Renate Eikelmann (Hg.): Die Wittelsbacher und das Reich der Mitte. 400 Jahre China und Bayern. Katalogbuch zur Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum München, München: Hirmer 2009, 588 S., ISBN 978-3-7774-9045-8, EUR 55,00
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Dass mittels chinesischer Reispapiertapeten, Urushi-Möbeln, Blanc-de-Chine oder weiß-blauen Porzellanen die fremde asiatische Welt in die eigene des fürstlichen Kabinetts oder Teepavillons geholt wurde, ist ein bekanntes und gut erforschtes, europaweites Phänomen höfischen Dekorationsgeschmacks im 17. und 18. Jahrhundert. Der Münchner Hof bildete natürlich keine Ausnahme und trug zwischen dem frühen 17. und 20. Jahrhundert in Konkurrenz zu anderen deutschen Höfen wie Sachsen eine beachtliche ostasiatische Sammlung in seinen Kunstkammern zusammen. Zahlreiche Stücke wurden jedoch nicht wie in den meisten Sammlungen herkömmlich erworben oder der Sammlung als Geschenk befreundeter europäischer Monarchen hinzugefügt. Sie sind vielmehr dem persönlichen Engagement in der China-Mission zu verdanken. Dem Katalog gelingt es, über die Systematisierung und Dokumentation der Sammlung hinaus, neben dem üblichen Anspruch der höfischen Repräsentation mittels exotischer Kunst eine sehr interessante und bisher in der Forschung nur für den französischen Hof bekannte Form fürstlicher Protektion jesuitischer China-Mission durch Kunst aufzuzeigen.
Die katholischen Herzöge und späteren Kurfürsten von Bayern unterstützten aufgrund ihrer eigenen ausgeprägten Hausfrömmigkeit als einer der wenigen noch verbliebenen katholischen Reichsfürsten gezielt gegenreformatorische Maßnahmen. Darunter fiel auch ein sehr enger Kontakt zur Societas Jesu, dem Orden, der sich 1601 in Peking für Jahrzehnte etablieren konnte und aus dem über Generationen hinweg die Beichtväter an den Münchner Hof berufen wurden. Nach München gelangten somit nicht nur Nachrichten von der Mission aus erster Hand, Herzog / Kurfürst Maximilian I. und seine Gemahlin missionierten höchstselbst. In Briefen an den Kaiser und die (vermeintliche) Kaiserin in China schrieben sie von der Marienverehrung in Bayern und der Bedeutung der Mutter Gottes. Mit den Schreiben sandten sie wertvolle Geschenke, etwa einen illustrierten Codex zum Leben und Werk Jesu und einen Augsburger Kunstschrank mit zahlreichen Fächern, deren Inhalt den "Erfindungsreichtum unsres Himmelstrichs" (164) empfehlen sollte, sowie einer Widmung Maximilians I. für den chinesischen Monarchen nach Peking. Neben den bayerischen Herrschern machten sich im 18. Jahrhundert aber auch fromme Hofdamen wie Maria Theresia von Fugger-Wellenburg die Förderung der Missionare zur Aufgabe. Sie statteten die Jesuiten mit Geld oder kleinen Gaben wie Rosenkränzen für die Bekehrung von Kindern und Erwachsenen aus, um die Mission bzw. die Errichtung von Waisenhäusern zu erleichtern. Die Geschenke hatten Gegengaben vom chinesischen Hof oder von den Patres als Dank an ihre fürstlichen oder adeligen Mäzene zur Folge, welche die Kunstkammer, die Ausstattung von Schlossräumen oder die Hofbibliothek in München um einzigartige Stücke bereicherten.
Insbesondere bayerische Jesuiten trugen zu dem recht regen Austausch von Wissen und Kunstgegenständen zwischen dem Reich der Mitte und dem aufstrebenden bayerischen Kurfürstentum bei. So leiteten die in kurbayerischen Werkstätten handwerklich ausgebildeten Ordensbrüder Kilian Stumpf und Ignaz Köhler mehrere Jahrzehnte die kaiserliche Glashütte in Peking und brachten zahlreiche neue Verfahren der Glasherstellung mit nach China (140-147). Der Katalog verdeutlicht in kurzen, aber aufschlussreichen Beiträgen und der anschließenden Präsentation von passenden Kunstgegenständen, dass die bayerischen Landesherren die jesuitische Missionsstrategie der Akkomodation durch Sach- und Finanzmittel sowie durch einen aktiven Wissenstransfer unterstützten. Dieses persönliche Engagement der bayerischen Herzöge und Kurfürsten zeigt, dass sie sich nicht nur um die Erhaltung der "Allt whar Catholisch Religion vnnd Leer" (Testament Albrechts V. vom 11. April 1578) im eigenen Territorium, sondern im Einvernehmen mit dem Papst als dem Statthalter Jesu auf Erden auch aktiv um deren weltweite Ausbreitung bemühten. Dass dabei als Motivation nicht nur das Verdienst um das Seelenheil oder die Herrschaftsauffassung eines princeps optimus mit der grundsätzlichen Verpflichtung zum Schutz der Religion eine wichtige Rolle spielten, sondern die bayerischen Reichsfürsten von einer diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehung zu dem fernen Kaiserreich zugleich positive Rückwirkungen auf die eigene Geltung erhofften (110), ist ein spannendes Ergebnis.
Doch dieses Bestreben scheiterte schnell, und deshalb zeigt der Katalog, dass die verschiedenen Wittelsbacher Linien natürlich wie andere Fürstenhäuser im Alten Reich oft auch einfach nur Kunden chinesischer Exportmaler und Auftraggeber asiatischer Porzellan- und Kunstwerkstätten waren. Der Band zieht die Linie wittelsbachischer Sammlungstätigkeit von der Erwerbungsgeschichte einzelner Objekte bis zu Bildvorlagen, die u.a. die Errichtung des chinesischen Turmes im Englischen Garten nach Johan Nieuhofs Abbildung der Porzellanpagode in Nanking unter Kurfürst Karl Theodor im späten 18. Jahrhundert zeigen, als diese Mode in anderen Teilen Europas längst verdrängt war. Die China-Begeisterung der bayerischen Fürsten hielt offenbar länger als anderswo und trotz zunehmender Japaneuphorie bis ins 20. Jahrhundert an. Sie mündete in die Berufung des Sinologen August Conradi zum Leiter des Münchner Völkerkundemuseums (466) sowie nach einer persönlichen Reise des Prinzen Rupprecht (1902/03) im Jahr 1909 in eine Ostasien-Ausstellung in München. Im Rahmen dieser Ausstellung wurden zeitgenössische Thesen des angeblichen Stillstandes chinesischen Kunstschaffens in der Öffentlichkeit diskutiert.
Der Katalog dokumentiert den beachtlichen Wittelsbacher Hausschatz asiatischer Provenienz und verweist einmal mehr auf die Verbindung von politischer Macht und fürstlichem Mäzenatentum, das nach der Abdankung des letzten Königs 1918 in Bayern hinsichtlich der Sammlung und Erforschung chinesischer Kunst endete. Unkommentiert bleibt aber leider, dass und wie die eindrucksvolle Sammlung von (frei-)staatlichen Institutionen und der öffentlichen Hand übernommen, weitergeführt und erweitert wurde bzw. welche Teile im Rahmen des Fürstenausgleichs in der Familie verblieben.
Susan Richter