Norbert Conrads: Schlesien in der Frühmoderne. Zur politischen und geistigen Kultur eines habsburgischen Landes (= Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte; Bd. 16), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, XV + 436 S., ISBN 978-3-412-20350-4, EUR 49,90
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In der angesehenen und für die Schlesienforschung wichtigen Reihe "Neuere Forschungen zur Schlesischen Geschichte" erschien 2009 der 16. Band - zum ersten Mal in der Herausgeberschaft von Joachim Bahlcke. Der Band markiert eine Zäsur, weil er erstmals in geschlossener Form Aufsätze des 2003 aus dem Amt geschiedenen Stuttgarter Ordinarius und Begründers einer "modernen" - wie ich in einer früheren Rezension eines Bandes aus dieser Reihe formulierte - Schlesienforschung, Norbert Conrads, versammelt, und weil zweitens auf symbolische Weise ein "Generationenwechsel" innerhalb der "Stuttgarter Schule der Schlesienforschung" deutlich gemacht wird.
Der Band etabliert einen Forschungsstand, auf dem die weitere Forschung zur Schlesischen Geschichte aufbauen kann, und bildet einen Maßstab, an dem sie sich messen muss. Es sind zwei Prinzipien, an denen sich die Studien von Norbert Conrads orientieren: eine intensive Quellen- und Archivarbeit und der Grundsatz einer notwendigen Strukturierung der zu Tage geförderten Erkenntnisse.
Der Leitgedanke des Bandes, danach zu fragen, wie modern das Schlesien von 1740 gewesen ist, wird in drei thematische Blöcke gefasst. Im ersten, "Offene Konfessionalisierung und Landesherrschaft", wird deutlich gemacht, wie schwierig das Konfessionalisierungsparadigma auf die Landesherrschaft in Schlesien mit ihren verschachtelten Herrschaftsformen anzuwenden ist. Der Kaiser, die böhmische Krone, die Landesherzöge - sie alle verfügten über ihre Einfluss- und Herrschaftsbereiche, in denen sich konfessionelle Grenzen nicht leicht ziehen ließen, und so entstand ein sehr flexibel gehandhabter Herrschaftskonsens, der neben dem gegenreformatorischen Zwang auch konfessionellen Kompromiss walten ließ. Als Ergebnis dieser Entwicklung lässt sich bereits aus der Perspektive der Frühneuzeit eine fast liberale Religionspolitik des Kaisers in den schlesischen Erblanden nach dem Ableben des letzten Piasten 1675 festmachen, worauf Conrads in einem der Beiträge nachdrücklich hinweist ("Religionspolitische Überlegungen in Wien nach dem Heimfall der Fürstentümer Liegnitz, Brieg und Wohlau 1675", 102-107). Dass die borussischen Historiker diese Entwicklung anders und erst in preußischer Zeit Toleranz als Staatsideal verwirklicht gesehen haben, unterstreicht nur die unvoreingenommene Herangehensweise des Verfassers. Ebenso innovativ (wie diskussionswürdig) zeigen sich seine Äußerungen zum Thema "Schlesien und die Türkengefahr", das in der polnischen Forschung der Fünfziger/Sechziger Jahre als immer noch von den Interessen der polnischen Krone (damals ein Sinnbild des polnischen Staates: das Reich der Piasten) bestimmt dargestellt wurde. So hat man die Schlacht bei Liegnitz (1241) in dieser Interpretation immer als Teil des polnischen antemurale verstanden. Es ist mittlerweile geradezu erfrischend, wie sich die Diskussion in den Fachkreisen normalisiert hat, und dazu hat Norbert Conrads mit seinem Interesse an der Auseinandersetzung mit polnischen Fachkollegen maßgeblich beigetragen.
Im nächsten Themenbereich, "Silesia literata", widmen sich die Beiträge der Bildungspolitik im frühneuzeitlichen Schlesien. Es ist ein Leib- und Magenthema vieler deutscher und polnischer (vor allem der Breslauer Schule aus dem Umkreis Marian Szyrockis) Germanisten. Haben sie sich allerdings in ihren literaturhistorischen Studien den Früchten kaiserlicher und landesherrschaftlicher Bildungspolitik in deren schönster Form, der Schlesischen Dichtung, gewidmet, lenkt Conrads das Augenmerk auf die historische Entwicklung des schlesischen Bildungswesens, insbesondere auf seine strukturellen, politischen und konfessionellen Voraussetzungen. In diesem Teil des Bandes sind Aufsätze versammelt, die über Bildungswege schlesischer Scholaren berichten, über Persönlichkeiten des gelehrten und akademischen Lebens Schlesiens, über die schlesischen Bildungsstätten und die Breslauer Universität.
Gerade in dem Beitrag "Die Universität Breslau in ihrem ersten Jahrhundert" (250-268) zeigt sich erneut, wie fruchtbar für die Forschung das richtige Verständnis für bildungspolitische Belange in der longue durée sein kann. Indem Conrads diese aufdeckt und aufzeigt, lässt er die schlesische Alma Mater Leopoldina in einem neuen, methodisch und quellenmäßig aktualisierten Licht als eine Universität erscheinen, deren Gründung kein Zufall, sondern eine konsequente, sozial- und konfessionspolitisch gewollte Entwicklung gewesen ist. Der Rezensentin sei die Bemerkung erlaubt, dass manchen Historikern und bildungspolitischen Aktivisten an der Schwelle zum 21. Jahrhundert diese Traditionsfolge, in der die Universitätsgründung in Schlesien stand, so plausibel erschien, dass sie gerne 2002 ein dreihundertjähriges Jubiläum dieser Universität feierten.
Die Perspektive der "Kontinuitäten und Brüche", die in der schlesischen Geschichtsschreibung eine so prägende Eigenschaft ist, wird in dem dritten thematischen Block bestätigt. Hier finden sich Beiträge zum Thema "Adlige Kultur und ständische Verfassung" wieder, die Norbert Conrads "weniger aus unbekannten Quellen" - wie er es selbst formulierte -, sondern vielmehr als "Forschungsüberblicke für einen konkreten Anlaß" geschrieben hat. Und auch wenn sie einen Forschungs- und Diskussionsstand der Achtziger und Neunziger Jahre widerspiegeln, sagen sie einiges über die historische Aufarbeitung der Rolle und Funktion der schlesischen Stände vor, nach und im Prozess der mehrmaligen Übergänge dieser Provinz an verschiede Landesherrscher aus. Hier seien zwei Beiträge erwähnt - "Regionalismus und Zentralismus im schlesischen Ständestaat" (345-358) und "Die schlesische Ständeverfassung im Umbruch. Vom altständischen Herzogtum zur schlesischen Provinz" (359-384) -, die diesen charakteristischen Wandel in der Fremd- und Selbstwahrnehmung der schlesischen Stände besonders anschaulich zu Tage fördern. In diesen zwei Beispielen zeigt sich darüber hinaus - was erfreulich ist -, dass die "deutsche" Schlesienforschung die wenigen polnischen quellenbasierten Aufarbeitungen der schlesischen Ständeverfassung und des Ständewesens - zwar nur in Ansätzen, aber immerhin - rezipiert und anerkannt hat. Jedenfalls nennt Conrads in den Fußnoten die Arbeiten des Breslauer Rechtshistorikers Kazimierz Orzechowski, der für das Verständnis der komplizierten Struktur der schlesischen Stände in polnischer Sprache Pionierarbeit geleistet hat.
Mit den in diesem Band versammelten Aufsätzen von Norbert Conrads hat die Schlesienforschung einen Grundstein erhalten, auf dem sie weiter aufbauen kann. Es ist in der letzten Zeit etwas ruhiger um die Schlesische Geschichte der Frühen Neuzeit geworden. Die schlesischen Themen - wenn sie nicht die neueste Geschichte betreffen - werden mit keinem so regen Interesse verfolgt, wie es noch vor zehn Jahren der Fall war. Umso schöner ist es, dass diese auch optisch ansprechende Reihe weiter gedeiht. Der Conrads-Band ist zudem auch in seiner neuen Gestaltung als Einschnitt anzusehen. Dem Band sind ein Verzeichnis der Schriften von Norbert Conrads, die üblichen Verzeichnisse und Nachweise der Abbildungen und der Erstdrucke sowie ein Personen- und Ortsregister beigefügt.
Małgorzata Morawiec