Duco A. Hellema: Dutch Foreign Policy. The Role of the Netherlands in World Politics (= International Relations Studies Series; Vol. 5), Dordrecht: Republic of Letters 2009, XI + 438 S., ISBN 978-90-8979-028-6, EUR 39,00
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Seit den frühen 1980er Jahren ist keine englischsprachige Monographie zur niederländischen Außenpolitik mehr vorgelegt worden. Schon deshalb stellt die Übersetzung des Standardwerks Buitenlandse Politiek van Nederland (2006) von Duco Hellema, Professor für die Geschichte internationaler Beziehungen an der Universität Utrecht, einen Gewinn dar. Seine zentrale These ist die von einem hohen Maß außenpolitischer Kontinuität bei dramatischen Umbrüchen in der niederländischen Gesellschaft wie in den internationalen Beziehungen. Der rote Faden im Werk ist die Suche nach einer Erklärung dieser Kontinuität sowie des Zusammenhangs zwischen der Gestaltung von Politik und Veränderungen.
In seinem ersten Kapitel skizziert der Autor die Vorgeschichte moderner niederländischer Außenpolitik zwischen dem späten 16. und dem späten 19. Jahrhundert. Der Fokus des Buches indes liegt auf dem 20. Jahrhundert. Hellema geht chronologisch vor: Deutliche Akzente liegen auf der Sicherheitspolitik sowie dem Verhältnis der Niederlande zu den europäischen Nachbarn und den USA. Ferner analysiert der Autor die Haager Bündnispolitik inklusive der regelmäßigen Entsendung von Blauhelmen sowie deren Rolle im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses. Darüber hinaus diskutiert er in den Kapiteln für die Zeit nach 1945 das Thema Entwicklungszusammenarbeit als einem Aspekt auswärtiger Politik. In jedem Kapitel entfaltet Hellema ein weltpolitisches Panorama, das die Einordnung der Haager Politik erleichtert. Schließlich greift er wiederholt Debatten der niederländischen Geschichtsschreibung zur Außen- und Sicherheitspolitik auf und eröffnet hiermit weitere Interpretationsmöglichkeiten.
Was sind die Hauptmotive in der Politikgestaltung? Die Sicherung der Position der Niederlande als Handelsnation sowie ein ständiges Bemühen zur Wahrung der Souveränität insbesondere gegenüber den großen europäischen Nachbarn. In den Jahren unmittelbar vor beiden Weltkriegen verortet der Autor die niederländische Politik jeweils im europäischen Machtgefüge und erläutert die Neutralitätsstrategie als Mittel zur Sicherung der Unabhängigkeit. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs befand sich das Land auf der Grenze zweier Einflusssphären - zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien. Hellema sieht es als ein "miracle" (58), dass die Niederlande trotz ihrer strategischen Lage nicht in den Krieg involviert wurden. Seine Begründung hierfür bleibt aber dürftig und ignoriert jüngere Veröffentlichungen, welche das "Wunder" als logische Folge strategischer Erwägungen auf Seiten aller Beteiligten erklären. [1]
Die im Ersten Weltkrieg erfolgreiche Neutralitätspolitik scheiterte 1940, als deutsche Truppen das Land besetzten. Nach dieser Erfahrung wurden die Niederlande Mitglied verschiedener internationaler Institutionen und Bündnisse. Im Kalten Krieg boten allein Washington und NATO ein glaubwürdiges Abschreckungspotential gegenüber der Sowjetunion. Außerdem waren sie es, welche die niederländische Position auch in der westlichen Welt nachhaltig sicherten. So wurden und werden NATO und EU (sowie ihre Vorläufer) als Garanten militärischer Sicherheit und wirtschaftlicher Entwicklung gesehen. Kontinentaleuropäischen Versuchen, eine engere außen- und sicherheitspolitische Kooperation der 'Europäer' herzustellen, standen sämtliche Regierungen unabhängig ihrer politischen Couleur aus Furcht vor negativen Konsequenzen für die transatlantischen Beziehungen lange Zeit ablehnend gegenüber. Häufig war es das Drängen Washingtons, das Den Haag ab den 70er Jahren schrittweise eine stärkere politisch orientierte Zusammenarbeit der Europäer akzeptieren ließ.
Nach 1989 kam es zu vorsichtigen Anpassungen in der Haager Außenpolitik. Hellema argumentiert, dass diese der gewandelten Umgebung geschuldet waren. Die Niederlande blieben NATO und EG/EU verbunden und weiterhin ein "loyal adjutant" (397) der Vereinigten Staaten. Die Europapolitik zeichnete sich nun aber durch einen Kurs aus, der auf eine stärkere Akzentuierung von Eigeninteressen abhob.
Ein zentrales Aufgabengebiet stellt die Entwicklungspolitik dar. Hellema argumentiert überzeugend, dass an deren Anfang vor allem der Wunsch nach "compensation for the loss of the Dutch East Indies" (179) stand. Gleichzeitig veranschaulicht er, dass die Haager Entwicklungszusammenarbeit keinesfalls 'Anhängsel' der Außenpolitik ist, sondern als absolut eigenständig verstanden werden muss.
Hellema bettet die niederländische Außenpolitik in einen europäischen Rahmen und kennzeichnet Anpassungen, Zusammenhänge und Kontinuitäten. Er definiert sieben bestimmende Konstanten und analysiert deren Implikationen: geografische Lage, Grad der Einbettung in die Weltwirtschaft, Verortung in der internationalen Machtstruktur, sozial-ökonomische und kulturelle Langzeitverhältnisse, staatliche Struktur und bürokratische Bedingungen, Parteienlandschaft und individuelle Entscheidungsträger. Die Gewichtung dieser Konstanten variiert.
Mit Hilfe einer Fülle von Verweisen und Anmerkungen sowie einer umfangreichen Bibliographie, deren Vollständigkeit allerdings durch die Aufnahme von jüngeren Titeln hätte ergänzt werden sollen, ermöglicht der Autor eine weiterführende Beschäftigung mit von ihm nur skizzierten Themen. Der ausführliche Index entschädigt für das zu knappe Inhaltsverzeichnis, in dem nur die Hauptkapitel aufgeführt sind. Hilfreich wäre darüber hinaus - allzumal für ein Publikum, das mit dem niederländischen Staatssystem und seinen Akteuren wenig vertraut ist - ein Anhang, in dem tabellarisch die niederländischen Regierungen und Außenminister, Institutionen sowie eine Zeittafel der wichtigsten Ereignisse aufgenommen worden wären.
Davon abgesehen ist das Buch interessierten Laien wie dem Fachpublikum uneingeschränkt zu empfehlen. Gerade mit Blick auf das nach wie vor vielfach genutzte, in weiten Teilen überholte Werk Peace, Profits and Principles von Voorhoeve [2] stellt Dutch Foreign Policy eine sehr gute und überfällige Ergänzung der englischsprachigen Literatur zur Geschichte niederländischer Außenpolitik dar.
Anmerkungen:
[1] Etwa: Marc Frey: Der Erste Weltkrieg und die Niederlande. Ein neutrales Land im politischen und wirtschaftlichen Kalkül der Kriegsgegner, Berlin 1998.
[2] J.J.C. Voorhoeve: Peace, Profits and Principles. A Study of Dutch Foreign Policy, 2nd ed. Leiden 1985.
Christoph Meyer