Rezension über:

Erika Zwierlein-Diehl: Magie der Steine. Die antiken Prunkkameen im Kunsthistorischen Museum, Wien: Christian Brandstätter Verlag 2008, 359 S., ISBN 978-3-85033-275-0, EUR 59,90
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Markus Wesche
Bayerische Akademie der Wissenschaften, München
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Markus Wesche: Rezension von: Erika Zwierlein-Diehl: Magie der Steine. Die antiken Prunkkameen im Kunsthistorischen Museum, Wien: Christian Brandstätter Verlag 2008, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 1 [15.01.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/01/17387.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Erika Zwierlein-Diehl: Magie der Steine

Textgröße: A A A

Gemmen und Kameen, negativ und positiv geschnittene Steine vom Altertum bis zur Renaissance, fanden in den vergangenen Jahren zunehmend Interesse in Öffentlichkeit und Wissenschaft, durch Ausstellungen wie in Wien 2002/03 [1] oder in München 2005 [2] und 2010 [3], sowie durch jüngere Publikationen. Dazu zählt die von Luca Giuliani [4] über den Grand Camée de France (Paris, Bibliotheque nationale, Cabinet des Médailles), ein Geschenk an Kaiser Tiberius und zugleich der größte überhaupt erhaltene Kameo (31 x 26,5 cm); Giuliani hat aus der Perspektive des Archäologen und Historikers die Entstehung des Stückes erklärt, seinen Gehalt gedeutet und eine Reihe von Forschungsmeinungen weggeräumt. Erika Zwierlein-Diehl, die Verfasserin des hier anzuzeigenden Werkes, ist seit Jahrzehnten herausragende Kennerin der Gemmenkunde, unter ihren bisherigen Beiträgen seien nur ihre Publikation der Gemmen des Kölner Dreikönige-Schreins [5] und ihre große Stil- und Rezeptionsgeschichte der antiken Gemmen genannt [6]. Unter dem etwas reißerischen Titel "Magie der Steine" legt sie nun in einem dicken, vorzüglich produzierten Buch die Beschreibung von 24 antiken, positiv geschnittenen Steinen (Kameen) aus dem Bestand des Kunsthistorischen Museums (KHM) Wien vor. Es handelt sich dabei um einige der berühmtesten Stücke der Gattung, darunter der Ptolemaios-Kameo, die Gemma Claudia und die Gemma Augustea, letztere früher Pflichtstück für jede Schulbuch-Illustration zur Antike.

Der Band enthält nach einer obligatorischen Einführung "Zur Technik des Kameenschnitts" (13-25) durch die Verfasserin eine Geschichte der Sammlung von Kameen durch das Haus Habsburg seit dem ersten Inventar von 1619 bis zur wissenschaftlichen Erforschung in der Gegenwart aus der Feder des Mitautors A. Bernhard-Walcher (27-53) und eine Behandlung der neuzeitlichen Fassungen antiker Prunkkameen durch P. Rainer (217-233). Den Kern des Buches bilden die Beschreibungen (55-215) durch die Verfasserin und die großen farbigen Detailaufnahmen von Christian Mendez (Wien). Sie erlauben dem Leser / Betrachter Einblicke in die faszinierenden Werke, die vor den Originalen selbst kaum möglich sind. Wer je die 2005 neu eingerichtete Präsentation der Prunkgemmen im Kunsthistorischen Museum gesehen hat, wird sich eher mit leichtem Schaudern an die kühl-geisterhafte Atmosphäre des dunklen, nur punktuell beleuchteten Raumes erinnern und an die große Schwierigkeit, die Stücke vor Ort genau zu studieren. Der "Wissenschaftliche Anhang" (217-350) enthält die Dokumentation der Autoren zum Zustand, zur Sammlungsgeschichte und zur wissenschaftlichen Diskussion der einzelnen Kameen. Von den 24 behandelten Steinschnitten sind die Nummern 1-17 Porträtgemmen oder Fragmente davon, 18-23 sind Göttern und mythischen Themen gewidmet, Nr. 24 ist ein Prunkgefäß. Eine Mehrzahl der Porträtgemmen zeigt Personen des julisch-claudischen Kaiserhauses und geht auf hellenistische Steinschneider zurück, die ihre Kunst im 1. Jahrhundert v.Chr. nach Rom brachten. Die meisten der hier vorgestellten Stücke waren schon im Inventar von 1619 verzeichnet, das den Bestand der Sammlung Kaiser Rudolfs II. festhält.

Die Beschreibungen, die Erika Zwierlein-Diehl angefertigt hat, weisen eine Dichte und Präzision auf, die vieles sichtbar machen, was selbst die zweidimensionalen Blow ups nicht eindeutig zeigen; sie sind daher für das Verständnis der Kameen unabdingbar. Sie haben dabei einerseits eine analytisch-stilkritische Funktion, wie bei der Darstellung der Frisuren und Physiognomien (die Übereinstimmung von Nr. 17, dem Gemmenporträt des Kaisers Numerianus (282-284), mit dem zum Vergleich herangezogenen Münzporträt wird durch die sprachliche Analyse erreicht), zum anderen führen sie deutend die politisch-religiöse Symbolsprache vor Augen, deren Entschlüsselung für die historische Einordnung und Datierung nötig ist, schon lange ein wichtiger und immer weiter verfeinerter Zweig der Altertumswissenschaften. Damit ist diese neue Publikation der letzten knappen Vorstellung von 35 Kameen aus dem Jahr 1985 voraus, der des damaligen Leiters der Antikenabteilung des KHM, Wolfgang Oberleitner [7]. Eine Reihe neuer Zuweisungen und Klärungen durch Erika Zwierlein-Diehl haben dank ihres analytischen Zugriffs die alte Publikation in manchem obsolet gemacht (Nr. 2, 3, 9, 10, 11, 14, 16, 17) und sie insgesamt gültig ersetzt. Die Forschungsdokumentation ihrerseits bietet - indem die Verfasserin die jeweiligen Positionen und Meinungen knapp und klar referiert - geradezu das Material zu einer Geschichte der Altertumswissenschaften. Man lese nur die Passagen über die Gemma Augustea (262-282), wo man auf Tabellen die Deutungsversuche der mythischen Gestalten und der Figuren aus dem unteren Register der Tropaion-Aufstellung findet. Nach Sichtung der Überlieferung und der Forschung hat die Verfasserin eine in sich schlüssige Deutung des wohl berühmtesten Kameos des Altertums vorgelegt.

Die "Magie der Steine" liegt nicht nur in ihrer Schönheit und Perfektion, um die es bei der Titelfindung gegangen sein mag, sondern eigentlich in ihrem auratischen Wert. Es sind zwar keine Siegelringe des Augustus auf uns gekommen, von denen antike Schriftsteller berichten, oder Caesars Militärstiefeletten aus dem Gallischen Krieg (anders als der dem olympischen Zeus geweihte und 1940 ausgegrabene Helm des Marathon-Siegers Miltiades), jedoch solch kostbare Kameen wie die in Wien oder Paris, die, für den Kaiserhof gefertigt, die Hände von Augustus oder Tiberius selbst berührt haben. Vorstellungen solcher Art übersteigen allerdings das Anliegen des vorzüglichen - und lesenswerten - Werks von Erika Zwierlein-Diehl, die im Genre der Wissenschaft alles nur Mögliche zum Verständnis getan hat. Zur Visualisierung der Aura wäre so etwas wie ein Hollywood-"Augustus und Tiberius" im Avatar-3D-Format nötig. Originalgetreue Nachschnitte entsprechender Kameen durch den Gemmenschneider Gerhard Schmidt lägen dazu bereits vor.


Anmerkungen:

[1] Rudolf Distelberger: Die Kunst des Steinschnitts. Prunkgefäße, Kameen und Commessi aus der Kunstkammer, Wien 2002.

[2] Bernhard Overbeck / Mechtild Overbeck: Bacchus und seine Welt auf antiken Gemmen, Athen 2005.

[3] Raimund Wünsche / Matthias Steinhart: Zauber in edlem Stein. Antike Gemmen: Die Stiftung Helmut Hansmann, München 2010.

[4] Luca Giuliani, in Zusammenarbeit mit Gerhard Schmidt: Ein Geschenk für den Kaiser. Das Geheimnis des Großen Kameo, München 2009.

[5] Erika Zwierlein-Diehl: Die Gemmen und Kameen des Dreikönigenschreines (= Studien zum Kölner Dom; Bd. 5), Köln 1998.

[6] Erika Zwierlein-Diehl: Antike Gemmen und ihr Nachleben, Berlin / New York 2007.

[7] Wolfgang Oberleitner: Geschnittene Steine. Die Prunkkameen der Wiener Antikensammlung, Wien / Köln / Graz 1985.

Markus Wesche