Rezension über:

Michael F. Hopkins / Saul Kelly / John W. Young (eds.): The Washington Embassy. British Ambassadors to the United States, 1939-77, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2009, VIII + 243 S., ISBN 978-0-230-52216-9, GBP 50,00
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Rezension von:
Oliver Bange
Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Bange: Rezension von: Michael F. Hopkins / Saul Kelly / John W. Young (eds.): The Washington Embassy. British Ambassadors to the United States, 1939-77, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 5 [15.05.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/05/17337.html


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Michael F. Hopkins / Saul Kelly / John W. Young (eds.): The Washington Embassy

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Ein Sonderaspekt einer Sonderbeziehung - das suggeriert der Titel insbesondere nicht britischen Lesern. Tatsächlich wird hier Diplomatiegeschichte im engsten Sinne und in bester britischer Tradition präsentiert. Der dabei gewählte Zeitrahmen beginnt mit der Vorgeschichte der "special relationship" in den Jahren 1939/1940 und endet 1977 gemäß der im britischen Nationalarchiv penibel beachteten 30-Jahres-Frist.

In jedem der elf Kapitel des Sammelbandes stellt ein für die jeweilige Periode ausgewiesener britischer Historiker einen der in diesen 38 Jahren in Washington residierenden britischen Botschafter vor. So unterschiedlich die beschriebenen Charaktere, ihr zeithistorischer Rahmen und die Quellenlagen auch sein mögen, die Kapitel sind gut vergleichbar und allesamt ausgezeichnet geschrieben. Zunächst wird die vorangegangene Karriere des Botschafters skizziert, dann die Kriterien und der Prozess seiner Selektion für den Posten in Washington herausgearbeitet und schließlich die spezifischen Rahmenbedingungen und Problemstellungen seiner Amtszeit in den USA analysiert. Obwohl oder gerade weil Individuen im Fokus stehen, werden Aspekte von Wandel und Kontinuität der britischen Repräsentanz beim wichtigsten Bündnispartner begreifbar. Daraus ergibt sich für jeden spezifischen Zeitabschnitt zugleich die Wirkmacht und Bedeutung von Londons Botschaft in Washington, zumindest für die bilateralen Beziehungen. Gerade die ohne große methodologische Prätention auskommende Verknüpfung von konstruktivistischen Aspekten mit Ansätzen der "new biography" führt aber über eine klassische Diplomatiegeschichte hinaus. Tatsächlich ließe sich hier mit einer bekannten Zeithistorikerin der britischen Insel ironisch fragen, ob Historiker "nicht immer schon die besseren Konstruktivisten gewesen sind - bevor wir den Begriff überhaupt kannten". Mancher der hier versammelten Autoren scheint jedenfalls den Beweis antreten zu wollen. Epistemische Gemeinschaften, Planung, Faktoren und Verlauf von nationalen und bilateralen Entscheidungsprozessen, die Wirkmächtigkeit individueller Vorstellungen von der Welt und wie sie sein sollte - zu all dem und manch anderen aktuellen Fragestellungen bietet der vorliegende Band erhellende Beispiele. Unterhalb der biografischen und diplomatisch-politischen Ebene wird jedoch - wohl aufgrund mangelnder Quellenbasis - nur sehr wenig über die eigentliche Arbeit der Botschaft bekannt.

Die vorgestellten Botschafter ergeben bezüglich Herkunft, Beruf und Persönlichkeit ein - gerade im Vergleich mit ihren deutschen Kollegen in Washington - ungewöhnlich buntes Kaleidoskop. Lord Lothian (Botschafter von 1939-1940) etwa war gelernter Journalist und damit eine Idealbesetzung in der entscheidenden Phase vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg. Nicht zuletzt seine öffentlichen Auftritte brachten die eigentlich kriegsmüde amerikanische Öffentlichkeit auf die Seite der kämpfenden Briten. Während der durch überaus enge Kooperation geprägten Kriegsjahre installierte Lord Halifax, zuvor Außenminister unter Neville Chamberlain, in der Botschaft eine Miniaturausgabe der Londoner Ministerien. Oliver Franks, ehemals Professor für Moralphilosophie an der Universität Glasgow, koordinierte von 1948 bis 1952 zusammen mit dem amerikanischen Außenminister Dean Acheson den Weg in den Kalten Krieg. Roger Makins (1953-1956) war eng mit den Dulles-Geschwistern John Foster, Allen und Eleonor befreundet und in der amerikanischen Öffentlichkeit als "Mr. Atom" bekannt. Lord Harlech (1961-1965) besaß ein wirklich einzigartiges Vertrauensverhältnis zu John F. Kennedy, mit dem er über eine Heirat seiner Kusine sogar verwandt war. Ohne diese Freundschaft wäre im Dezember 1962 der Ausgang des Gipfels in Nassau, an dessen Ende Kennedy den Briten die Polaris-Rakete und damit den Verbleib Londons im exklusiven Nuklearclub versprach, kaum vorstellbar. Während Patrick Dean (1965-69) fleißig die diversen Friktionen zwischen Premierminister Harold Wilson und Präsident Lyndon B. Johnson "moderierte", hatte der Nichtdiplomat John Freeman (1969-71) eine unerwartet angenehme Zeit in Washington. Dabei hatte Freeman als Herausgeber des "New Statesman" nur ein Jahr zuvor den Präsidentschaftsbewerber Nixon als einen "Mann ohne irgendwelche Prinzipien außer sich selber" bezeichnet. Das konnte in einem persönlichen Gespräch mit Nixon ausgeräumt werden; anschließend koordinierte Freeman ohne viel Aufhebens und Reibungsverluste über einen direkten Zugang zu Henry Kissinger den EWG-Beitritt Großbritanniens unter Edward Heath. Sein Nachfolger Lord Cromer (1971-74) fand sich mitten in der Nixon-Krise wieder, und Peter Ramsbotham - der letzte im Buch behandelte Botschafter - hatte alle Mühe, Jimmy Carters Außenpolitik zu "dechiffrieren". Ramsbotham wurde 1977 von Außenminister David Owen vorzeitig zurückgerufen, um durch Peter Jay, den Schwiegersohn von Premierminister Jim Callaghan, ersetzt zu werden. Die für ihre Skandalberichterstattung weltweit bekannte britische Presse nahm den Fall "snob envoy" gegen Schwiegersohn selbstverständlich dankend auf.

Abschließend konstatieren die Herausgeber für alle behandelten Botschafter einen ähnlichen Prozess: Angetreten, die Außenpolitik der USA "gemäß der eigenen [britischen] Wünsche umzubiegen", im Bewusstsein "an der wichtigsten britischen Vertretung überhaupt" zu dienen, hätten alle Protagonisten letztlich ob ihres scheinbar "minimalen" Einflusses resigniert. Tatsächlich lag den Autoren zufolge die Bedeutung der Botschaft und ihrer Leiter weniger in der Beeinflussung amerikanischer Politik, sondern mehr in ihrem Beitrag zur nachhaltigen taktischen und inhaltlichen Anpassung und Neujustierung britischer Außenpolitik.

Hier offenbart sich freilich ein methodologisches Problem: Bis auf wenige Ausnahmen (insbesondere die Beiträge von Michael Hopkins über Roger Makins und Lord Harlech, auch Alexander Spelling über Lord Cromer) fußen alle Texte allein auf britischen Quellen, überwiegend auf den diplomatischen Akten der British National Archives in Kew. Der tatsächliche Einfluss auf die amerikanische Politik etwa im Sinne von Premierminister Macmillan, der sich gerne als ein die amerikanischen "Römer" beratender "Grieche" porträtierte, lässt sich so jedoch nicht bestimmen. Mehr noch, andere Akteure auf der internationalen Bühne geraten dadurch allzu sehr zu Objekten anglo-amerikanischer Politik. Diesen Eindruck vermitteln die Beiträge besonders bei Themen der Europa- und Deutschlandpolitik. Hier zeigt sich das Desiderat für zumindest bi-, wenn nicht gleich multiperspektivische Studien zur Wirkmächtigkeit dieser bis heute funktionierenden besonderen Achse im westlichen Bündnis. Am Ende dieses anregenden Buches wird sich wohl jeder Leser fragen, wie diese Historiografie in die Reagan-Thatcher-Ära, die Wendejahre 1989/90, die Periode des Umbaus Europas und die Blair-Bush-Jahre weiterzuschreiben sein wird.

Oliver Bange