Renate Eikelmann (Hg.): Die Sammlung Bollert. Bildwerke aus Gotik und Renaissance, Bayerisches Nationalmuseum. Bearb. v. Matthias Weniger, Jens Ludwig Burk (= Kataloge des Bayerischen Nationalmuseums. Neue Folge; Bd. 2), München: Hirmer 2005, 350 S., ISBN 978-3-7774-2875-8, EUR 34,50
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Im Jahr 2004 gelang dem Bayerischen Nationalmuseum mit dem Erwerb der Sammlung Bollert eine spektakuläre Ergänzung der eigenen Bestände. Benannt ist sie nach dem Justizrat Dr. Gerhart Bollert, der in den Jahren zwischen 1908 und 1939 in Berlin eine bedeutende Kollektion spätgotischer Skulptur zusammengetragen hatte. Damit fand die wohl letzte der bedeutenden deutschen Privatsammlungen mittelalterlicher Skulptur aus dem beginnenden 20. Jahrhundert ihren Weg in ein öffentliches Museum. Dies kann gar nicht hoch genug bewertet werden, bedenkt man die jüngsten Ausverkäufe adeliger Sammlungsbestände, die zum Teil über Jahrhunderte entwickelt und gepflegt worden waren.
So ist es nur zu begrüßen, dass das Bayerische Nationalmuseum die Sammlung Bollert in einem frei gewordenen Nebengebäude im Zusammenhang präsentiert und so den Horizont der Sammlungstätigkeit Gerhard Bollerts aufzeigen kann. Die vorliegende Publikation ist als Begleitbuch zu dieser Ausstellung zu verstehen, ist aber zugleich mehr als das.
Man sollte die Lektüre des Bandes mit den Erinnerungen Liselotte Bollerts, der 2004 kurz nach dem Verkauf verstorbenen Schwiegertochter des Justizrates, beginnen. Sie sind ein beeindruckendes Zeugnis einer heute weitgehend untergegangenen Sammlerkultur. Liselotte Bollert wuchs, wie sie am Schluss des Berichts unter Verweis auf Goethe betont (85), buchstäblich in die Sammlung hinein und entwickelte Verantwortung für das Ererbte. Bis zuletzt waren die Bildwerke Teil einer großbürgerlichen Wohnkultur, die der Rezensent bei einem Besuch des Bollert'schen Hauses in der Berliner Schweitzerstraße zur Weihnachtszeit noch selbst erleben durfte. Auch die Bearbeiter des vorliegenden Bandes konnten sich dieser Faszination offenkundig nicht entziehen (Abb. 12-13). Ein Vergleich mit den Aufnahmen der 1920er- bis 1930er-Jahre macht zudem deutlich, in welchem Umfang hier die Traditionen des Sammlers weiter gepflegt wurden.
Es ist nicht zuletzt das Verdienst von Liselotte Bollert, die 1934 den älteren Sohn des Justizrates geheiratet hatte, die Sammlung bis in unsere Tage zusammengehalten zu haben. Es gelang der Familie Bollert, den Kern der Sammlung über den Krieg zu retten. 1943 wurde sie durch einen Bombenangriff zwar stark dezimiert, doch waren zuvor die wichtigsten Stücke nach Thüringen und in die Lausitz gebracht worden. Die Nachkriegsgeschichte ist durch den Kalten Krieg geprägt: Wesentliche Teile der Sammlung waren im Ostteil von Berlin und gelangten in die dortige Sammlung. Unter schwierigsten Bedingungen gelang es der Familie, stets den Kontakt zu den dortigen Kuratoren zu pflegen. Auch dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass nach der Wiedervereinigung 1990 die in der Ost-Berliner Skulpturensammlung aufbewahrten Objekte wieder an die Familie Bollert zurückgegeben wurden.
Den Autoren des Bandes oblag es, aus der Not eine Tugend zu machen, denn schon im Jahr 2000 war anlässlich der Ausstellung "Skulpturen der Gotik und Renaissance" am Berliner Kulturforum ein fundierter Katalog zur Sammlung Bollert vorgelegt worden. [1] So mag man sich fragen, inwiefern nach nur wenigen Jahren ein weiteres Buch hierzu seine Berechtigung hat.
Blickt man auf den 72 Nummern umfassenden Katalog der Werke, bearbeitet von Matthias Weniger und Jens Ludwig Burk, so lassen sich in den Einzelheiten unterschiedliche Gewichtungen und Einordnungsversuche erkennen, denen hier aber nicht im Detail nachgegangen werden kann. Die Aufstellung beginnt mit Ulm und Oberschwaben sowie dem Allgäu (1-14), es folgen Franken mit Riemenschneider (18-26), Altbayern (27-33), der Alpenraum, Mitteldeutschland, schließlich der Niederrhein und die Niederlande. Die Gliederung des Kataloges ist jedoch im Vergleich zu der Berliner Publikation weniger klar strukturiert. Eine Untergliederung durch Zwischenüberschriften unterblieb hier. So werden beispielsweise die sieben Porträtmedaillons des Straubingers Andre Hanntlas aus der Mitte des 16. Jahrhunderts etwas unvermittelt den schwäbischen Werken nachgestellt, wohl wegen der Wiedergabe von Mitgliedern Augsburger Patrizierfamilien.
Der Hauptteil der Bildwerke stammt aus Süddeutschland, dem Alpenraum sowie Österreich. Nur ein Beispiel: Eines der herausragendsten Werke ist die Anna Selbdritt des Meisters der Biberacher Sippe (Kat.-Nr. 1), von dem sich mit der Maria aus einer Krönung der Gottesmutter ein weiteres Werk des Schnitzers (Kat.-Nr. 2) in der Sammlung befindet: Während Hartmut Krohm in seinem Beitrag des Berliner Kataloges die oft vorgeschlagene Identifizierung mit dem in Biberach nachgewiesenen Michael Zeynsler aufgrund fehlender Quellenbelege ablehnt, sympathisiert Mathias Weniger wieder mit Zeynsler und einer Lokalisierung nach Biberach, indem er zwei Argumente anführt: mehrere Arbeiten des recht schmalen Œuvres stammten aus Biberach und Umgebung. Zudem wären auch in anderen Zentren der Region in dieser Zeit herausragende Bildschnitzer tätig gewesen. Hier muss man einschränken, dass das Werk des Meisters der Biberacher Sippe noch nicht ausreichend erforscht ist und die wenigen unumstrittenen Bildwerke für eine exakte Lokalisierung der Werkstatt kaum ausreichen. Schon die Vorstellung des bislang unpublizierten hl. Rochus in "The Cloisters", derzeit als Leihgabe in der Berliner Skulpturensammlung ausgestellt, wird hier zu einer Erweiterung des Blickfeldes führen. [2]
Zusätzliche Facetten werden insbesondere durch die intensivere sammlungsgeschichtliche Erschließung eröffnet: So ist es ein wichtiges Verdienst der vorliegenden Publikation, erstmals einen zuverlässigen Überblick über die Verluste, insbesondere durch den Bombenangriff von 1943, zu geben. Eingebaut zwischen die einzelnen Kapitel des Buches zeigen historische Fotos die wesentlichen Teile der Sammlung 1925 in der Villa Gebauer. Sie führen eindrücklich das Zusammenspiel zwischen Wohnfunktion und Kunstwerken vor Augen.
Matthias Weniger hat die Informationen zur Genese der Sammlung noch einmal zusammengetragen [3] und durch weitere Details ergänzt. Er liefert zugleich einen Abriss der faszinierenden Sammlungstätigkeit Berliner Privatsammler um 1900, eines wahren Wettlaufs um den Erwerb spätmittelalterlicher Bildwerke, der zu einem erheblichen Anstieg der Preise nach 1900 führte und verbunden ist unter anderem mit Namen wie James Simon und Benoit Oppenheim. Charakteristisch scheint der enge Kontakt zu den Berliner Museen (Wilhelm von Bode und Theodor Demmler), dann zum Bayerischen Nationalmuseum (Theodor Müller und Alfred Schädler).
Zusammenfassend wäre zu wünschen, dass die Erwerbung und Aufarbeitung der Sammlung Bollert Vorbildcharakter entwickeln möge. Für Berlin ist der Verlust schmerzhaft, zumal es über Jahre intensive Bemühungen gegeben hatte, die Sammlung für die Berliner Museen zu erwerben. Dennoch darf man sich darüber freuen, dass die Sammlung nun zum größten Teil der Öffentlichkeit zugänglich und durch zwei Publikationen vergleichsweise mustergültig wissenschaftlich erschlossen ist.
Anmerkungen:
[1] Régine Bonnefoit / Hartmut Krohm (Hgg.): Skulpturen der Gotik und Renaissance: Die Ehemalige Sammlung des Justizrats Dr. Gerhart Bollert, Berlin: Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, 2000.
[2] Julien Chapuis / Michele Marincola: Bemerkungen zum Meister der Biberacher Sippe und einem Hl. Rochus in the Cloisters, in: Skulptur und Malerei an der Wende zur Neuzeit, hrsg. von Arne Effenberger, Tobias Kunz und Lars Eisenlöffel, Akten des Kolloquiums am 11./12. November 2005 an den Staatlichen Museen Berlin, Petersberg, im Druck.
[3] Vgl. dazu den Beitrag von Lothar Lambacher im Berliner Katalog [Anm. 1], 15-22.
Gerhard Lutz