitglieder wie Robert Gernhardt, Bernd Pfarr und Hans Traxler sucht. Ebenfalls nicht enthalten sind Darstellungen hervorragender Illustratoren wie Paul Flora, Michael Sowa, Ali Mitgutsch oder auch E. O. Plauen. Sie sind wohl für Nachtragslieferungen vorgesehen. Warum überhaupt ist das hochpreisige Nachschlagewerk, dessen Nachlieferungen und Aktualisierungen weitere Kosten verursachen werden, laut Vorwort als "Arbeits- und Informationsmedium für alle" gedacht, "die sich professionell mit der Kunst der Illustration beschäftigen, so vor allem für Illustratoren, Bibliotheken, Hochschulen, Museen, Kunsthändler, Antiquare, Buchhändler, Verlage, Werbeagenturen, Redaktionen von Zeitungen und Zeitschriften und Journalisten"? Die Illustration zu fördern, daran sei erinnert, ist das Ziel der "Stiftung Illustration". Offensichtlich spielen hierfür Leser und Liebhaber von Kunst und Grafik nur eine untergeordnete Rolle. Hätte man an sie gedacht, hätte man sich wohl eher für einen auch äußerlich ansprechenden Band mit ausgewählten repräsentativen Biografien oder aber für ein Internetprojekt mit umfassenderem Anspruch entschieden, das jederzeit ohne Aufwand aktualisierbar und vor allem kostenlos gewesen wäre.
Stefan Jordan