Rezension über:

Tobias Weger (Hg.): Grenzüberschreitende Biographien zwischen Ost- und Mitteleuropa. Wirkung - Interaktion - Rezeption (= Mitteleuropa - Osteuropa; Bd. 11), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2009, 513 S., ISBN 978-3-631-58554-2, EUR 69,80
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Rezension von:
Stefan Dyroff
Historisches Institut, Universität Bern
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Dyroff: Rezension von: Tobias Weger (Hg.): Grenzüberschreitende Biographien zwischen Ost- und Mitteleuropa. Wirkung - Interaktion - Rezeption, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 11 [15.11.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/11/19035.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Tobias Weger (Hg.): Grenzüberschreitende Biographien zwischen Ost- und Mitteleuropa

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Der vorliegende Sammelband geht auf eine anlässlich des 25. Jubiläums der Universitätspartnerschaft zwischen Oldenburg und Thorn (Toruń) durchgeführte Konferenz zurück. Diese Veranstaltung führte Sprach- und Literaturwissenschaftler sowie Historiker zusammen, die sich die Frage nach grenzüberschreitenden Biographien als gemeinsames Thema auswählten. Gemäß der deutsch-polnischen Natur der Veranstaltung lag der Schwerpunkt dabei auf Deutschland und Polen berührenden Lebensläufen, die zeitlich zwischen dem späten Mittelalter und der Gegenwart angesiedelt sind, wobei gemäß der besonderen Stärke der Thorner Frühneuzeitforschung ein gewisser Schwerpunkt auf dieser Epoche liegt. Dies ist vor allem deshalb erfreulich, weil ansonsten meist das 19. und 20. Jahrhundert im Mittelpunkt deutsch-polnischer Kooperationen stehen. Die 24 Beiträge sind den Kapiteln "Methodische Überlegungen", "Biographische Optionen des Exils", "Biographische Grenzüberschreitungen in Religion und Wissenschaft", "Biographische Grenzüberschreitungen in Gesellschaft und Politik" sowie "Einzelpersönlichkeiten zwischen Deutschland und Polen" zugeordnet. Auf einige der Beiträge soll hier kurz näher eingegangen werden, um das Potential des biographischen Ansatzes im Rahmen transnationaler Fragestellungen deutlich zu machen.

Hans-Jürgen Bömelburg schließt seinen Aufsatz über drei grenzüberschreitende kaschubische Biographien des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit folgender These ab: Den Vertretern des kaschubischen Regionalismus, die sowohl von Deutschen als auch von Polen als Verräter oder Renegaten angesehen wurden, fehle die "nationale Biographiefähigkeit" (282). Er sieht jedoch in der Beschäftigung mit derartig gebrochenen Lebensläufen eine Chance, den historischen Realitäten näher zu kommen als dies beim Verfassen von Meistererzählungen über nationale Helden geschieht. Genau diesen Eindruck bestätigt auch Iwona Kotelnickas Studie über den sich zwischen Deutschen und Polen bewegenden galizischen Juden Alfred Nossig, der 1943 als 79-Jähriger im Warschauer Ghetto wegen der ihm vorgeworfenen Kollaboration mit den Deutschen exekutiert wurde. Gabriela Brudzyńska-Němec verweist in ihrem Beitrag über den nach seiner Teilnahme am Novemberaufstand 1830 im Freiburger Exil lebenden polnischen Philosophen Ferdynand Trentowski darauf, dass derartige gebrochene Biographien auch schon vor dem Zeitalter des Nationalismus auftraten. Dabei vertritt sie die Auffassung, dass Trentowski nur dank des intellektuellen Schutzraumes, den er in Baden genoss, zum polnischen Nationalphilosophen werden konnte. Damit korrespondiert auch die von Hans-Henning Hahn in seinem Beitrag über das politische Exil als biographische Option getroffene Feststellung. Das Exil kann demnach eine persönliche Emanzipation von Überkommenem ermöglichen sowie persönlichen Gewinn mit sich bringen, der das politische und kulturelle Leben sowohl der Herkunfts- als auch der Gastgebernation bereichert.

Nicht alle Beiträge haben jedoch die biographische Herangehensweise genutzt, um weiter gehende Fragestellungen zu thematisieren. Einige der Autoren beschränken sich überwiegend auf das positivistische Nacherzählen biographischer Details und bleiben auf der Stufe der Würdigung oder Kritik der Lebensleistungen ihrer Protagonisten stehen. Somit zeigt dieser Band deutlich die Gefahren eines biographischen Zugangs zur Vergangenheit. Besonders zu bedauern ist dies im Fall von Waldemar Grzybowskis Artikel zu deutschen und polnischen Linguisten der Zwischenkriegszeit. Sein Blick auf Persönlichkeiten wie den Polen Jan Baudouin de Courtenay und seinen deutschen Schüler Max Vasmer macht unter anderem darauf aufmerksam, dass der Wissenstransfer auch im 20. Jahrhundert keinesfalls nur von West nach Ost verlief und sich Deutsche und Polen mitunter auch in Drittstaaten wie Russland trafen. Insgesamt ist dieses Buch ein Spiegelbild durchmischter Ergebnisse internationaler universitärer Kooperationen, anlässlich derer sich die Beteiligten nicht selten am Rande ihrer eigentlichen Forschungsinteressen bewegen, um gemeinsame Tagungen zu ermöglichen.

Stefan Dyroff