Robert J. McMahon (ed.): The Cold War in the Third World, Oxford: Oxford University Press 2013, XI + 229 S., ISBN 978-0-1997-6869-1, GBP 16,99
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Bereits der Titel des Bandes verweist gleichermaßen auf das faszinierende Thema wie auch auf seine - gerade für nicht-amerikanische Leser - leicht irritierende Behandlung. Die beiden Schlüsselbegriffe des Titels sind historiographisch wie politisch alles andere als unproblematisch: Das Konzept eines auf konfrontativen Aktionsmustern basierenden "Kalten Krieges" für die Periode von 1945 bis 1991 wird von führenden Historikern gerade auch in Deutschland nachhaltig in Frage gestellt. Der Begriff, so Link, Niedhart u.a., beziehe sich vielmehr auf die Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre, weshalb als Epochenbegriff auch Ost-West-Konflikt eingeführt wurde. Während es um diese Begrifflichkeiten immerhin eine wissenschaftliche Kontroverse gibt, ist der Terminus "Dritte Welt" in der europäischen politischen Kultur seit vielen Jahren ein Tabuwort. Im öffentlichen Verständnis schien der Begriff Länder anderer, insbesondere postkolonialer Kulturen mit - gemessen an den Maßstäben einer globalen Ökonomie - wenig wettbewerbsfähigen Wirtschaften, unsicheren Demokratien und wenig ausgeprägter Staatlichkeit als "drittklassig" abzuwerten. Die Ersatzbezeichnung einer "südlichen" bzw. "nördlichen Hemisphäre" war gleichermaßen fragwürdig, da etwa die arabische Welt und der größte Teil Südostasiens nördlich des Äquators liegen. (7) Umso bemerkenswerter ist es, dass auch dieser Terminus, genauso wenig kommentiert wie die zuvor genannten, im Buch neben der heute üblichen, politisch korrekten und dabei doch sehr vagen Umschreibung des "global South" Verwendung findet.
Die elf Beiträge des Sammelbandes, die Einführung von Robert McMahon und insbesondere der Epilog von Odd Arne Westad machen hingegen die Faszination dieses recht jungen Forschungsfeldes greifbar. Dabei gliedern sich die Aufsätze in zwei Blöcke: Die ersten sechs Beiträge umfassen Regionalstudien zum Nahen Osten, Amerika, Südostasien, Südasien, China und Afrika; die letzten fünf Beiträge sind übergeordneten Themen gewidmet.
Der Herausgeber reklamiert in seiner Einführung für den vorliegenden Band wie im übertragenen Sinne für das ganze Forschungsfeld eine Art methodisches 3x2, also drei Paarungen von Forschungsinteressen, Leitfragen und methodischen Ansätzen. Das erste dieser Begriffspaare - Themen- oder Regionalansatz - wurde bereits erwähnt; das zweite bezieht sich auf die Kombination von zwei immer noch hoch im Kurs stehenden historiographischen Schulen - der Geschichte des Kalten Kriegs/Ost-West-Konflikts und der Kolonialgeschichte. Und das dritte Begriffspaar bezeichnet die dialektisch verknüpften Erkenntnisinteressen: Wie beeinflusste die "Dritte Welt" den Verlauf des "Kalten Krieges"? Und welche Einflüsse hatte umgekehrt der Ost-West-Konflikt auf die Gesellschaften in Asien, Afrika, Nah- und Mittelost und Lateinamerika?
Dies sind insbesondere in der Zusammenschau durchaus anspruchsvolle methodische Vorgaben, zumal zusätzlich noch die "euro-zentrische" Sicht der "ersten Generation der Kalten-Kriegs-Historiker" (wobei nicht die europäischen Staaten und Gesellschaften, sondern der amerikanisch-sowjetische Dualismus gemeint ist) durch eine an den Perspektiven der "Dritten Welt" orientierten Historiographie ersetzt werden soll.
Salim Yaqub (University of California) erläutert die israelisch-arabischen Konflikte von 1956 und 1967 bis 1979 aus einer klassisch geopolitischen Perspektive. Interessante Erklärungen liefern seine Ausführungen vor allem dann, wenn Geopolitik mit anderen Faktoren, etwa historischen Erfahrungen, kombiniert wird. So habe die Islamisierung von Selbstperzeption und Politik in der Region in den Siebziger Jahren den von der Sowjetunion geförderten säkularen Nationalismus bereits zehn Jahre vor dem Ende des globalen Ost-West-Konflikts entwertet. Greg Grandin (New York University) analysiert den Kalten Krieg der Fünfziger- und Sechzigerjahre in Lateinamerika anhand einer neuen Sichtachse - dem "revolutionären 20. Jahrhundert" dieser Region. Demnach waren es weniger die USA, die dem Kommunismus in der Mitte und im Süden des Kontinents Einhalt geboten, sondern vielmehr wurden umgekehrt die Vereinigten Staaten durch eine Reihe bi- und multilateraler Abkommen von unilateralen Interventionen in der Region abgehalten. Erst unter Präsident Reagan wurde diese spezielle Form des "Containment" in Lateinamerika beendet. Bradley Simpson (University of Connecticut) erzählt die Geschichte des Vietnam-Krieges als Dekolonialisierungsnarrativ: Ein Befreiungs- und Emanzipationskonflikt, den weder die beiden Supermächte noch China und schon gar nicht die beteiligten vietnamesischen Konfliktparteien internationalisieren wollten - und der gerade deshalb genau in dem Moment beendet wurde, als Washington, Moskau und Peking auf einen entspannungspolitischen Kurs einschwenkten. David Engerman (Brandeis University) argumentiert, dass in Süd-Asien (Indien, Pakistan, Afghanistan, Sri Lanka, Burma) von 1953 bis 1962 wesentliche Konfrontations- und Interaktionsmuster entwickelt wurden, die den "Kalten Krieg in der Dritten Welt" bestimmen sollten. Chen Jian (Cornell University) führt den Leser in Maos These von 1974 über die "drei Welten" ein und erläutert, wie diese rein ökonomische Sichtweise nicht nur die ideologischen Rahmenbedingungen des Ost-West-Konflikts konterkarierte, sondern auch die chinesische Politik bis heute bestimmt. Besonders hervorzuheben ist die tour d'horizon über "Afrikas Kalten Krieg" von Jeffrey James Byrne (University of British Columbia). Dieser argumentiert, dass der Kalte Krieg in Afrika im Wesentlichen drei Konsequenzen hatte: den schnellen Aufbau unabhängiger Staaten; die Förderung anti-kolonialer Selbstverständnisse und die nachhaltige Desillusionierung der antikolonialen und antiimperialen Träume von Modernisierung durch die bewaffneten Konflikte in den Siebziger und Achtziger Jahren.
Demgegenüber scheint der thematische Teil des Bandes scheinbar unvereinbare Thesen miteinander verbinden zu wollen. Jason Parker (Texas A&M University) möchte Dekolonialisierung als den Weg verstanden wissen, auf dem der "Kalte Krieg" die "Dritte Welt" erreichte und kreierte. Die zentrale These von Mark Lawrence (University of Texas) besagt, dass die Bewegung der Nicht-Paktgebundenen viel von ihrem Einfluss als Stimme der Vernunft zwischen zwei scheinbar irrational agierenden Blöcken verlor, als diese in der Entspannungsära eine neue, militärisch weniger heikle Form des Konfliktaustrags verfolgten. Damit steht Lawrences These aber gegen die Befunde aktueller Forschungen etwa zur Rolle der "N+N"-Staaten im KSZE-Prozess. Andrew Rotter (Colgate University) feiert in seinem Aufsatz den Beitrag, den "culturalism" (speziell die Berücksichtigung von Religion, Geschlecht und Machtkultur) zu unserem Verständnis des "Kalten Krieges in der Dritten Welt" nicht so sehr als Abfolge dramatischer Ereignisse, sondern als Kombination langfristiger Entwicklungen geleistet habe. Carol Anderson (Emory University) beschreibt die gegenseitige Beeinflussung von schwarzen Bürgerrechtlern in den USA und Widerstandskämpfern im südlichen Afrika in den Fünfziger und Sechziger Jahren. Und Nick Cullather (Indiana University) erklärt die Aktivitäten der US-Regierungen in der "Dritten Welt" gerade im frühen Ost-West-Konflikt rundheraus zu einem "Krieg gegen den Bauern" - gerade weil der Terminus "Dritte Welt" eine ländliche Realität umschrieb, die es mit nahezu allen kapitalistischen (oder im umgekehrten Fall auch sozialistischen) Mitteln zu "modernisieren" galt.
Viele von diesen Thesen sind anregend, manche kontrovers. Allen Aufsätzen gemein ist jedoch auch, dass (bis auf den Beitrag Jians) auf keine ausländischen, das heißt nicht-amerikanischen, nicht englischsprachigen Quellen zurückgegriffen wird und dass bis auf ganz wenige französische Titel (bei Byrne) dieses Manko auch für die nicht-angloamerikanische Fachliteratur gilt. Außerdem fokussieren die Beiträge vor allem auf die Fünfziger und Sechziger, in Ausnahmefällen auch noch auf die frühen Siebziger Jahre. Über den verbleibenden Rest des "Kalten Krieges in der Dritten Welt" - immerhin die Hälfte der Jahrzehnte dieser Ära - werden dann meist nur einige allgemeine Worte auf ein bis zwei Seiten verloren. Dass es diese letzten zwei Jahrzehnte waren, die den Ost-West-Konflikt entschieden oder dass der Kern des Konflikts primär ideologischer (und eben nicht macht-, geo- oder militärpolitischer) Natur war - darauf wird der Leser, wenn überhaupt, nur in Nebensätzen aufmerksam gemacht.
Wer wissen will, wie das Thema Kalter Krieg, Dekolonialisierung und "Dritte Welt" zurzeit in den USA diskutiert wird, der wird die Beiträge und Literaturangaben sicherlich aufschlussreich finden. Für zukünftige und hoffentlich multiperspektivische und multiarchivalische Forschungen in diesem genauso interessanten wie komplexen Themenfeld dürften die in der Einführung formulierten methodischen Postulate sicherlich hilfreich sein.
Oliver Bange