Rezension über:

Jürgen von Ungern-Sternberg: Griechische Studien (= Beiträge zur Altertumskunde; Bd. 266), Berlin: de Gruyter 2009, VIII + 313 S., ISBN 978-3-11-020916-7, EUR 99,95
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Uwe Walter
Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Uwe Walter: Rezension von: Jürgen von Ungern-Sternberg: Griechische Studien, Berlin: de Gruyter 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 2 [15.02.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/02/17299.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Jürgen von Ungern-Sternberg: Griechische Studien

Textgröße: A A A

Einem Band "Römische Studien" (s. sehepunkte 6 (2006), Nr. 12) lässt Jürgen von Ungern-Sternberg nun eine Sammlung von - ganz überwiegend anlassgebundenen - Arbeiten zur griechischen Geschichte folgen. Es finden sich gediegene, nicht auf Originalität zielende Überblicke für komparatistische Sammelbände (zur Evolution des Politischen im frühen Griechenland sowie zum Begriff der Autonomie) und für ein breiteres Publikum (zur Tyrannis der Dreißig). In diese Gruppe gehört auch die zuvor unpublizierte Basler Abschiedsvorlesung "Gedanken zur athenischen Demokratie"; der Schwerpunkt liegt hier auf den antiken und modernen Urteilen.

Eine nützliche Sammlung und knappe Erörterung der bezeugten Fälle bietet "Kriegsentschädigungen im griechisch-römischen Bereich als eine vertraglich geregelte Form des Beutemachens?" (2009). "Zur Beurteilung Dionysios' I. von Syrakus" (1988) warnt vor einer Überbewertung dieses Herrschers und schätzt die Strahlkraft des monarchischen Gedankens im 4. Jahrhundert v.Chr. mit Recht als eher gering ein: Ein fähiger Alleinherrscher besaß Wirkungsmöglichkeiten und konnte in das politische Kalkül einbezogen werden, wenn die Situation das hergab; für die eigene Polis aber "zog man eine Monarchie bei allem Ungenügen der bestehenden Zustände kaum in Betracht" (244). Auch für die politische Theorie war Dionysios als Tyrann kein Vorbild ("L'influence de l'histoire sur la philosophie: le cas de Denys l'Ancien de Syracuse", zuerst 2003).

In zwei zusammen mit dem Alttestamentler Klaus Seybold verfassten Vergleichsstudien zu Amos und Hesiod beziehungsweise zu Josia und Solon [1] werden gerade durch die zahlreichen Parallelen die markanten Unterschiede zwischen der Welt des Alten Israel und dem frühen Hellas deutlich: Sowohl Hesiod - den ich nicht als "Propheten" bezeichnen würde - als auch Solon gewannen zu allererst als Personen und kraft ihrer Botschaft Autorität; hinter ihnen und ihrem Ordnungsmodell stand keine übermächtige Gottheit, die dem Propheten das Charisma, dem Reformer die Leitlinien vorgab.

Ganz der Rezeptions- und Forschungsgeschichte gewidmet sind drei Arbeiten. "Das Grab des Theseus und andere Gräber" (1988) gibt einen gerafften Überblick zum säkularen Reliquientransfer nicht nur in der Antike. [2] In "Burckhardt und das Heroische" (2006) wird herausgearbeitet, dass Burckhardt die historische Notwendigkeit, aber auch den subjektiv richtigen, heroischen Widerstand gegen diese und damit die Würde der victa causa anerkannte. Wilamowitz' "Staat und Gesellschaft der Griechen" bezeichnet Ungern-Sternberg in der Einleitung zum Neudruck als ein immer noch lesenswertes Plädoyer für die Einheit der Altertumswissenschaften. [3]

Alle Beiträge sind neu gesetzt, die alte Paginierung ist nicht angezeigt. Neuere Literatur hat Ungern-Sternberg in den Fußnoten nachgetragen. Das Schriftenverzeichnis im Vorgängerband wurde nicht fortgeschrieben. Obwohl die meisten Beiträge verhältnismäßig leicht greifbar sind, ist die Sammlung nicht unwillkommen.


Anmerkungen:

[1] Zu letzterer s. Rezension, in: Rechtsgeschichte 14 (2009), 179f.

[2] Dazu jetzt umfassend, Andreas Hartmann: Zwischen Relikt und Reliquie. Objektbezogene Erinnerungspraktiken in antiken Gesellschaften (= Studien zur Alten Geschichte; 11), Berlin 2010.

[3] Ein Kuriosum: In der zweiten Auflage von 1923 sei Seite 113f. eine Passage über die untere Schichten als Rückgrat der Flotte "in allen mir bekannt gewordenen Exemplaren überklebt worden" (mit einer einzigen Ausnahme). Erinnerte sie "zu sehr an die Meuterei der deutschen Marine im ersten Weltkrieg"? Im Exemplar des Rezensenten findet sich indes keine Überklebung.

Uwe Walter